Litauen 1940
Die russische Okkupation Litauens im Jahre 1940 gehört zu den einschneidendsten Ereignissen im litauischen Nationalempfinden.
Die litauische Unterstützung an der Ermordung der litauischen Juden ("Litauischer Holocaust") hat viel mit der Besatzung 1940 zu tun. Juden konnten unter den sowjetischen Besatzern erstmalig in der Verwaltung arbeiten. Durch ihre Bildung wurden sie oft als Dolmetscher eingesetzt. Viele Juden hatten auch Sympathien zum Sozialismus der Sowjetunion. Religiöse Juden dagegen hatten naturgemäß nichts mit dem atheistischen Kommunismus zu tun [AK: Deshalb ist diese ganze Gleichsetzung der Nazis: Jude = Kommunist] eigentlich Unsinn. Geschichtlich betrachtet war die Sowjetunion (neben der Auswanderung) für die litauischen Juden die einzige Chance, die Folgejahre zu überleben.
Was führte zu dieser Besetzung und was haben die litauischen Juden damit zu tun?
Warum wurde Litauen, das ehemals große Teile Osteuropas bis zum Schwarzen Meer beherrschte, überhaupt von Russland besetzt? Dazu ein kurzer Überblick über die litauische Geschichte:
Der litauische Großfürst Jogaila war 1385 durch Heirat mit Königin Hedwig von Polen und Konvertierung zum Christentum zum König von Polen geworden.
Somit entstand die Litauisch- Polnische Personalunion.
Durch diese politische Einheit kam es 1569 zur Realunion von Lublin. Die polnische Kultur und Sprache dominierte schon lange über das zahlenmäßig viel kleinere Litauen. Damit hörte Litauens Existenz als eigenständiger Staat auf.
1795 kam es zu den "Polnischen Teilungen"; Russland, Preußen und Österreich teilten sich Polen schrittweise untereinander auf; Litauen gehörte damit zu Russland. (Zu den polnisch-litauischen Aufständen gegen die Okkupation siehe auch "Tadeusz Kosziuszko").
Russland war geschwächt durch den I. Weltkrieg und durch innere Unruhen (Bolschewisten). Dies ermunterte Litauen (noch unter deutscher Besatzung) am 11. Dezember 1917 die eigene Unabhängigkeit (mit wirtschaftlich/politischer Bindung an Deutschland) auszurufen. Im Februar 1918 machten sie dies noch einmal, diesmal aber ohne Bindung an das Deutsche Reich.
Litauen war ein unabhängiger Staat mit wechselnden (teils diktatorischen) Regierungen. In Folge des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September 1939 (als Nachtrag zum Hitler-Stalin-Pakt) kam Litauen von der deutschen in die russische Einflusssphäre. Sofort übte die UdSSR Druck auf den litauischen Staat aus und verlangte Militäreinheiten zu stationieren und Flughäfen zu eröffnen.
Antanas Snieckus
Am 15. Juni 1940 marschierte die Rote Armee ein, und moskautreue Politiker wie Antanas Snieckus übernahmen die Regierung.
Am 3. August 1940 trat Litauen den Staaten der Sozialistischen Sowjetrepubliken bei. Nun bekamen auch die Litauer das zu spüren, was alle anderen Menschen in Stalins Einflussgebiet vom Sozialismus wahrnahmen: Folter, Umsiedlung, Bespitzelung, Gulag (Besserungsarbeitslager des stalinistischen Repressionssystem) und Ermordung.
Es begann die Kollektivierung der Landwirtschaft (die auch von den Nazis später nicht rückgängig gemacht wurde).
Ausstellung über die litauischen Deportierten nach Sibirien im Sela Museum
Am 14. Juni 1941 begannen die Deportationen von Litauern nach Sibirien. Etwa 30000 Litauer, darunter 5- 6000 Juden wurden nach Sibirien deportiert. (G. Schroeter, Ghetto von Wilna).
Ende Mai 1941 arbeiteten im litauischen NKWD (später KGB) knapp 17 % Juden. Juden engagierten sich proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil stärker für den Kommunismus, als die Litauer. Dies änderte sich mit verstärktem Eintritt der Litauer in die kommunistischen Organisationen wieder.
Dadurch, dass es den Juden bisher nicht erlaubt war in Verwaltungsämtern zu arbeiten, fielen die Juden in russischen Diensten den Litauern auf.
Juden wurden zum Synonym für die verhassten Kommunisten.
Viele Litauer sehnten sich nach Befreiung durch Deutschland (das Deutsche Reich stand ja schon an der Grenze).
Die Litvaks (ahnend, was die Deutschen ihren Glaubensbrüdern in den von ihnen besetzten Gebieten antaten), waren zwischen Begeisterung für Stalin und berechtigter Sorge und Angst hin und her gerissen.
Auch wenn sie unter den sowjetischen Besatzern genauso litten wie die Litauer, waren die Kommunisten das kleinere Übel.
Die russische Besatzung mit seinen Deportationen und der ungewöhnliche Einsatz von Juden in der Verwaltung, ließ den Hass der Litauer, geschickt gesteuert von Antisemiten der LAF (Litauische Aktivisten Fron, siehe LAF, PG und der Judenmord) und der deutschen Nationalsozialisten, extrem anwachsen.
Durch die Verallgemeinerung: Jude= Kommunist, entlud sich der Hass mancher Litauer am Tag des Angriffs der Wehrmacht (22.6.1941) nicht nur auf die fliehende Rote Armee, sondern auch auf die Litvaks, die gesamte litauische jüdische Bevölkerung.
Der litauische Aufstand gegen die Rote Armee am Tag des deutschen Angriffs (gegen ihren Bündnispartner Sowjetunion) war teils spontan, teils durch die LAF gesteuert. Litauische Stimmen weisen aber auch darauf hin, dass es nicht sehr vernünftig war, auf die abziehende Rote Armee zu schießen. Es kam zu heftigen Kämpfen und sogar zu Massakern durch die Rote Armee.
Natürlich war der Aufstand eine willkommene (und so geplante) Hilfe für die anrückende Wehrmacht.
Die Rote Armee musste fluchtartig Litauen verlassen, da sich die Deutschen "blitzartig" näherten. Kriegsbeginn war am 22. Juni 1941, die Wehrmacht traf in Kaunas bereits am 24.6.1941 ein, auch dieses ein Hinweis darauf, dass der Angriff schon lange vorher geplant war.
Beim Aufstand der litauischen "Partisanen" steuerte Berlin wieder geschickt durch die von ihnen unterstützte LAF (Litauische Aktivisten Front - Lietuviu Aktyvistu Frontas) den Judenhass.
"In den ersten Tagen nach dem Ausbruch des deutsch-russischen Krieges beherrschten Horden von pro-hitlerischen Litauern die Stadt. Die deutsche Armee war noch nicht in Kowno einmarschiert, als bereits Mordtrupps der Litauischen Aktivisten Front aus dem Untergrund auftauchten und in der Stadt wüteten. Sie nannten sich "Partisanen - Befreier Litauens", aber die Bevölkerung nannte sie "Weißbänder", wegen ihrer weißen Bänder, die sei am linken Ärmel ihrer zivilen Kleidung trugen...
Die sogenannten "Befreier" verübten in jener Nacht an den Juden von Kowno und der Vorstadt Slobodka schreckliche Pogrome. In Slobodka ermordeten sie mit Messern und Hacken über 1000 Juden. Einen Teil verbrannten sie lebendigen Leibes in ihren Häusern. In Kowno holten die "Weißbänder" rund 2000 Juden aus ihren Wohnungen, zerrten sie nach draußen und erschossen sie in den Höfen, Straßen und außerhalb der Stadt - im Neunten Fort, einer Außenstation des "Gelben Kerkers"..." Alex Faitelson, Im jüdischen Widerstand S.20).
Nach dem Krieg zogen sich viele "Partisanen" zurück in die Wälder und bekämpften die erneuten russischen Besatzer in der Hoffnung auf eine baldige Hilfe durch den Westen, oder zogen sich mit den Deutschen in Richtung Westen zurück.
So der ehemalige litauische Präsident Adamkus, der dann später von Deutschland in die USA auswanderte.
Im Nachhinein betrachtet war dieser Kampf sinnlos.
Epilog: Nicht alle Partisanen waren Antisemiten oder gar am Holocaust beteiligt. Die litauischen Patrioten hatten das Recht, gegen die (russischen) Besatzer zu kämpfen, und es ist nicht ehrenrührig (wie in der Geschichte von Valdas Adamkus, dem litauischen Präsidenten), sich mit den deutschen Truppen kämpfend nach Westen zurück zu ziehen.
Aber Fragen müssen erlaubt sein: Warum kämpften die Litauer zwar gegen die sowjetische Besatzung, aber nicht gegen die deutsche? (Die einzigen aktiven Kampfgruppen gegen die Deutschen bestanden aus Juden und Kommunisten).
Zwar gab es neben Polen auch in Litauen (als die einzigen von Deutschland besetzten Länder) keine nationalen SS-Verbände - dennoch war die Hilfe der Verwaltung und des Militärapparates, besonders in den ersten Jahren der Besatzung, sehr hilfreich für Nazideutschland.