Lost Shtetl Museum

Šeduva

 Lost Shtetl Museum Seduva Aussenansicht

Lost Shtetl Aussenansicht

Erinnerung kann nicht gesichtslos sein

Die Zwischenkriegsjahre in Seduva waren, wie in zweihundert anderen litauischen Schtetln, für die Juden gut. Sie wurden geboren, wuchsen auf, liebten, lernten, arbeiteten als Handwerker, beteten, heirateten, waren fröhlich oder traurig und träumten in der Hoffnung, dass ihr Lebenszyklus niemals enden würde, aber wenn es doch so kommen sollte, würden ihre zahlreichen Verwandten sie ordentlich auf einem Friedhof in der Nähe begraben. Söhne und Töchter würden wieder heiraten und wieder Kinder bekommen, und das Rad des Lebens würde sich wie immer weiterdrehen. Aber es kam zum Stillstand. Für immer.

Die Juden von Seduva gibt es nicht mehr. Jetzt, da alle Zeichen des Lebens der Juden von Seduva verschwunden sind, haben wir versucht, all das zu sammeln, was unwiederbringlich verloren schien – die Erinnerungen daran, wie die Juden von Seduva lebten und was ihnen wichtig war. Dies ist eine Geschichte darüber, was Litauen verloren hat.

Autor Sergey Kanovich

Das Lost Shtetl Museum wurde am 20. September 2025 im kleinen Städtchen Šeduva eröffnet (eine Beschreibung der Stadt gibt es unter Šeduva). Die Idee für das Projekt stammt von Sergey Kanovicius. Er leitete auch die Planung und den Bau des Museums. Er ist einer der Söhne des litauischen Autors Grigorijus Kanovicius. Dieser beschrieb in seinen Romanen die untergegangene Welt der litauischen jüdischen Shtetl, also der jüdischen Kleinstädte. (Ein Zicklein für zwei GroschenMilda Jakulytė-Vasil war Chefkuratorin der Ausstellung.

 Lost Shtetl Eingang

Lost Shtetl Eingang

Begonnen hat es mit der Restaurierung des riesigen jüdischen Friedhofs in Šeduva 2014, bei dem die 1300 Grabsteine bzw. deren Fragmente renoviert wurden.

Ein großer jüdischer Friedhof in einer Stadt ohne Juden.

Kanovicius hatte die Idee, neben dem Friedhof eine zusätzliche Erinnerung an die von den Deutschen und ihren litauischen Helfern Ermordeten zu schaffen. Man entschied sich für ein Museum, in dem an die toten Einwohner von Šeduva erinnert wird, weniger an den Holocaust allgemein, wie zum Beispiel im Green House in Vilnius.

Lost Shtetl Information

Rezeption/Information 

Am 25. und 26. August 1941 wurden insgesamt 664 Juden ermordet  (»230 Juden, 275 Jüdinnen, 159 Judenkinder« laut Jäger Bericht).

Die Vorbereitungen für diese Aktion leisteten örtliche Hilfskräfte. Die Deutschen mussten wissen wer Jude war und wo sie wohnten. Die Juden mussten aus den Häusern in die Ghettos gebracht werden und dort bewacht werden. Den Transport zu den Erschießungsstätten bewachten einheimische Hilfskräfte. Die Erschießungen wurden von Einheimischen durchgeführt. Das Hab und Gut (außer Gold und Geld) wurde von Litauern verteilt.

Seduva Lost Shtetl

Das Leben war hart, aber noch in Ordnung. Šeduva vor dem 2. Weltkrieg 

Lost Shtetl Seduva Ansichtstafel

Šeduva im Wandel.  

Seduva Das Leben der Juden endet im Wald

Das Leben der Juden endet im Wald

Im Museum macht der Besucher Bekanntschaft mit den ehemaligen Einwohnern Šeduvas. Man hört ihre Stimme, sieht wie sie gelebt haben und was sie arbeiteten. Auf Videoinstallationen wird das Leben der Juden dargestellt oder es berichten Zeitzeugen von den Massakern im August 1941. Wobei ich gerne Juden, die Juden darstellen als Schauspieler gesehen hätte. Mein einziger weiter Kritikpunkt ist die Lage des Museums. Einerseits macht es Sinn: das Museum soll ja an die Šeduver Juden erinnern. Andererseits ist Šeduva sehr weit von jeglichen Touristenströmen entfernt. Auch bin ich mir nicht sicher, wie viele Litauer aus der Umgebung das Museum besuchen. Ähnlich wie beim Stasys Museum. Vielleicht mein Vorurteil.

Lost Shtetl Ausstellungsräume

Ausstellungsräume

Das Museum wurde privat finanziert (wobei niemand weiß oder sagt, woher das Geld kommt). Und entwickelt von einem litauischen Team mit Experten für jüdische Kultur und Geschichte aus den USA, Israel, Deutschland und Polen.
Leider wird auch geschwiegen, wenn es Fragen zum plötzlichen Verlassen des Projekts von Ideengeber Kanovicius und der Kuratorin Milda Jakulytė-Vasil geht.

Lost Shtetl Videoinstallationen

Videoinstallationen

Die Architektur des Museums ist herausragend und erweitert die aufstrebende moderne litauische Museumslandschaft nach dem MO Museum in Vilnius, dem Stasys Museum in Panevezys noch weiter. Architekt war die Firma Lahdelma & Mahlamäki, die das Äußere des Museums im Stil eines Shtetl (Kleinstadt) schuf. Kleine Häuschen reihen sich um das große Haus, die Synagoge.
Das Innendesign wurde von Ralph Appelbaum Associates gestaltet (entwickelt weltweit Museen).

Lost Shtetl Aussenanlagen

Außenanlagen. Frösche und Fische fehlen noch.

Überschwänglich habe ich die Außenansicht des Lost Shtetl Museums nach meinem Besuch am 25.9.2025 mit dem Guggenheim Museum in Bilbao verglichen. Als kleines Guggenheim.

Trotzdem war ich nicht ganz sicher, ob das „Grüne Haus“ in Vilnius das interessantere Museum ist. Mit der Zeit sah ich aber die Genialität des Lost Shtetl Museums. Hier wird an die ermordeten Einwohner Šeduvas sehr persönlich erinnert. Es wird gezeigt, wie die damaligen Litauer den Deutschen halfen, ihre jüdischen Mitbewohner umzubringen. Wie die Litauer schossen (tatsächlich haben die zwei Deutschen, die das Massaker überwachen sollten, keinen Schuss abgegeben), wie die Litauer dann das Hab und Gut der toten Juden verteilten.
Die heutigen Litauer können das Museum als Angebot annehmen ihre Mitschuld am litauischen Holocaust anzuerkennen, oder das Museum als Stachel im Fleisch sehen.

Der große renovierte jüdische Friedhof hat jetzt einen Ort, der an die ehemaligen Šeduver Einwohner erinnert. Die Umgebung kann jetzt ihre Geschichte akzeptieren. (Oder die Juden weiter als Fremdkörper sehen).

Narzissen und Bäume Lost Shtetl

Narzissen, Blumen und Bäume, die an den Weg der Juden in den Wald erinnert.

Abgerundet wird die Architektur durch einen großen Park, in dem 200 einheimische Bäume und 1,5 Millionen Narzissen gepflanzt wurden. Als Erinnerung für die 1,5 Millionen Kinder, die Deutschland im Holocaust ermordete.

Man sollte sicherheitshalber Tickets vorher online buchen

Frida Iskovitch

Frida Iskovitch
Fridas Großmutter, Mutter, Vater und ihre beiden Schwestern wurden in Šeduva ermordet. Frida hat die Gefangenschaft in vier Lagern überlebt. Im Ghetto Siauliai musste sie mit ihrem Mann Shloyme Zwangsarbeit leisten. Ihr Erstgeborener Rakhmiel wurde während er ersten Kinderaktion getötet.
Frida kam von Siauliai ins KZ Dachau. Nach dem Krieg fanden sie sich wieder und wanderten nach Israel aus. Dort hatten sie noch zwei Kinder. 

Deutsche mit Thora Rolle vor brennender Synagoge

Deutsche mit Thora Rolle vor brennender Synagoge

Soldaten Litauen Synagoge

Man betrachtet die Gesichter der deutschen Besatzer und dann die Bilder der ermordeten Šeduver Einwohner. Wie konnten wir solche Taten zulassen?

 Die Schwestern Frida, Khana und Reyna. Nur Frida überlebte, Khana wurde mit 18 Jahren, Reyna mit 19 ermordet. 

Zeitzeugen Videos Lost Shtetl

Zeitzeugen berichten  

Lost Shtetl Synagoge

Nachgebaute Synagoge 

Lost Shtetl Namen der ermordeten Juden

Tafel mit den Namen der ermordeten Juden 

 Weissarmbändler Baltaraisciai Vabalninkas

Von den Deutschen Partisanen oder Weißarmbändler (lit. Baltaraisciai) genannte Hilfswillige. Hier eine Gruppe aus Vabalninkas. Von den 1700 Einwohnern dort waren 30% Juden. Die Jungs mit den weißen Armbändern, oder wie hier, mit Hakenkreuzbinden, machten für die Deutschen die Drecksarbeit.  

Lost Shtetl Fenster zum Friedhof

Blick aus dem Museum auf den Friedhof "das einzige erhaltene Zeichen des jüdischen Lebens, das im Museum erzählt wird".

Das Fenster ist fast 12 Meter hoch.

 Holocaust in Seduva Täter

Zwei Offiziere überwachten die Erschießungen in Šeduva. Die mussten nicht schießen. Das taten die einheimischen Helfer. Die auch die Listen der Juden schrieben, die Juden aus den Häusern holten und zum Ghetto eskortierten. Sie bewachten, und deren Hab und Gut konfiszierten und verteilten. (Die Zeitzeugen in der Videoinstallation sagen eindeutig, die Deutschen schossen nicht. Der litauische Schütze dessen Aussage auf dem Foto oben ist, mag das den sowjetischen Verhörern aus Selbstschutz gesagt haben).

Sergey Kanovicius schreibt über die Entstehung des Museums:
"Das Museum „Dingęs Štetlas“ wäre ohne das Projekt zur Instandsetzung des jüdischen Friedhofs in Šeduva nicht entstanden. Früher wuchsen neben dem Friedhof Apfelbäume, auf denen Pferde grasten und Äpfel von den Ästen pflückten und fraßen. Als ich den Friedhof 2013 fand, war er verlassen, vermüllt und überwuchert. Heute bewundern wir ihn alle, aber nur wenige erinnern sich daran, wie er früher aussah. Leider blieb in all dem Trubel der Urheber des Restaurierungsprojekts des Friedhofs unerwähnt – unser wunderbarer Architekt, der verstorbene Algimantas Kančas und sein Studio – er entwarf den von Hand wiederaufgebauten Zaun und sorgte dafür, dass die zerstörten Grabsteine respektvoll in einem Lapidarium in Form eines Davidsterns aufbewahrt wurden.
Der Friedhof ist nicht nur der Anfang des Projekts. Er ist auch das Herzstück des Museums – in meiner Vision für das Museum wollte ich, dass die Besucher zuerst am Friedhof vorbeigehen und ihn beim Verlassen des Museums von oben sehen (eine wunderbare Idee von Rainer Mahlamaki, die wir gemeinsam gefunden haben). Was wir durch das fast 12 Meter hohe Fenster sehen, ist nicht nur das einzige erhaltene Zeichen des jüdischen Lebens, das im Museum erzählt wird (ja, Friedhöfe erinnern nicht nur an den Tod, sie erinnern auch an das Leben). Der letzte Blick auf den Friedhof gibt der gesamten Ausstellung des Museums einen Sinn – der Lebenszyklus, der unterbrochen und beendet wurde, kann und muss weiterleben – in unserer Erinnerung. Ich wollte, dass der Besucher einfach über seinen Platz in der Welt, über den Zustand seines Gedächtnisses nachdenkt und in seinen Gedanken die armseligen, übrig gebliebenen Grabsteine mit dem Leben dieser Menschen verbindet. In der Literatur würde man das als Rondo bezeichnen."

 

Flugblatt der LAF

 

Links ein Flugblatt der LAF vom 10. April 1941 (aufgenommen im Lost Shtetl Museum Šeduva, Original im Litauischen Spezialarchiv)

Es wurde von den Sowjets beim LAF Melder Mykolas Naujokaitis gefunden. 

Weg mit den Juden

In der Zeit von Gediminas kam es zu einer Überflutung Litauens mit Juden. Während der polnischen Lehnsherrschaft wurden die Litauer zu
Leibeigenen und Sklaven, während die Juden zu Händlern und Kaufleuten wurden.
Als Litauen vom zaristischen Russland besetzt wurde, blühten die Juden weiter, während die Litauer keine Freiheit hatten und sogar ihre Presse verloren.
In den Wirren des Großen Krieges rissen die eisernen Fesseln Russlands, aber die schlimmsten Parasiten unseres Volkes – die Juden – blieben uns erhalten.
Als die Bolschewiken und Juden Litauen besetzten, wurden sie von allen Juden mit roten Tüchern empfangen: Die Juden freuten sich, uns die kommunistische jüdische Sklaverei aufzuzwingen.

Litauer, heute werden deine Verwandten und Freunde von dieser Bande Degenerierter getötet. Ganz Litauen schwimmt im Blut seiner besten Söhne.
Nicht für ein solches Litauen haben Mindaugas, Kęstutis und Vytautas ihre Köpfe hingegeben. Nicht dafür haben die litauischen Freiwilligen in den Kämpfen um die Unabhängigkeit ihr Leben gelassen. Versklavte Litauer! Auf in den Kampf für Freiheit.

In Ewigkeit sollen wir die Familien vernichten, die uns betrogen, unterjocht und ermordet haben. Litauer, die ihr noch am Leben seid, befreit unser Vaterland von der jüdischen Knechtschaft.
Lasst uns Litauen wieder auferstehen lassen.

 

 

 

 

 

 

 

Lost Shtetl Museum Außenansicht

Lost Shtetl Museum Innenansicht

Todesweg Lost Shtetl

Der Weg des Todes. Rechts und links Wald. Auf dem Boden Gras. Alle Šeduver Juden mussten diesen Weg in den Wald gehen. Wir sehen, wie die Männer ihr eigenes Grab schaufeln mussten. 

Lost Shtetl Museum "Todesweg"

Videoinstallation Daten der Erschießungen in Litauen

 

 Ein Besuch im Lost Shtetl Museum ist sehr empfehlenswert!

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