Universität Vilnius
Die schöne alte Universität von Vilnius liegt mitten in der Altstadt und ist die älteste Universität des Baltikums und eine der ältesten Universitäten in Nordeuropa.
Gegründet wurde sie 1579 als Jesuiten Akademie durch Stefan Bathory, Großfürst von Litauen und König von Polen. Der Adel bat die Jesuiten um Hilfe bei der Gründung einer höheren Lehranstalt. Die Universität Vilnius ist somit fast 200 Jahre älter als die in Moskau, was durchaus zu Spannungen führte, als die UdSSR noch existierte.
Einer der dreizehn Innenhöfe der Universität
Lehrsprache war Latein und Litauer stellten ca. ein Drittel der Schüler. Die anderen waren Deutsche, Polen, Schweden und Ungarn.
1575 stiftete Fürst Mikolaj Radziwill eine Druckerei, aus dem das älteste erhaltene litauische Buch stammt, ein Katechismus von 1595.
1753 wurde das Observatorium gebaut, das erste in Polen-Litauen und erst das vierte in Europa.
Ein weiter Hof
„In den runden Zimmern der Türmchen waren Teleskope aus dem achtzehnten Jahrhundert erhalten geblieben. Hier befand sich das Observatorium, das der Jesuit Martin Poczobutt errichtet hatte. Durch diese Teleskope beobachtete er die Kometen, den Merkur, die ersten Asteroiden; einmal, so seine Zeitgenossen, als er versuchte, die Umlaufbahn des gerade entdeckten Uranus zu präzisieren, war er nach mehreren schlaflosen Nächten so erschöpft, dass er einen Blutsturz erlitt und sich schon auf den Tod vorbereitete. Er verzeichnete auf den Himmelskarten ein neues Sternbild, das zu Ehren des letzten polnisch-litauischen Königs »Der Stier von Poniatowski« (Taurus Poniatovii) genannt wurde; voll Stolz brachte es Poczobutt auf einem Basrelief zwischen den anderen Sternzeichen unter. Von dort gelangte man durch einen niedrigen Torbogen in den größten und schönsten Hof, der den Namen des ersten Rektors Skarga trägt. Wenn der Poczobutt-Hof an ein idyllisches, halbdunkles Zimmer erinnert, so tut sich hier vor dem Auge des Betrachters ein weiter, italienischer Platz auf, an drei Seiten von gelblichen elliptischen Bögen umgeben und an der vierten von einer auffälligen Fassade begrenzt. Sie ist wie eine Orgel gestaltet, an der rechts ein mächtiger rechteckiger Glockenturm emporragt. Manche vergleichen ihn mit San Marco in Venedig.
Kirche des Heiligen Johannes
Die Fassade neben dem Glockenturm ist das vielleicht vollkommenste Werk von Johann Christoph Glaubitz. Der Architekt verschmolz sie mit der alten, sehr großen Johanniskirche. deren Inneres fast noch gotisch ist. Die Kirche hatte schon Jogaila gebaut. Ihr war die erste Schule in Vilnius und ganz Litauen angeschlossen, die Universität gründete man am gleichen traditionsreichen Ort. Die Fassade von Glaubitz ist Spätbarock, wahrhaft monumental, doch sie verflüchtigt sich gleichsam in die Luft. Ihre Mauer besteht ausschließlich aus Bögen und Wölbungen, wie ein Gewebe breitet sie sich aus - Säulenbündel verknüpft mit Nischen, Voluten, geschwungenen Karniesen und metallenen Ornamenten.
In der Johanneskirche. Rechts der Altar
Das mehrgeschossige Bauwerk wird nach oben schmaler, sein Relief leichter, und setzt sich gegen den Himmel mitschwungvollen, nichteuklidischen Bögen ab. Es bleiben weder Statik noch Materialität: die Architektur verneint sich selbst, sie dringt in die Sphären von Poesie und Musik vor. Vom gleichen Stil ist die kaleidoskopische Komposition der zehn Altäre im Inneren der Kirche - eigentlich gab es sogar zweiundzwanzig Altäre, doch die meisten wurden in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zerstört; damals wurden die zu Schuttgeschlagenen Skulpturen und Plastiken auf dreitausend Wagen abtransportiert.“ Tomas Venclova „Vilnius“ S.96
Der Smuglevicius Lesesaal. Untergebracht im früheren Speisesaal.
Fresken im Smuglevicius Lesesaal
Smuglevicius Lesesaal. Heute eher ein repräsentativer Raum.
Wenn Könige die Universität besuchten, mussten die Studenten ein Gedicht in ihrer Muttersprache verfassen. Es fanden sich bis zu 18 Sprachen. Auch das erste weltliche finnische Gedicht entstand in Vilnius.
1773 änderte man die Unterrichtsprache von Latein zu Polnisch. Auch als Litauen russisch besetzt war (ab 1795) blieb die Unterrichtssprache polnisch. Russisch kam zum Lehrplan hinzu. 1823 war die Universität von Vilnius eine der größten Unis in Europa.
Mit Unterbrechungen arbeitete die Universität bis heute. Weil der polnische Adel gegen den Zaren aufbegehrte (Novemberaufstand 1830) wurde die Uni von 1832 bis 1919 geschlossen.
Dazu schreibt Czeslaw Milosz:
"Das auf dem Kongreß geschaffene, auf einem seltsamen Prinzip aufgebaute Königreich Polen - der autokratische russische Zar war zugleich konstitutioneller König von Polen - lehnte sich gegen das Imperium auf, und es kam zum polnisch-russischen Krieg von 1830/31. Die Romantik war, in die Sprache der Politik übersetzt, eine nationalistische Bewegung und trat, im Namen der Befreiung der Völker, gegen die Großreiche auf. Ihre Ideen fanden vor allem unter der Jugend Verbreitung, und so rächte sich denn die russische Monarchie, indem sie die Universitäten schloß. Die Universität von Wilna hörte für lange Zeit auf zu bestehen."
Die Straßen von Wilna S.28
In den Nachkriegswirren des I. Weltkrieges gab es verschiedene Versuche die Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen. Da aber mal die Russen regierten, dann die Litauer und wieder die Polen konnte die Universität nicht öffnen. Erst als Polen das Vilniuser Gebiet 1922 einnahm, konnte die Universität wieder arbeiten. Die litauischen Lehrkräfte verließen Vilnius und gingen an die Universität Kaunas.
Der weiße Lesesaal. Von hier gelangt man zur Sternwarte
1937 kam es zu ersten antijüdischen Diskriminierungen.
1939 besetzte die Sowjetunion Polen und Litauen und „schenkte“ Vilnius den Litauern. Kurze Zeit wurde die Universität von Litauern geleitet. Als erste Maßnahme wurden alle Schüler (3000) rausgeschmissen und den Professoren gekündigt. Sie mussten ihre Wohnungen verlassen. Die Universität wurde „Lituanisiert“. Einige ehemalige Lehrkräfte wurden von den Sowjets in Katyn ermordet.
Dann kam die deutsche Besatzung bis 1944.
Eingang und Treppe hoch zum Observatorium. Oben erwartet sie ein schöner Blick auf Vilnius
1955 wurde die Vilnius Universität in Vincas Kapsukas Universität (litauischer Kommunist) umbenannt
Das Gezerre der Nationen um die Universität war für den großen litauischen Gelehrten Tomas Venclova nervig:
„Diese Konkurrenz um die Universität kann man, wie alles nationalistische Gezänk, belächeln- oder auch fürchten. Die Kränkungen und Beschwerden der drei Völker [Litauer, Weißrussen und Polen] sind nicht aus der Luft gegriffen. Aber es ist eine Misere des neunzehnten, besonders des zwanzigsten Jahrhunderts. In der Zeit davor war die Universität von Vilnius weder litauisch noch polnisch, noch weißrussisch: sie war wie alle Universitäten jener Zeit Europäisch.“
T. Venclova „Vilnius“
Der J.Lelevelis Lesesaal Eindrucksvoll sind die Fresken.
„Ein Rektor der Universität, von vielen als wahrer litauischer Patriot verehrt, pflegte gerne stolz (aber nicht öffentlich) zu konstatieren, sein besonderes Verdienst für sein Land bestünde in der Beseitigung des ‚Polentums‘.“ T. Venclova „Der magnetische Norden“
Mit dem Studienjahr 1989/90 wurde der Studiengang Marxismus/Leninismus gestrichen. Seit 1990 ist die Universität wieder eine litauische Lehranstalt in einem demokratischen Staat. 2020 waren fast 20.000 Studenten eingeschrieben. Die Universitätsbibliothek umfasst 5,3 Millionen Bücher.
Ein besonderes Highlight (und gar nicht so alt) sind die 1976-84 gemalten Deckenfresken im „Zentrum für Lituanistik“. Die Fresken, nach Motiven der Baltischen Mythologie, erinnern an Hieronymus Bosch. Der Maler heißt Petras Repšys und Enstehungshintergrund war der 400. Jahrestag der Gründung der Universität.
"Vestibül des Zentrums für Litauische Philologie
Das Zentrum für Litauische Philologie befindet sich im zweiten Stock des östlichen Gebäudes des Sarbievius-Hofs. Das Vestibül ist mit dem Fresko "Die Jahreszeiten" des Künstlers P. Repšys geschmückt, das in den Jahren 1976-1985 entstand. Es ist in einer al-fresko Technik an den Bögen und oberen Wänden gemalt. Die Wandmalereien sind überwiegend in kräftigen Ocker- und Brauntönen gehalten, die Gewölbe in Dunkelblau. Farbe und Komposition der Fresken harmonieren ideal mit dem Innenraum, legen die strukturellen Elemente der Architektur frei und schaffen ein einheitliches künstlerisches Umfeld. Der Inhalt ist der litauischen Mythologie entnommen und enthüllt ein nationales Konzept der Weltharmonie. Die paradoxerweise realistische Darstellung von tanzenden und auf verschiedenen Instrumenten spielenden Figuren verdeutlicht die fantastische Natur der mythischen Welt. Aus all dem schafft der Künstler eine beeindruckende, unvergessliche Vision." Aus einer alten Ausstellung der Vilnius Universität (Danke Nijolė Bulotaitė!)
Das riesige Ensemble der historisch gewachsenen Universität (es gibt 13 Höfe, wirklich dreizehn!) besteht aus den in Litauen vorherrschenden Baustile:
Gotik, Renaissance, Barock und Klassizismus.
Petras Repšys Fresken 400 Jahre Universität Vilnius
Am schönsten sind die neueren Fresken von Petras Repšys.
Petras Repšys Fresken
Petras Repšys Fresken
Die Jahreszeiten
Sie können ungehindert auf dem Universitätskampus und auf den Höfen schlendern. Auch die Universitätskirche ist für Besucher offen.
Eine Innenbesichtigung ist nur nach Anmeldung möglich. Besonders interessant sind die Lesesäle (Smuglevicius, Lelevelis und Weißer Lesesaal). Der Smuglevicius Lesesaal mit den schönen Deckenfresken befindet sich im alten Refektorium (Speisesaal).
Entweder mit einem Reiseführer/in oder man fragt bei der Uni an:
Bibliothek der Universität Vilnius
https://biblioteka.vu.lt/
oder telefonisch:
+37052687103
Kleiner Tipp:
Achten sie bei der Organisation der Besichtigung darauf, dass die Räume mit den Fresken (sowohl die im Smuglevicius Saal, als auch die „Jahreszeiten“) sowie die Sternwarte in der Führung inkludiert sind.
Möchten sie sich auf Litauen vorbereiten, schauen sie mal bei unseren Bücherrezensionen vorbei. Tipp: Tomas Venclova, Vilnius