Die litauische Sprache

 

Die litauische Sprache war wirklich schön und wert, gesprochen zu werden. Und er kannte nun seine Lebensaufgabe: Sich stolz zu seiner Herkunft zu bekennen und das Litauentum zu Ehren zu bringen.

Vydunas 700 Jahre deutsch-litauischer Beziehungen  (mehr von Wilhelm Storost über die litauische Sprache unten auf dieser Seite!)

 

Dewas dawe dantes, Dewas dos ir dones!     Hat Gott Zähne gegeben, so wird er auch Brot geben!


Die litauische Sprache gehört zum baltischen Zweig der indogermanischen Sprachen. Sie wird mit den Sprachen der Letten, Kuren, Semgaller, Selen und der alten Preussen [Prussen] zu einer besonderen Gruppe zusammengefasst. Allerdings sind hier Unterschiede zu bemerken. Die lettische Sprache steht zur litauischen im Verhältnis einer jüngeren Schwestersprache, ist durch die nahe Berührung mit dem Deutschen stärker durchsetzt mit fremden Elementen und hat viele Altertümlichkeiten, die das Litauische treulich wahrte, verloren.

Das im grammatischen Bau noch altertümlichere Altpreussische hingegen schien zunächst, soweit man aus den wenigen erhaltenen Resten schliessen konnte, dem Litauischen erheblich näher zu stehen.

 

                    litauisch     lettisch    preussisch
Gott              dievas       dievs       deivs  
Hand            rankas        ruoka      ranko
Kopf             galva         galva       galvo
Eisen            gel(e)zis     dzelzs     gelso
Stahl            plienas       pliens      plainas

 

Ein Vergleich der prussischen Sprache mit der litauischen ist schwierig, weil kaum Aufzeichnungen in prussischer Sprache existieren.

Immerhin dürfen über solchen Ähnlichkeiten auch die grundlegenden Verschiedenheiten zwischen diesen Sprachen nicht vergessen werden, wie sie uns etwa im Wort: Brot- lit. duona, lett. maize und preuss. geitis- entgegentreten.


Sehr häufig findet man daneben den Fall, dass sich das Altpreussische schon in seinem Wortschatz deutlich vom Litauischen und Lettischen abhebt:

                  Litauisch   Lettisch    Altpreussisch

Butter          sviestas    sviests    anktan
Milch           pienas       piens      dadan 

Die moderne Sprachwissenschaft nimmt daher an, dass sich die baltische Ursprache etwa zwischen dem 5. und 3. vorchristlichen Jahrhundert in zwei Äste spaltete-einem westlichen (preussischen) und einen östlichen, dem die Sprachen der Litauer, Letten, Kuren, Semgallen und Selen zuzurechnen wären. Aus dem östlichen Zweige gingen später-vermutlich im elften, zwölften Jahrhundert-die Sprachen der einzelnen Völker hervor.

Die litauische Sprache hat die Eigenart an Substantive ein -as, -is, -us, -a oder -e anzuhängen. So wird ein Bill Clinton zum "Bilas Klintonas" und Brad Pitt zum "Bradas Pittas". Schon ziemlich komisch, aber aus grammatikalischen Gründen scheinbar für die Verständlichkeit unverzichtbar.

Keine slawische Sprache: Es werden lateinische Buchstaben benutzt. Diese wurden mit Sonderzeichen an die litauische Aussprache angepasst.

  • Ą (ą) : Immer ein langes [A] wie in [nach]. Ein [a] ohne Komma wird mal lang und mal kurz gelesen.
  • Ę (ę) Ein langes, offenes [E], also fast schon wie das [ä] in [Ähre]. Ohne Komma wird es mal lang und mal kurz gelesen.
  • C (c) Immer wie das deutsche [Z].
  • Č (č) : Wie das [tsch] in [Matsch].
  • ch Immer kehlig, wie das [ch] in [Bach].
  • Ė (ė) Ein langes, geschlossenes [E], in etwa wie das [ee] in [Meer].
  • Į (į) Langes [i] wie in [Mine]. Das [i] ohne Komma wird immer kurz gelesen (wie in Kinn).
  • Y (y) Auch ein langes [i], also genau wie [ Į ].
  • O (o) Wird zumeist lang und offen wie in [Ohr] gesprochen. Ausnahme: Fremdwörter, in denen es kurz gesprochen wird.
  • Š (š) Wie das [sch] in [Masche].
  • Ų (ų) Immer ein langes [U] wie in [Mut]. Das [u] ohne Komma wird dementsprechend immer kurz gesprochen.
  • Ū (ū) Praktisch identisch mit dem [ ų ].
  • V (v) Entspricht dem deutschen [w].
  • Z (z) Stimmhaft, wie das englische [z].
  • Ž (ž) Wie ein [dsch], also wie das [g] in [Gin].

Allerdings benutzen die Litauer für ihre Monate keine lateinischen Namen, sondern verwenden Bezeichnungen, die noch aus heidnischen Zeiten stammen. Der Monat November z.B. heißt Lapkritis, was "Fallen der Blätter" bedeutet.

 

Nähe zu Sanskrit:

Ähnlichkeiten zwischen Sanskrit und Litauisch

 

Auch in der kroatischen Sprache gibt es einige Worte, die der litauischen Sprache erstaunlich ähneln.

 


Ebenso eine Besonderheit der litauischen Sprache ist die Vielfalt an Diminutiven (Verkleinerungsformen). W.Kalwaitis zählt im "Litauischen Namensschatz" (Tilsit 1910) nicht weniger als 66 Verkleinerungsformen für das Wort "mama"-Mutter auf, darunter sogar ein fünffaches Diminitivum mamaitužužužėlė. Durch die Diminuierung heisst es im Litauischen "varliukštis" (varlé=Frosch), wogegen es im Deutschen einige Wörter mehr braucht (um das Gleiche auszudrücken) nämlich "kleiner armseliger Frosch".

Über die litauische Sprache zur Zeit der Staatsgründung durch Mindaugas ist wenig bekannt. Als Schriftsprache diente das sogenannte Kanzleislawische, eine ostslawische Sprache.

Im 16. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war litauisch die Sprache des Landvolks. In den Städten und im Bildungsbürgertum wurde Polnisch gesprochen (litauisch- polnische Personalunion).

Als Litauen durch die Dritte Polnische Teilung (1795) unter russische Herrschaft geriet, wurde Russisch die dominierende Sprache und litauische Bücher wegen der Aufstände gegen den Zaren zeitweilig verboten.

Heute verstehen viele Litauer neben ihrer Landessprache noch Russisch, die Gebildeten (und jungen Leute) Englisch und manchmal Deutsch.

Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass die litauische Sprache eine slawische Sprache ist. Slawische Sprachen sind z.B. Russisch, Tschechisch und Polnisch. Litauer ohne Russischkenntnisse können sich aber nicht mit diesen Landsleuten verständigen.

 

Lettisch und Litauisch

Für mich hört sich Lettisch im Vergleich zur litauischen Sprache an wie das Holländische zum Deutschen. Meine Frau protestiert aber bei diesem Vergleich und sieht das ganz anders.

Die Letten sagen zum Beispiel "Lab dien (Guten Tag) und die Litauer "Laba diena". Kein grosser Unterschied. 


Litauische Akzente


Im litauischen selber gibt es wieder verschiedene Mundarten, wobei das Hochlitauische (Aukstaitija) und das Niederlitauische (Zemaitija) die wichtigsten sind. Niederlitauisch verhält sich zum Hochlitauischen etwa wie Plattdeutsch zum Hochdeutsch. Aber selbst im Hochlitauischen gibt es natürlich verschiedene Akzente. So kann man z.B. einen Birzaier anhand seiner Sprache seinem Heimatort zuordnen.
Der überraschende Reichtum an litauischen Mundarten auf einem kleinen Territorium wird auf die Abgeschlossenheit der einzelnen Gebiete zurückgeführt.
"Diese war eine Folge jahrhunderterlanger Zurückgebliebenheit und konservativer Beharrung auf ererbter Scholle". (Dr. V. Jungfer).

Quelle: Wikipedia und Dr. Victor Jungfer "Litauen-Antlitz eines Volkes" Nürnberg 1948

 

Von der George Mason Universität aus Virginia gibt es eine Sprachdatenbank, in der Menschen auf der ganzen Welt einen englischen Satz sprechen. Der Satz wird durch den natürlichen Akzent der verschiedenen Sprecher, von Afrikaans bis Zulu verändert. Die litauischen Sprachbeispiele findet man bei Litauen Akzent!

litauen akzent

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Litauiche Sprache

Aus: Wilhelm Storost "Litauen in Vergangenheit und Gegenwart" Tilsit 1916

Die Sprache.

Nun müßte wohl endlich begriffen sein, daß das Litauische mit dem Lettischen und dem untergegangenen Altpreußischen einen besonderen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie bildet. So oft ist das in der jüngst vergangenen Zeit wiederholt. Allerdings wird der eine oder der andere, der etwa eine der älteren Grammatiken zur Hand nimmt, geneigt sein, sie als sehr nah verwandt mit den slavischen Sprachen anzusehen. So führt z. B. die Grammatik von A. Seidel neun Wörter an, um zu zeigen, daß mehrere derselben im Litauischen und Slavischen Vorkommen. Und doch weiß jeder auch nur halbwegs gebildete Litauer, daß vier von diesen Wörtern seiner Sprache Fremdwörter sind, nämlich knyga, ulyczia, bagotas, czystas. Man kann eine mindestens eben so nahe Verwandtschaft mit dem Griechischen, Lateinischen und Germanischen und eine viel nähere mit dem Sanskrit feststellen. Bekannt ist ferner, daß die litauische Sprache von allen lebenden die formenreichste ist. Sie unterscheidet bei der Deklination eine Ein-, Zwei- und Mehrzahl. Und die Zahl der gebräuchlichen Fälle beträgt 7. Dazu kommen noch zwei, die durch besondere Nachsilben gebildet werden, z. B. Dievas, Gott, Dievopi, d. h. zu Gott hin, giria, der Wald, girion d. h. auf den Wald zu.
Die Konjugation ist jedoch sehr einfach. Es gibt nur eine mäßige Zahl verschiedener Endungen. Zur Bildung des Aktivs und Passivs wird nur ein Hilfsverb benutzt. Den Unterschied gibt das Partizipium an, das im

Passiv ein anderes ist als im Aktiv und von jedem Verb in jeder Zeit gebildet werden kann. Die Zahl der Partizipien ist ziemlich groß.
Die Sätze haben den straffen und knapp gehaltenen Bau der antiken Sprachen. Sehr gern wird, um einiges zu erwähnen, der attributive Genitiv zwischen Adjektiv und Substantiv gesetzt; der Ablativus instrument! ist etwas sehr Gebräuchliches im Litauischen; das Hilfsverb wird sehr gern weggelassen; nach allen Verben des Sagens, Wollens u. s. w. wird stets die Möglichkeitsform gebraucht; ganze Märchen werden im Konjunktiv erzählt, für den allerdings die Partizipien eintreten, jedoch durchaus nicht als Notbehelf; die Anwendung von Präpositionen ist eine sehr sparsame und nur im verdorbenen Litauisch häufiger; die Unterordnung von abhängigen Sätzen unter den Hauptsatz ist eine viel engere als im Deutschen, die Nebenordnung wird nicht sowohl durch Bindewörter, als vielmehr durch den Sinn des Satzes bewirkt, u. s. w.
Einen ganz eigenen für die Gegenwart einzig dastehenden Charakter hat die litauische Sprache in rhythmischer Hinsicht. Sie bewegt sich nämlich unter einer Spannung von zwei parallelen Rhythmen, die gleichsam gegeneinander wirken. Der Grundrhythmus ist derjenige des Wechsels von langen und kurzen Läuten oder Silben. Dazu kommt der Wechsel zwischen höherem und tieferem Ton. Und zwar fällt der Hochton oft entgegen der Kraft des langen vollen Lautes auf den kurzen Vokal, z. B. bei einzelnen Wörtern: sūnus, der Sohn, upe, der Fluß. Der Ton wandert aber in den verschiedenen Fällen der meisten flektierten Wörter von einer Silbe zur anderen allerdings immer nur zwischen denselben zwei Silben. Doch hat der Rhythmus des Tones nur sekundäre Bedeutung. Er wird im Volke auch nicht lebhaft empfunden. Und Verstöße dagegen bemerkt man kaum, da der Ton

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im guten Litauisch nie besonders stark werden darf. Die Sprache bewegt sich vielmehr schwebend weiter wie ein Gesang. Deshalb hat sich auch der Formenreichtum bisher erhalten. Ein sehr starker Akzent, besonders wenn er irgendwo festgeworden wäre, hätte wohl die Abschleifung der Endungen zur Folge gehabt. Im Niederlitauischen hat er sich allerdings schon oft auf die erste Wortsilbe gesetzt und bedroht die Existenz der Endungen. Hier ist der Rhythmus des Tones wohl schon ganz zu einem Wechsel zwischen starkem und schwachem Ton geworden, wie auch in manchen anderen Dialekten.
Diese hier gekennzeichnete Eigentümlichkeit der litauischen Sprache wird oft nicht klar, erfaßt. Daher gibt man sich selbst seitens der Litauer ungeheure Mühe um die Betonung und zwar im Sinne einer Tonstärke, während die Länge und Kürze der Laute weniger oder beinahe gar nicht berücksichtigt wird. Man geht der Art der Aspiration sogar sehr genau nach. Und doch ist die verschiedenstarke Betonung durchaus nichts ursprünglich Litauisches.
Die litauische Sprache fällt auch durch ihren Wohllaut auf. Sie ist sehr reich an Selbstlauten. Besonders häufig kommt das a vor; an Doppellauten ist neben anderen uo bemerkenswert. Im Vergleich zur deutschen Sprache kann man in Bezug auf die Häufigkeit der verschiedenen Laute folgende Verhältnisse finden:
a lit. 5, deutsch 2, e lit. 1, deutsch 3, i lit. 2, deutsch 1,
o lit. 3, deutsch 2, u lit. 3, deutsch 2, j lit. 3, deutsch 1,
k lit. 5, deutsch 2, p lit. 2, deutsch 1, r lit. 2, deutsch 3.
n lit. 1, deutsch 2.
Die nicht erwähnten Laute kommen ungefähr gleich oft vor. Diese Beobachtungen machen Setzer in den Druckereien, in denen dieselben Lettern fürs Deutsche und Litauische gebraucht werden. Dem Litauischen

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fehlen f und h, im Deutschen hat inan von litauischen Mitlauten den nicht, der wie frz. j gesprochen wird.
In Bezug auf die Aussprache der Mitlaute ist für das Litauische die Verschiebung der Artikulationsstelle von vorn im Munde nach hinten und umgekehrt charakteristisch. Wohl verfährt der Deutsche bei g und k ebenso; aber er artikuliert beide Laute vorn stets nur vor hellen Vokalen, während der Litauer sie so auch vor dunkeln ausspricht. Dies nachzumachen ist der deutschen Zunge schwierig, und es wird daher der Vokal nach solch einem k meist verändert und in Grammatiken, die sich auf eine litauische Sprache mit deutschem Einfluß stützen auch so gebucht, z. B. sei kia wie kä auszusprechen. Das ist aber ganz unrichtig.
Ähnlich wie mit den erwähnten Lauten verfährt der Litauer auch mit anderen, wie 1, r, s u. s. w. Die Unterschiedewerden von dem deutschen Ohr kaum vernommen. In der Schrift werden sie aber von den Litauern durch ein i vor dunklen Vokalen nach jenen Konsonanten angezeigt: z. B. siūlas, varias.
Bei Zahnlauten hat die Neigung, möglichst vom zu artikulieren, die allmähliche Einschiebung eines halb- vokalischen i, dann eines ganz vorn artikulierten j bewirkt, und schließlich, unter dem Einfluß des Slavischen, zu der eines sch geführt, z. B. matiau ich sah wurde schließlich matschiau. Nach Lippenlauten drängt man gegenwärtig sehr stark auf das j zu, z. B. hat labiau im i einen Halbvokal, der konsequenterweise i zu schreiben ist, aber man versucht wahrscheinlich auch unter dem Einfluß des Slavischen j zu sprechen und zu schreiben. Der lautliche Charakter des Litauischen wird aber dadurch schon verwischt. Doch befindet man sich in litauischen Kreisen hierin durchaus auf dem Wege der Besinnung. Friedrich Kurschat hat mit Feingefühl hier bereits vor Jahrzehnten das Richtige getroffen.

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Im Laufe der letzten Jahrhunderte ist die litauische Sprache sehr wenig anders geworden. Nur ein paar Endungen sind gekürzt, nur ein paar Laute werden regelmäßig weggelassen. Doch ist die Aussprache in den verschiedenen Gauen eine sehr verschiedene. Man zählt im ganzen Litauen etwa 11 Dialekte. Unter ihnen gibt es manche, die einzelne Vokale wie a und o sehr stark trüben, andere, die sie auch nasalieren, andere wieder, die lange Vokale zu Diphthongen umwandeln. Die Sprache der Gebildeten hat aber seit je die reinen und vollen Vokale bevorzugt, wie sie in einer Reihe von Dialekten gesprochen werden. Die Unterscheidung von Hoch- und Niederlitauisch genügt nicht, um die von Litauern allgemein als schön anerkannte Sprache zu charakterisieren. Auch befindet man sich gegenwärtig mitten in einem Prozeß der Belebung des Litauischen, allerdings in erster Linie in Bezug auf seine Ausdrucksfähigkeit.
Dieser Prozeß umfaßt schon eine größere Spanne Zeit, wohl 40 und mehr Jahre. Er ging aus dem Bemühen einzelner gebildeter Litauer hervor, in der angeborenen Sprache das an seelischem Gehalt zum Ausdruck zu bringen, was über das innere Leben der großen Menge hinausgeht. Dabei entstand zuerst eine sehr starke Ablehnung aller Fremdwörter. Wenn sie sich auch nie zu den Späßen der Sprachreinigungs-Gesellschaften der Deutschen verstiegen hat. Man bemühte sich im Gegenteil nachzuweisen, wie viel andere Sprachen, besonders die slavischen aus dem Litauischen entliehen haben. Das scheint auch wirklich noch nicht genügend erforscht zu sein., und würde doch sehr dazu beitragen die Beziehungen dieser Sprachen und die kulturelle Bedeutung aufzuzeigen, die die in Betracht kommenden Völker für einander hatten. Doch wird das wohl eine Aufgabe der litauischen Wissenschaft bleiben.

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Mit der Verbreitung der periodischen litauischen Literatur trat ein neues Element in das Leben der litauischen Sprache. Der Ausdrucksvorrat der verschiedenen Dialekte strömte zusammen. Damit kam eine Fülle von Wörtern in die Sprache der Gebildeten und natürlich auch in die der Schrift. Verschiedene Ausdrücke waren allerdings in ihrem Sinne nicht ganz klar erfaßt. Manche hatten in den verschiedenen Dialekten auch eine verschiedene Bedeutung gewonnen. Für sehr viele Begriffe hatte man eine ganze Anzahl verschiedener Ausdrücke. Nun mußten dieselben in Bezug auf ihre Bedeutung gegeneinander abgegrenzt werden. Dieser Prozeß befindet sich gegenwärtig in vollstem Flusse.
Indessen hat man auch auf andere Weise versucht, dem zuweilen fühlbaren Mangel an Ausdrücken für feinere Innenzustände und auch für Dinge und Verhältnisse der äußeren Kultur abzuhelfen. Es wurden litauische Wörter nach dem Vorbild fremder Sprachen erfunden. Das geschah sehr häufig von Leuten, die gar nicht dazu berufen waren. Und geschieht wohl noch. Aber der Zustrom von Wörtern aus dem Volksmunde verdrängt jetzt ziemlich rasch die konstruierten Wörter. Der Reichtum an urlitauischen Ausdrücken, besonders für das gesamte Geistesleben, hat ja die Litauer selber geradezu überrascht. Die Sammlung und' Verwertung solcher Ausdrücke in der geschriebenen Sprache wird natürlich fortgesetzt. All dies brachte es mit sich, daß auch der Geist der Sprache, die Art litauisch zu denken, immer mehr erfaßt wurde. Slavisches und Germanisches werden im Satzbau bewußt vermieden. Aus der Wortbildung wird ebenfalls fremder Einfluß zurückgewiesen. Die Orthographie paßt man mehr dem Laut der Wurzeln und dem Sprachgeist an, wenn es vielen Litauern auch schwer fällt, über einige ganz grobe unorganische Abhängigkeiten vom Slavischen hinwegzukommen.

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Auf diese Weise entwickelt sich die wegen ihrer Klangfülle schon lange gepriesene litauische Sprache zu einem besonders wohllautenden Ausdrucksmittel des menschlichen Geistes. Auch die zuweilen behauptete Armut der Sprache an Wörtern hat sich als ein von manchen gehegter Traum erwiesen. Trotz der verhältnismäßig geringen Zahl von Menschen, die die litauische Sprache reden, ist sie wahrscheinlich doch diejenige, die von allen lebenden Sprachen die meisten ursprünglichen Wörter besitzt. Auch kann man bei sehr vielen von ihnen viel leichter als in einer anderen Sprache bis zur Grundbedeutung durchdringen.

Das Lied.

Bis vor wenigen Jahrzehnten hat sich die litauische Sprache keiner besonderen Pflege erfreut. Sie gedieh wie ein Naturgewächs. Um so wunderbarer ist die Volkspoesie, die aus dieser Sprache aufgeblüht ist. Es gibt eine unübersehbare Fülle von litauischen Volksliedern. Natürlich enthalten sie nicht alle wirkliche Poesie. Doch gibt es unter ihnen sehr viele von zartestem und tiefstem Empfinden. Wie schlicht sie auch manchmal sind, so gehören sie doch zu dem Schönsten, was ein Volk je an Poesie ersonnen. Der Gegenstand ist wie stets beim Volksliede in der Hauptsache das Verhältnis der Geschlechter zu einander. Dann aber werden auch alle anderen Fragen des ländlichen Lebens berührt. Immer geschieht das auf ungemein zarte Art. Und wenn irgend etwas, so ist das litauische Volkslied ein Lob auf das Gemüt der litauischen Nation.
ln der Form sind diese Lieder sehr einfach. Besonders original erscheint die drei- und fünfzeilige Strophe. Der Reim wird in ernsteren Liedern durchaus verschmäht. Was Robert Hamerling in Bezug auf ihn für die deutsche Sprache sagt, gilt in weit höherem Grade für die litauische. Mit ihrem wunderbaren Rhythmus verlangt sie geradezu den Verzicht auf den Reim. Aller-

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dings ist ein kunstgerechter Rhythmus im litauischen Lied ebensowenig wie im deutschen zu finden. (Eine kleine Studie über die litauischen Volkslieder, die Dainos, hat Dr. Franz Tetzner bei Reclam in Leipzig herausgegeben.)
Seit geraumer Zeit erklingt die Daina nicht mehr in alter Weise und bei weitem nicht mehr so häufig. Die neue Zeit mit ihrer materiellen Kultur ist auch in Litauen wirksam. Und wie sie anderswo schon längst das Volkslied erstickt hat, so nimmt sie auch hier dem Liede den Atem. Doch ist in Litauen ihm noch etwas anderes gefährlich geworden. Das sind die fremden, nämlich polnischen, russischen und deutschen Lieder. Sie zogen an, weil sie als etwas Neues reizten. Sie wurden gelernt und nachgeahmt. Dadurch aber wird die selbstschaffende Kraft, die dem Wesen des Sängers entspringt, abgeschnürt. Bei der Nachahmung kann sich die schöpferische Kraft nur unter bestimmten Umständen entfalten.
Indessen hat man angefangen litauische Volkslieder zu sammeln. Zuerst taten das Deutsche, später aber auch die Litauer selber, dann gar Polen und Suomen. Und eine ganz erstaunliche Menge von Texten und auch von Melodien ist so aufgeschrieben worden. Die größte Sammlung ist die von Anton Juschkewitsch. Die Melodien dazu sind von Sigmund Noskowski und Joh. Baudouin de Courtenay in Krakau 1900 herausgegeben. Eine andere größere Sammlung ist die von Chr. Bartsch, Heidelberg, Carl Winters Universitäts-Buchhandlung 1888. Bedauerlicherweise ist hier vom litauischen Texte stets nur die erste Strophe gedruckt. Eine sehr wertvolle Sammlung ist schließlich von dem suomischen Gelehrten Dr. A. R. Niemi und dem Litauer Pfarrer A. Sabalauskas veranstaltet und von der Suomalainen Tiedeakatemia (Finnischen wissenschaftlichen Ge-

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Seilschaft) 1912 herausgegeben. Dort findet man sehr interessante Bemerkungen über das litauische Lied. Die Vorrede ist auch in deutscher Sprache verfaßt.
Gleichzeitig mit diesen Bemühungen ging ein anderer Wandel im Leben des litauischen Liedes vor sich. Seit jeher sind die Dainos nicht nur von einzelnen, sondern auch von mehreren und zwar mehrstimmig gesungen worden. Während nun die Solisten sich immer seltener hören ließen, wurden die Terzette, Quartette und Chöre häufiger, In jedem Dorfe, jeder Stadt, auf jedem Gut gab es bald solche. Nun gewöhnte sich die Menge immer mehr ans Zuhören, die Chöre dagegen sangen um so fleißiger. Und in manchen Gegenden erlangten sie sogar einen bedeutenden Ruf.
Schließlich traten auch litauische Musiker auf, die in Leipzig, Paris, Mailand, Petersburg usw. musikalische Studien gemacht hatten. Sie schufen kunstgemäße Sätze für alte, halbvergessene und meist vernachlässigte Volksweisen. Sie komponierten neue Melodien, ja Operetten unter ausgiebigster Verwertung von Volksmotiven. Und sie leiteten jene Dorfchöre und schulten deren Sänger und Sängerinnen zu konzertmäßigem Vortrag. Russisch-Litauen hat eine Menge von solchen Chören. In preußisch Litauen war der litauische Gesang-Verein tätig, der in verschiedenen Städten und größeren Ortschaften jährlich bis zu zehn Konzerten veranstaltete, in denen ausschließlich Volkslieder und neuere Kompositionen mit Motiven aus den Dainos von einem gemischten Chore vorgetragen wurden. Der litauische Gesang-Verein erfüllte, was die Bemühungen von Eduard Gisevius in Tilsit, diesem Freunde litauischer Art und litauischen Liedes, schon mehr als 20 Jahre vorher erstrebt hatten.
Von bekannteren litauischen Komponisten seien genannt: M. Tschurlonis, T. Sasnauskas, Mikas Petraus-

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kas, St. Schimkus, Naujalis. Von Tschurlonis gibts eine Sammlung von Volksliedern für Schulen in zwei und mehrstimmigem Satz, erschienen in Warschau 1909, ferner verschiedene symphonische Werke, die noch der Herausgabe harren. Sasnauskas hat eine Reihe von Werken, polyphone Bearbeitungen von Volksliedern für gemischten Chor und auch eigene Kompositionen veröf-fentlicht. Petrauskas, der selber Sänger ist und noch vor dem Kriege nach Amerika übersiedelte und dort ein litauisches Konservatorium der Musik leitet, hat eine ganze Reihe von Werken geschaffen. Hierher gehört auch die schon erwähnte Hochzeit, ferner sei genannt das Singspiel Birutė, die Operetten: Schienäpiutis (Heuernte), Dümschlostis ir Malūnininkas (Schornsteinfeger und Müller). Von St. Schimkus gibt es eine Reihe von sehr anmutigen Liedern für eine Singstimme und eine äußerst glückliche Auswahl von Dainos für gemischten Chor. Naujalis hat verschiedene Kompositionen weltlichen und geistlichen Inhalts geschaffen.
Im preußischen Litauen ist eine Sammlung mehrstimmiger Dainos, bearbeitet von Albert Storost, von P. W. Wolff und Karl Janz bekannt unter dem Titel: Litauische Volksweisen, Tilsit 1904. Von P. W. Wolff und Richard Fricke sind einige litauische Dainos auch noch ausschließlich für deutsche Chöre bearbeitet worden. Eine Sammlung von 33 Liedern mit Volksmelodien oder Volksmotiven für 3 und 4 Stimmen sind auch von mir selber 1909 in Tilsit unter dem Titel Lietuvos Varpeliai herausgegeben.
Der Krieg hat all diesem Leben ein Ende gemacht. Aber aus den gegebenen Andeutungen ist mehreres zu entnehmen. Das litauische Lied ist aus engen Kreisen, in denen es zu ersterben schien, in die Öffentlichkeit getreten. Statt in stiller Beschaulichkeit wird es mitten im tatfreudigen Leben gepflegt. Schließlich ist es Ge

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genstand künstlerischen Schaffens geworden. Der litauische Kunstgesang war also eben dabei, sich ohne irgend einen merklichen Bruch aus dem Volksgesang zu entwickeln.
Auch das geistliche Lied besonders im preußischen Litauen ist, wie schon einmal bemerkt, in seiner Melodie echt volkstümlich und trägt durchaus einen eigenen Charakter. Man findet hier oft auch die sogenannten griechischen Tonarten wieder. Die Melodien sind wahrscheinlich ehemals solche von Dainos gewesen, denen man religiöse Texte untergelegt hat. Eines fällt jedoch sehr stark auf, nämlich daß sowohl diese jetzt kirchlichen Melodien wie auch diejenigen der Dainos im preußischen Litauen ein viel altertümlicheres Gepräge haben als die Weisen im russ. Litauen, trotzdem in beiden vielfach dieselben Motive zu finden sind. Eine ausgezeichnete kleine Studie über den Charakter der litauischen Volksmelodien hat Tschurlonis im zweiten Teil der Schrift seiner Gattin: Lietuvoje, Vilnius 1910 gegeben.

Älteres Schrifttum.

Man kann in Büchern über Litauen, auch in denen der letzteren Jahre fast beständig die Wendung finden, daß die litauische Nation nur einen Nationaldichter besitze, der Christian Donalitius (lit. Duonelaitis) heißt und von 1714—1780 unweit Gumbinnen gelebt hat. Das ist aber nicht ganz richtig. Donalitius hat didaktische Epen über die vier Jahreszeiten und ein paar Fabeln um die Mitte des 18. Jahrhunderts geschrieben, die aber erst 1818 mit einer deutschen Übersetzung von Rhesa herausgegeben sind. Von letzterem rührt auch die zusammenfassende Überschrift: Die Jahreszeiten, her.
Die Epen sind in Hexametern verfaßt, die leichter fließen als Goethes und Schillers Verse in griechischem Maß. Das liegt allerdings an der litauischen Sprache. Doch hat auch unser Dichter seinen Anteil daran. Er war ein

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Meister seiner Sprache und besaß die Gabe der poetischen Schilderung in ganz besonderem Grade. Die Bilder aus dem Natur- und Menschenleben während eines Jahrlaufes sind sehr lebendig und von packender Wirklichkeitskraft. Und seit Rhesa sind die Epen des Donalitius das Sprachstück, an dem man die litauische Sprache zu studieren pflegte. So gewannen sie aber auch an Bedeutung. So wurden ihre Schönheiten aufs genaueste betrachtet. Und schließlich waren dann die „Jahreszeiten“ die einzige litauische Dichtung, die erwähnt zu werden verdiente.
Dennoch gibt sie trotz der vornehmen Hexameter, trotz des Reichtums an poetischen Bildern dem gebildeten Litauer der Gegenwart nicht mehr viel. Ihre Sprache ist von slavischen Ausdrücken, für die man sehr gute altgebräuchliche litauische Wörter hat, geradezu überladen. Zu dem ist der behandelte Gegenstand völlig bar jeder höheren Idee, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß die Darstellung von einer tiefen Empfindung getragen und die in Betracht kommenden Umstände von einem überlegenen, wenn auch beengten Geiste beleuchtet sind. Das Dichtwerk konnte auch seinerzeit keine größere Wirkung auf die Litauer ausüben, weil es ihnen nur wenig bekannt geworden ist. Seine Sprache und auch sein Inhalt haben darum fast nur kulturhistorische Bedeutung.
Über die litauische Sprache besagt aber diese Dichtung doch noch etwas Besonderes. Vor ihr gab es nichts Ähnliches im Litauischen. Sie ist gleichsam aus dem Nichts emporgestiegen mit einem wunderbaren Schimmer. Das ist für die litauische Sprache voll von Verheißungen. Aschenbrödel ist in Wirklichkeit doch Prinzessin.
Die Werke von Donalitius stehen aber durchaus nicht allein. Wohl sind andere noch kleiner an Umfang, an poetischem Gehalt aber bleibt z. B. die Dichtung Anykschtiü Schilelis (Der Hain von Anykschten) von Antanas Baranauskas hinter den „Jahreszeiten“ durchaus nicht zurück.

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Sie sind allerdings fast 100 Jahre später entstanden, jedoch kaum 40 Jahre später durch den Druck veröffentlicht und weit mehr hei den Litauern bekannt geworden, als die Jahreszeiten. Von Baranauskas gibt es außerdem noch eine Reihe größerer Gedichte, wie z. B. die „Erinnerung an die Vergangenheit“.
Baranauskas hatte wie auch andere litauische Dichter, auch solche der Gegenwart, eine sonderbare Eigentümlichkeit. Er bewahrte seine Dichtungen meist lange Zeit bei sich auf. Halb gezwungen nur las er sie vertrauten Freunden vor.
Erwähnt seien hier neben den Dichtungen von Baranauskas diejenigen von Dionysius Poschka (f 1831): Brief an Tadäus Czaskis, Mein Gärtlein, Der Bauer in Szemai- ten und Litauen; ferner die Dichter und Schriftsteller Antanas Drasdauskas, Simanas Stanevitschus, Simanas Daukantas, der dicke Bände über die Geschichte Litauens geschrieben hat, Laurynas Ivinskis, Motiejus K. Valanschus, der neben anderem als Bischof eine ganze Menge litauischer Schriften meist kirchlichen Inhalts und eine Geschichte des Bistums Samogitien verfaßt hat.
Im preußischen Litauen ist als litauischer Schriftsteller um die Mitte des 19. Jahrh. vor allem Friedrich Kurschat mit seiner Zeitschrift Keleiwis bekannt, der später der Anlaß wurde zur Gründung einer ganzen Reihe von Zeitungen, in denen meist einfache Landleute als Dichter und Schriftsteller zu Worte kamen.
Als älteste Schriften in litauischer Sprache werden die Übersetzung von Luthers Katechismus durch Martin Mosvidius (Maszvydas) Königsberg 1547 und die Postilla Katolicka des Mikalojus Daukscha, Vilnius 1599, genannt. Es gibt auch noch mehr Schriften aus jener Zeit. Sie alle dienten kirchlichen Zwecken. Im preuß. Litauen wurden Kirchenlieder in litauischer Sprache schon 1589 und 1591 eine Postille von Janis Bretkūnas herausgegeben. Von

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ihm ist auch zuerst die Bibel ins Litauische übersetzt, doch nicht gedruckt. Erst 1735 erschien die Bibel in litauischer Sprache.
Die bisher bekannte älteste litauische Aufzeichnung litauischer Worte zeigt bemerkenswerter Weise ein litauisches Gürtelband, eine Juosta, aus dem Jahre 1512. Sie gehört einem Herrn Poege in Dresden, in dieses Band ist eine sehr bekannte Daina eingewebt, die ins Deutsche unrhythmisch übertragen lautet: Ich wuchs bei der Mutter und kannte keine Mühen. Wandelte im Garten und wand mir den Rautenkranz. Ich ging aus dem Garten und öffnete die Pforte. Da fiel mir der Kranz vom Haupte. Diese Notiz in Dr. Gaigalat, Lietuvos Nusidavimai, Tilsit.)
Liest man darüber, wie sehr man sich im preußischen Litauen in Theologenkreisen bemüht hat, den Litauern Kirchenlieder, Predigten und die Bibel in ihrer Sprache zu geben, so kann man sich kaum des Gefühls erwehren, daß alle diese Leute unter der Sugestion gestanden haben, die litauische Sprache sei zum Tode verurteilt. Kaum ist auch nur bei den Litauern unter jenen Autoren das hoffnungsvolle, lebendige Quellen litauischer Sprachkraft zu spüren.
Anders geht der Weg, der vom Volksliede weiter führt. Seit jener ersten Aufzeichnung auf der litauischen Juosta gibt es wiederholt kleine Sammlungen litauischer Volkslieder. Eine besonders glückliche, wenn auch kleine Sammlung ist die von L. Rhesa, Königsberg 1825. Wie Rhesa gesammelt haben mag, ist aus seinen deutschen Gedichten in Prutena, Königsberg 1809 und 1824, zu ersehen, in denen er das Schicksal des altpreußischen (litauischen) Volkes in rührender Weise besingt. Volksliedersammlungen der verschiedensten Art, wie die erwähnten und noch andere, z. B. Rūtų Lapeliai von Vilius Kalvaitis, sind dann lange Zeit die eigentliche litauische

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Literatur gewesen. Auch muß durchaus beachtet werden, daß die Volkslieder, die gedruckt waren, noch im Gedächtnis des Volkes fortlebten, daß also die Aufzeichnungen nur Beweise waren, daß das Volk Sprachschätze besaß, die es sich selber immer wieder schuf.

Neueres Schrifttum.

Eine sehr verhängnisvolle Zeit fing für das litauische Wort im russischen Litauen mit den 60 er, im preuß. mit den 70 er Jahren des 19. Jahrhunderts an. Die letzte polnische Revolution, an der sich auch Litauer beteiligten, war von der russischen Macht mit Leichtigkeit überwunden. Aber während die Polen ihr Schrifttum weiterpflegen durften, wurde den Litauern untersagt, mit gewohnten, lateinischen Lettern ihre Schriften zu drucken. Dem gegenüber fingen die Litauer erst recht an, selbständig zu sinnen und zu schreiben. Und sie achteten weder Kerker noch Sibirien. Ja von dort her kamen Lieder in Briefen und gingen von Mund zu Mund. Sie wurden gesungen und reizten zu weiteren Schöpfungen, die nun aber nicht mehr wie die alten Volkslieder bloß auf einen engen Kreis von Erlebnissen beschränkt blieben, sondern das Schicksal der Heimat und der Muttersprache zum Gegenstand hatten.
Der russische Zwang hörte nicht auf. Zu ihm gesellte sich polnische Verachtung und polnischer Spott. Trotz allem aber sangen, dichteten und dachten die Litauer nur um so lebhafter in ihrer Sprache. Doch mußte heimlich gedruckt, und heimlich mußten die Schriftwerke verbreitet werden. Wie man früher den Liedern lauschte und sie lernte, so nahm man jetzt das gedruckte Blatt und las und prägte sich das Gelesene ein. Dieses war aber durchaus volkstümlicher Art. Nur war der Gegenstand größer, umfassender geworden.
Immer sind es auch Litauer von Bildung, die sich an einem solchen Schrifttum beteiligten. Und sehr viele Na-

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men gewinnen heute noch immer mehr Klang bei den Litauern. Es seien nur genannt Petras Arminas, Visztalus, Jonas Schlüpas. Im preußischen Litauen war der Name des deutschen Litauerfreundes Dr. Georg Sauerwein, des Lehrers und Freundes von Carmen Sylva, bestens bekannt. Ihm verdanken die Litauer manches sinnige Lied. Schließlich kam man dazu 1883 in Ragnit ein Literaturblatt erscheinen zu lassen, die Auschra (Morgenröte). In Form von Heften wanderte sie in die Häuser der russischen und auch der preußischen Litauer.
Später erschienen auch Bücher verschiedenen, sogar wissenschaftlichen Inhaltes, die zum Teil im preuß. Litauen, zum Teil in Amerika gedruckt und in ganz Litauen verbreitet wurden. Bald sind die Namen verschiedener Schriftsteller bekannt. Unter ihnen steht an erster Stelle Vincas Kudirka. Und es berührt eigentümlich, wenn man 1899 in Zweck, Litauen S. 194 lesen konnte: „Heute sind die in litauischer Sprache erscheinenden Zeitungen die einzigen literarischen Kundgebungen von dem geistigen Leben der Nation“, während die gebildeten Litauer auch in Preußen neben verschiedenen Originaldichtungen Schillers Teil, Jungfrau von Orleans, Byrons Kain u. s. w. bereits in ihrer Sprache lasen und Alexander Guszutis eine Reihe von Dramen herausgegeben hatte. Und das etwa 10 Jahre, bevor jenes Wort geschrieben war.
Guszutis nimmt bewußt Bezug auf Sagen und geschichtliche Überlieferungen. Das religiöse Moment ist von Bedeutung in seinen Dichtungen. Seine Personen treten häufig mit Gesang auf und schreiten in Reigen. Man sieht den Dichter gleichsam aus seinem Volkstum hervortreten.
Aus jener Zeit gibt es auch ein Lustspiel mit stark satirischem Gehalt. Es ist dies Amerika Pirtyje (Ame-

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rika im Badehaus) von Keturakis, Tilsit 1895. Auch hier merkt man sehr deutlich den Puls des Volkstümlichen.
In jener Zeit beginnen auch meine eigenen schriftstellerischen und dichterischen Versuche in litauischer Sprache Allerdings haben sie nicht die Bedeutung, die meinen späteren Arbeiten zuerkannt worden ist.
Neben Kudirka treten noch andere Namen auf. So werden vor allem einige Frauen bekannt. Szemaitė, Bitė, Schatrijos Ragana u. a. In ihnen haben wir aber auch wie in Kudirka bereits bewußt schaffende Schriftsteller. Szemaitė zeigt in ihren Erzählungen bei ihren realistischen Naturschilderungen und Darstellungen von Scenen aus dem Dorfleben sehr starke Verwandtschaft mit Duonelaitis. Und die anderen legen mit allem, was sie schreiben, durchaus Zeugnis ab von einem feinen hochkultivierten Innenleben. Das ist bedeutsam. Meist sind es die Frauen und Mädchen in Litauen, welche die Dainos singen und zum Teil wohl auch ersinnen. Wieder sind es Frauen, die im Schriftum mit im Vordergründe stehen.
Als Lyriker werden um jene Zeit vor allein Maironis und dann der früh verstorbene Vaitschaitis bekannt. In beiden haben wir Dichter, die schon weit ab vom Volkstümlichen stehen. Aber sie sind Dichter von Gottes Gnaden.
Neben ihnen gibt es noch mehrere, die das litauische Wort ebenfalls mit tiefer Empfindung zu sprechen wußten, doch müssen sie hier unerwähnt bleiben.
Etwas Neues für das litauische Schrifttum brachte das Jahr 1904. Die russische Regierung erklärte, daß das Verbot litauischer Schriften mit lateinischen Lettern zu Unrecht erlassen sei. Und nun begann in Litauen zu schreiben, wer nur die Feder zu führen gelernt hatte.
Ganz unheimlich schnell wuchs die Zahl der litauischen Schriften. Besonders wurde viel übersetzt, leider fast nur wertloses Zeug aus der deutschen, polnischen,

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russischen Literatur, dann aber auch aus der französischen und englischen. Hierbei waren besonders die Litauer in Amerika geschäftig.
Ein ganz sonderbares Spiel. Leute, die vielleicht sonst eine Dainä mit mehr oder weniger Empfindung einem kleinen Zuhörerkreis gesungen hätten, glaubten nun auch durch ein Geschreibsel anderen etwas bieten zu können. Und so viele Sänger und Dainos Litauen gehabt hatte, so viele Schriftsteller konnte es jetzt aufweisen. Nur konnten diese ihren Volksgenossen nichts weiter zeigen als ihre Eitelkeit, Beschränktheit und Unwissenheit. Aber es waren auch nicht jene alten Sänger der Dainos, die jetzt schrieben. Es waren wenigstens in der Mehrzahl Leute, die ihrem Volkstum bereits entsagt und sich anderswo zu betätigen versucht hatten, nun aber bemerkten, daß sie daheim eine Rolle spielen könnten ohne wirkliches ernsthaftes Streben, ohne lebendige Ideale im Busen. So sind denn völlig wertlose Sachen auf den Büchermarkt gebracht, die keinen Heller wert sind. Und Litauen hat sie nach Tausenden gekauft und gelesen, als ob es danach heißhungrig gewesen wäre.
Sehr bezeichnend ist es nun, daß wiederum eine Frau dagegen Stellung nahm. Im Jahre 1910 erschien die bereits genannte Schrift: Lietuvoje (In Litauen) von Sofia Tschurlonis geb. Kymantas, in» welcher die Verfasserin mit hinreißendem Schwung gegen diese wertlose Literatur und gegen alle die Flachheit in der neuen „nationalen“ Bewegung eifert. Und auch tiefer greift. Ihre Kritik geht bis zur Forderung sittlicher Persönlichkeiten. Auch will sie, daß der Zusammenhang mit dem Volkstümlichen überall, im Schrifttum wie in der Kunst gewahrt bleibe.
Die Schrift ist vielfach als eine zu herbe Kritik aufgefaßt und getadelt worden. Aber sie scheint doch Eindruck gemacht zu haben. Nur Amerika blieb mit seinem Geschäftemachen unempfindlich. Die Verfasserin hatte

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aus der Seele herausgeschrieben. Und sie ist selber eine Dichterin. Ihre Schöpfungen sind nicht umfangreich. Aber wer ihre Jura (Das Meer) gelesen hat, die allerdings erst während des Krieges im Pirmasai Bäras veröffentlicht ist, der muß dieser Dichtung eine ganz besondere Stelle und Bedeutung zuschreiben. Die Jūra trägt allen Zauber der Dainos. Sie ist nur in der Form von ihnen verschieden. Und doch ist die Verfasserin eine Frau mit Hochschulbildung. ln ihr sehen wir also das bewußte Festhalten an dem Volkstümlichen, an dem Urlitauischen. Und diese Bewußtheit hat durchaus nicht zu Künsteleien geführt, sondern zu einem wirklichen Dichtwerk.
Doch es sei nochmals gesagt: es ist die prinzipielle Bedeutung, die dieser Schriftstellerin diese auffallende Stellung verschafft. Neben ihr steht eine ganze Reihe von Erzählern und Sängern. Manche von ihnen haben ebenfalls in sehr glücklicher Weise die Überlieferung der Volkspoesie ins künstlerische Schaffen übernommen. Und ihre Zahl ist durchaus nicht klein. Erwähnt seien von Erzählern Vincas Krėvė, von Lyrikern Liudas Gira. Doch gibt es noch sehr viele, die ebenfalls erwähnt zu werden verdienten. Und nur um die für Weiterungen uninteressierten Leser nicht zu ermüden, muß darauf verzichtet werden.
Abseits von dieser geraden Linie, die sich aus dem Fundament des Volkstümlichen erhebt, stehen die schon erwähnten Schriftsteller, die in der Mehrzahl noch leben und schaffen. Doch ist ihre Wirkung durchaus der eben erwähnten Richtung gleich. Und sie haben ihren Kreis auch noch um manche fruchtbare Kraft vermehrt.
Erwähnt sei Lazdynu Pelėda, die in ihren sehr anschaulichen Erzählungen zuweilen ein dramatisches Talent offenbart. Sie ist insofern noch besonders bemerkenswert, als sie durchaus an litauische volkstümliche Vorstellungen und Stoffe anknüpft. Auf psychologische Vertiefung ist

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allerdings bis jetzt noch nicht viel Gewicht gelegt. Nur der Roman Bludas von J. Dobilas macht eine sehr beachtenswerte Ausnahme, wenn auch die Komposition des Werkes nicht ganz befriedigt. Gewisse bekannte litauische Charaktertypen sind jedoch mit viel Liebe herausgearbeitet.
In der dramatischen Literatur sind es nur wenige, die an eine Zeichnung litauischer Charaktere gehen. Genannt sei hier Blinda von Szemkalnis. In Blinda haben wir einen in vielen Erzählungen und Überlieferungen bekannten litauischen Charaktertyp. Nur mangelt es dem Werk an dramatischer Kraft.
In meinen eigenen Dichtungen habe ich litauische Stoffe aus der Volkssage und Geschichte verarbeitet und Volkstypen wiederzugeben versucht, besonders in den kleinen Lustspielen.

Zeitschriften.

Im preußischen Litauen hat es seit 1832 eine litauische Zeitung gegeben. Damals fingen die „Nusidäwimai“, ein Missionsblatt, an zu erscheinen. Das Blatt existiert noch. Seit 1849 wurde der „Keleiwis“ (Wanderer) in Königsberg von Friedrich Kurschat herausgegeben. Er brachte auch politische Nachrichten. Um 1880 erschienen verschiedene Zeitschriften, die jetzt zum Teil drei Mal wöchentlich, andere, die wöchentlich, vierzehntägig und monatlich einmal herausgegeben werden. Sie sind in der Hauptsache politische Zeitungen, zum Teil verfolgen sie kirchliche und nur eine Monatsschrift hatte allgemeine, besonders ethische Bildungszwecke. Es war dies der von mir herausgegebene „jaunimas “ (Jugend). Die meisten dieser Zeitschriften sind mit gotischen Lettern gedruckt.
Die erste litauische Zeitung in Amerika begann 1885 zu erscheinen. Es ist dieses die „Vienybė Lietuvninku“.

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Sie erscheint noch. Anfangs hieß sie anders. Gegenwärtig gibt es 35 litauische Zeitungen in Amerika.
Im russischen Litauen hat man ebenfalls seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts litauische Zeitschriften. Sie wurden fast ausnahmslos in Tilsit gedruckt und mit Einsetzung des Lebens über die Grenze gebracht und übers Land verteilt. Sehr viele von den dabei beteiligten Personen haben dafür lange Kerkerstrafen, manche auch den Tod erlitten.
Seit 1904 aber nahm die Zahl dieser Zeitschriften sehr rasch zu. Nun wurden sie im russisch. Litauen selber gedruckt. In Vilnus erschien sogleich gar eine Tageszeitung, die Vilniaus Szinios (Vilnuser Nachrichten). Sie konnte sich aber auf die Dauer nicht halten. Doch wurde die Zahl der wöchentlich, halbmonatlich und monatlich erscheinenden Zeitschriften immer größer. Und vor dem Kriege gab es bis zum September 1915 sogar zwei Tageszeitungen, die in Vilnus erschienen, die Viltis und die Lietuvos Szinios. Die Zahl der Abonnenten war verschieden. Doch war sie bei manchen Zeitungen recht bedeutend. Der in Seinen erscheinende Schaltinis machte einmal bekannt, daß er über 50 000 Leser habe.
Die Gesamtzahl der vor dem Kriege erschienenen Zeitungen betrug 25 (falls nicht eine oder die andere übersehen ist). Unter ihnen befand sich auch eine illustrierte Halbmonatsschrift der „Vairas“ (das Ruder).

 

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