Mutter von Pirčiupis

Pirciupiai Motina
Mutter von Pirčiupiai

Pirčiupiai ist ein Dorf zwischen Druskininkai und Vilnius. Man sieht die Statue der Mutter von Pirčiupis und das Hinweisschild, wenn man die Stelle passiert.

Interessant ist hier der Text auf einer Tafel an der Gedenkstätte. Frei übersetzt aus dem Englischen:

"Während des II. Weltkriegs, am 3. Juni 1944, verbrannten hier die Nazi Besatzer 119 Einwohner von Pirciupiai.

Das Massaker wurde provoziert durch das 14. Kommando unter dem Befehl der Nachrichtenabteilung der Roten Armee.

Am Morgen des 3. Juni  griff das 14. Kommando einen motorisierten Konvoi des 16. SS Polizei Regiments auf der Straße Eidiskes-Vilnius an. 6 Nazis starben, 8 sind vermisst. Die Nazi Besatzer reagierten bekanntermaßen auf Überfälle mit Morden an der Zivilbevölkerung um die Partisanen von Angriffen abzuhalten..."

Mir stößt die Intention des Verfassers etwas auf. Vielleicht ist es auch nicht so gemeint, wie ich es verstehe. Mir sind von litauischer Seite jedenfalls keine Aktionen gegen die Deutschen bekannt. Eher im Gegenteil, siehe Geschichte.


Pirčiupiu Motina“, also die Mutter von Pirčiupis, ist ein Denkmal für die im Dorf Pirčiupis von der SS ermordeten Einwohner. Am 3. Juni 1944 griffen sowjetische Partisanen eine Wehrmachtskolonne in der Nähe von Pirčiupis an und töteten dabei fünf Deutsche.

Als Abschreckung rückte die SS mit 400 Mann im Dorf Pirčiupiai an, sperrte die anwesenden Einwohner in die Dorfkirche ein und zündete sie an. 119 Menschen -  Kinder (49), Frauen (61), Männer und Alte verbrannten. Knapp einen Monat, bevor Vilnius von der Roten Armee „befreit wurde“.

 

Pirciupiai Gedenktafel der Ermordeten
Tafel mit den ermordeten Dorfbewohnern

In Litauen zerstörten die Deutschen so 15 Dörfer, in Weißrussland dagegen wurden 9.200 Dörfer verbrannt. In Litauen wurde dabei noch versucht möglichst nur polnische oder russische Dörfer zu bestrafen, um die Gunst der Litauer nicht zu verlieren.
Die Sowjets begannen 1958 ein Denkmal zu planen, das an die heldenmütigen Bürger von Pirčiupiai und deren Unterstützung der sowjetischen Partisanen erinnern sollte. Natürlich auch an die Gräueltaten der Nazis. Der litauische Bildhauer Gediminas Jokubonis gewann die Ausschreibung zum Bau eines Denkmals. Allerdings hatten die kommunistischen Machthaber noch einiges an Jokubonis Entwurf auszusetzen. So sagte Justas Paleckis über die Entwurfsskizze „Dieses Weib gefällt mir nicht!“ und die Kulturministerin der Sowjetunion, Ekaterina Furceva soll „skythisches Weib“ zum Denkmal gesagt haben.
Nachdem Jokubonis einige Änderungen an der Figur vornahm, geballte Faust, ernsthafteres Gesicht, konnte die Statue gebaut werden. Auf einer Granitwand hinter der Statue sollten die Namen der Ermordeten eingemeißelt werden. Nicht ohne vorher gründlich auf ihren Hintergrund (besuche in den USA oder Kollaboration mit den Deutschen) untersucht worden zu sein.
Am 24. Juli 1960 wurde das Denkmal feierlich eingeweiht. Snieckus, Paleckis sowie der Redakteur der Zeitung „Tiesa“ (Wahrheit ;-)  ) Genrikas Zimanas waren mit 20.000 Menschen zugegen. Zimanas war 1944 einer der Partisanen, die auf sowjetischer Seite in den Wäldern von Pirčiupiai kämpften. 

1961 bekam Jokubonis für seine Statue den „Preis der litauischen Sowjetrepublik“ und 1993 den Leninpreis (die höchste Auszeichnung der Sowjetunion).
1960 wurde auch ein Museum eröffnet. An diesem kann man die Änderung in der litauischen Geschichtsauffassung gut beobachten. Ausgestellt waren Bilder der ermordeten Dorfbewohner, ihre vom Feuer verschonten persönlichen Sachen (darunter ein durchschossenes Gebetsbuch). Es gab eine Urne mit Knochen und Asche der Opfer.
In einem anderen Raum wurde das traditionelle Dorfleben der Dzukija ausgestellt. Vielleicht um mehr Publikum aus dem ländlichen Raum ins Museum zu bekommen. 1985 kam ein Raum für die „Roten Partisanen“ dazu. Allerdings waren die Litauer die roten Partisanen leid.
Mit der politischen Wende um 1990 nahm für Litauen die Bedeutung und das Bewusstsein für die „Mutter von Pirčiupiai“ ab. Nicht mehr die Verbrechen der Wehrmacht standen im Mittelpunkt, sondern die der Sowjetunion gegen die litauischen Menschen. Das äußerte sich auch an den Besucherzahlen vom Museum: kamen 1985 noch 125.000 Besucher, waren es 1990 nur noch 9.000!

Massengrab Pirciupiai Litauen
Massengrab

1991 wurde aus dem Revolutionsmuseum Pirčiupiai das Landeskundliche Museum. Statt die sowjetischen Partisanen zu heroisieren, wurde nun nur noch darauf hingewiesen, dass sie trotz ihrer Nähe zum Massakerort nicht zur Hilfe eilten. Der Mitarbeiterstab des Museums wurde von 16 auf 3 ausgedünnt. Im Winter wurde nicht mehr geheizt (was um 1990 aber viele Gebäude in Litauen betraf) und das Museum dann 2000 endgültig geschlossen.
Laut Ekaterina Makhotina beschäftigten sich die litauischen Zeitungen nicht mehr mit den lange vorherrschenden Themen der Sowjetunion, sondern mit den bisher verbotenen Themen wie sowjetische Repression und Lagerverbannung. Nicht mehr die deutschen Verbrechen wurden thematisiert, sondern die sowjetische Schuld.
Verschwörungstheorien kamen auf. Es gab plötzlich Gerüchte über eine sowjetische Planung des Massakers. So seien jüdische Partisanen in Wehrmachtsuniformen die Täter gewesen (in Litauen wurden von den Nazis 95 % der litauischen Juden ermordet). Als weitere Täter wurden die polnische Nationalarmee Armia Krajowa, sowie weißrussische Partisanen genannt.
Durch ihre Angriffe seien die sowjetischen Partisanen mit Schuld an der Strafaktion der Deutschen gewesen. Immerhin hätten sie provoziert.
Heute hat sich die litauische Opferhierarchie verschoben. Es stehen nun nicht mehr die Opfer des Nationalsozialismus im Vordergrund, sondern die Opfer der Sowjets. In der Opferhierarchie stehen die Litauer nun fast vor den jüdischen Opfern der Nazis.

Eine interessante Arbeit über Pirciupiai (aus der die meisten Infos dieses Textes stammen) gibt es von Ekaterina Makhotina.
„Abgebaute Erinnerungen“: Der Wandel des Kriegsgedenkens in Litauen am Beispiel der Gedenkstätte Pirčiupis

 

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