Kalnaberžė Herrenhaus
Text © Edita Mongirdaite
Foto ©Kedainiai Regionalmuseum
Das Herrenhaus von Kalnaberžė liegt am rechten Ufer des Flusses Nevėžis, 13 km nördlich von Kėdainiai. Kalnaberžė wurde erstmals in der "Chronik von Livland" von H. Vartbergė im Jahr 1371 erwähnt.
Das Gut Kalnaberžė war im Besitz der Familien Radvilas, Čapskiai, Košelevskiai und Stolypin (mehr zu Stolypin siehe weiter unten). Arkadi Dmitrijewitsch Stolypin gewann das Gut durch Kartenspiel von einem Offizier Kushelev. Stolypin baute das Gut in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um, das bis heute erhalten ist.
Der Stil des Schlosses ist eklektisch (d.h.: verschiedene vergangene Architekturstile werden hier verwendet) mit neugotischen Elementen. Das Schloss ist von einem Park aus der Mitte des 19. Jahrhunderts umgeben. Der Park besteht aus Linden, Eichen, Eschen, Ahorn, Birken, Kastanien und Graupappeln. In der Nähe des Herrenhauses befindet sich eine Reihe junger Lebensbäume.
Das Gut gehörte bis zum Ersten Weltkrieg der Familie Stolypin. Pjotr Stolypin lebte dort mit seiner Familie in der warmen Jahreszeit. Fünf von sechs ihrer Kinder wurden in Kalnaberžė geboren. Pjotr Stolypin war Vorsitzender des Gerichts des Gouvernements Kaunas und Marschall der Adligen des Gouvernements Kaunas, 1902 - Gouverneur von Grodno, 1903 - Gouverneur von Saratow an der Wolga. 1906 - russischer Innenminister, 1906-1911 - russischer Premierminister.
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1910 wurden im Herrenhaus von Kalnaberžė ein Telefon und ein Telegraf installiert. Minister und andere Regierungsbeamte besuchten das Haus, und Hunderte von Soldaten waren zur Sicherheit in der Nähe stationiert.
Es gab Momente, in denen das Russische Reich von Kalnaberžė aus regiert wurde.
Dem Historiker A. Pečiulytė zufolge "war P. Stolypin der Anführer der Adligen von Kaunas, die sich aktiv an den Aktivitäten der orthodoxen Kirche zur „Verwandlung Christi“ beteiligten". Er besaß mehr als 800 ha Land in Kalnaberžė, das er zu einem vorbildlichen Gebiet zu machen versuchte.
Er stellte Mittel für die Einrichtung einer Handwerksschule in Kalnaberžė zur Verfügung und sorgte dafür, dass das Gut Kreicas in Dotnuva gekauft wurde, wo eine Landwirtschaftsschule eingerichtet wurde, die später den Namen Stolypin erhielt.
Er war ein fortschrittlich denkender Politiker, der Russland mit Bildungs-, Recht- und Agrarreformen modernisieren wollte, um es auf den Weg des Kapitalismus (A.K.: die russischen Bauern lebten in Armut und konservativer Agonie, die Stolypin ändern wollte) zu bringen. Es gab elf Versuche, sein Leben zu bedrohen, doch beim letzten Versuch wurde der Politiker erschossen.
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P. Stolypin verließ Kalnaberžė im Jahr 1911 zu seiner letzten Reise nach Kiew, wo er erschossen wurde.
Nach dem Jahr 1921 wurde ein Teil der Ländereien des Gutes an Bauern verteilt. Eine Zeit lang befand sich das Gut im Besitz des Dichters Kazys Binkis. Leider gelang es dem Dichter nicht, Gutsherr zu werden, und das Gut wurde an das Justizministerium übergeben.
Die erste Kolonie für Straffällige in Litauen wurde hier eingerichtet. Eine Zeit lang beherbergte es ein Kinderheim, ein Kinderpensionat und das Büro der Kolchosverwaltung "Žiburys".
Im Jahr 1940 wurde das Gut verstaatlicht und während des Krieges zerstört. Seine Gegenstände wurden geplündert. Nach dem Krieg wurde hier eine Jugendkolonie, 1949 ein Kinderheim und seit 1959 ein Internat eingerichtet.
Später wurde hier die Verwaltung der Kolchose "Žiburys" eingerichtet. Heute ist das Gut Kalnaberžė, das an berühmte Persönlichkeiten erinnert, verlassen, und der Park ist verwildert. Es wurde seinen Besitzern gerichtlich entzogen, weil sie es vernachlässigt und nicht gepflegt hatten.
Jetzt ist es Eigentum des Staatlichen Vermögensfonds. Das Herrenhaus wird renoviert und soll zum Verkauf angeboten werden.
Foto © Edita Mongirdaite
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Vielen Dank an Edita Mongirdaite. Sie ist Managerin/Reiseleiterin im Fremdenverkehrsamt Kedainiai
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Kurze Anmerkung zu Pjotr Arkadjewitsch Stolypin (A.Kuck)
Um die Wichtigkeit des ehemaligen Bewohners von Kalnaberžė Dvaras, Pjotr Arkadjewitsch Stolypin, zu verstehen, einige Anmerkungen zu seiner Person.
Stolypin wurde als Sohn eines russischen Generals und Diplomaten 1862 in Dresden geboren, studierte in St. Petersburg Physik und Mathematik, heiratete Olga Borrissowna Neidhard mit der er fünf Kinder haben sollte. Sowohl Stolypins Familie als auch die seiner Frau waren sehr wohlhabend und besaßen viel Land in ganz Russland.
Litauen gehörte damals zum Zarenreich (Dritte Polnische Teilung seit 1795).
Mit 7 Jahren zog er mit seiner Familie von Moskau nach Kalnaberžė, mit 14 nach Vilnius und mit 17 Jahren nach Oyrol. Kalnaberžė Dvaras aber blieb für sein restliches Lebens sein Lieblingsort.
1889 bis 1902 wurde er Marschall von Kaunas
Mit 27 Jahren war er schon Vertreter der Adelsversammlung in Kaunas. Nach einem Jahr als Provinzgouverneur in Grodno wurde Stolypin 1903 Gouverneur in Saratow an der Wolga.
Durch Maßnahmen gegen die Revolution von 1905 (er führte moderne Polizeimethoden ein. Angeblich ließ er von jedem männlichen Einwohner im Distrikt eine Akte anfertigen) wurde er dem Zaren Nikolaus II. bekannt, der ihn im April 1906 erst zum Innenminister und schon im Juli 1906 zum Ministerpräsidenten machte.
Als Ministerpräsident verhängte er das Kriegsrecht gegen mehrere Gouvernements und setzte Standgerichte ein. Während seiner Amtszeit wurden 5500 Todesurteile vollstreckt. Sein Spitzname war der „Eiserne Premierminister“.
Neben der Bekämpfung der Revolution versuchte er die sozialen Missstände in Russland (einer der Gründe für die Unzufriedenheit) durch Reformen zu lindern. Zwar waren die Bauern seit 1861 theoretisch frei, tatsächlich aber immer noch meist mittel- und landlos.
Er bemühte sich auch um Gewinnung von mehr landwirtschaftlich genutztem Land. Er ließ Bauern mit Vieh und der ganzen Familie mit extra gebauten Eisenbahnwaggons (sogenannten Stolypin Waggons) zum Siedeln hinter den Ural bringen. Inwieweit die Menschen sich freiwillig umsiedeln ließen?
Seine Wagen wurden von den Bolschewisten nach der Revolution auch zum Umsiedeln genutzt. Allerdings waren das todbringende Deportationen der Stalinisten, beschrieben zum Beispiel in Dalia Grinkeviciutes Buch.
Bis heute werde die Wagen gebaut und für Gefangenentransporte genutzt.
Pjotr Arkadjewitsch Stolypin setzte sich auch für einen besseren Umgang mit der jüdischen Bevölkerung ein, da Juden oft an revolutionären Ausschreitungen beteiligt waren. Seine Bemühungen einer völligen Gleichstellung und die Genehmigung von Synagogen wurde vom Zaren „wegen einer inneren Stimme“ abgelehnt.
Mit seinen Reformversuchen (er gilt als einer der letzten großen Staatsmänner des kaiserlichen Russlands, der entschlossen war große Reformen durchzuführen) machte er sich Feinde in allen politischen Lagern. Sein Anwesen in Kalnaberžė bei Kaunas wurde, wie Edita Mongirdaite schreibt, von Hunderten Soldaten geschützt.
Trotzdem wurden mehrere Attentate auf ihn verübt. Bei einem Besuch in der Oper von Kiew wurde er von einem „Sozialrevolutionär“ erschossen.
2008 gab es eine Umfrage des russischen Fernsehsenders Rossija1, in der nach der wichtigsten russischen historischen Peron gefragt wurde. Erster wurde Alexander Newski, zweiter Stolypin und dritter Josef Stalin.
Viel Geschichte also im kleinen Kalnaberžė.