Lost Shtetl Šeduva
Auf jiddisch heißt das jüdische Dorf, die Heimat der Juden „Shtetl“. Kleine Stadt. Die meisten Juden in Europa lebten im sogenannten Ansiedlungsrajon von Russland in der Gegend von Litauen, Weißrussland und der Ukraine. Für Litauen gilt, dass die meisten Städte mehrheitlich von Nicht-Litauern bewohnt waren. Meist Juden und Polen. 31 der 35 Geschäfte in Šeduva vor dem Krieg gehörten Juden.
Das Zusammenleben der Litauer mit ihren jüdischen Nachbarn war relativ friedlich. Allerdings kam es Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Aufleben des Nationalismus in Europa und litauische Nationalisten begannen die oft erfolgreicheren Juden in Litauen als störend zu empfinden.
Begrüßung auf dem Šeduver Marktplatz
Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Litauen und dem Aufstand der Litauischen Aktivisten Front (LAF) begann der Holocaust in Litauen. Mit Hilfe der litauischen Partisanen (Weißarmbändler oder auf Litauisch Baltaraiščiai) und der litauischen Verwaltung begann die nahezu vollständige Auslöschung der litauischen Juden.
Die Deutschen erreichten Šeduva am 25. Juni 1941. Die Repressionen gegenüber den Šeduver Juden begann. Juden, die für die sowjetischen Besatzer gearbeitet hatten, wurden sofort verhaftet und ermordet. Die Überlebenden 664 Juden wurden ghettoisiert und am 25. August 1941 in einem zehn Kilometer von Šeduva entfernten Wald bei Liaudiškiai vom Rollkommando Hamann (Einsatzkommando 3) und Litauern vom Tautinio Darbo Apsaugos Batalionas (TDA, Nationales Arbeitsschutzbataillon) ermordet und verscharrt.
Auszug aus dem Jäger Report über die in Šeduva getöteten Juden (Blatt 3)
Es wurde noch gebaut und Fotos gab es nur aus der Ferne
Das Lost Shtetl Projekt begann mit dem Aufräumen des Šeduver jüdischen Friedhofs, der direkt an das neue Museum anschließt. Die vormals reiche jüdische Kultur war vollständig ausgelöscht. Es kam die Idee von Juden mit ehemals familiären Beziehungen zu Šeduva auf, hier an die verlorene Kultur und die Taten der Mörder zu erinnern. Angeregt wurde es durch den litauisch-jüdischen Schriftsteller und Geschäftsmann Sergey Kanovich, Sohn des berühmten litauischen Autors Grigory Kanovich.
Das Museum ist neben dem MO-Kunstmuseum in Vilnius nun schon das zweite große privat finanzierte Museum in Litauen. Die Wahl des Ortes, also Šeduva, erstaunt ebenso wie die Größe und die ambitionierte Architektur des Museums. Šeduva ist ziemlich weit von jeglichen Tourismusströmen in Litauen entfernt. Das Äußere, wir haben das Museum noch vor der Fertigstellung im Mai 2024 besucht, erinnert an das Guggenheim Museum in Bilbao, und verspricht sehr interessant zu werden.
Für die litauische Museumslandschaft, den Tourismus und die Erinnerung an den Holocaust bestimmt ein riesiger Gewinn.
Jüdischer Friedhof Šeduva
Interessant sind die im Vorfeld der Eröffnung auftretenden unnötigen Spannungen von Leuten, die eigentlich auf Seiten der jüdischen Opfer stehen. Zum Beispiel wurde ein vom Museum in Auftrag gegebener Film abgelehnt und soll durch einen amerikanischen Filmemacher neu gedreht werden. Spekulationen über die Gründe und Anfeindungen kamen auf.
Der alte Friedhof liegt direkt am Museum
Erinnerung an die verlorene jüdische Kultur in Šeduva
Meiner Meinung, nach Besichtigung der Außenanlagen, ist das Museum sehr vielversprechend und hat eine schöne Architektur (verantwortlich hier ist der finnische Architekt Rainer Mahlamäki).
Es soll im Jahre 2025 eröffnet werden.
Die Links zur Kontroverse stehen weiter unten. Interessant auch die Adaption der Litauer. Steht doch schon das Denkmal hinter dem Šeduva Schriftzug auf dem ersten Bild im Kontrast zwischen der Sicht vieler Litauer und der von überlebenden Juden oder geschichtlich Interessierten. Auf dem Denkmal steht eingraviert "Für die Partisanen im Distrikt 1944 bis 1953". Niemand weiß, wer von diesen Partisanen ein früherer "Baltaraiščiai ", LAF Anhänger, Kollaborateur der Nazis oder Mitglied des TDA war. Deshalb gibt das, meiner Meinung nach, für den Beobachter immer einen bitteren Beigeschmack, den viele Litauer natürlich komplett anders sehen.
https://defendinghistory.com/defending-history-proudly-supports-saulius-berzinis/114111
https://defendinghistory.com/the-holocaust-in-seduva-a-town-in-northern-lithuania/108579
Noch ein Video über die jüdischen Spuren in Šeduva. Nicht für jeden interessant und etwas langwierig, zudem schlechte Tonqualität:
Link zur Webseite des Museums: https://lostshtetl.lt/
Das Lost Shtetl Museumsprojekt in einer Dronenaufnahme des Fotografen Sigitas Mikutis
Mit freundlicher Genehmigung des Lost Shtetl Museums. Da wo der grüne Pfeil ist, liegt der alte jüdische Friedhof. Links davon das Museum.
Interessant, neben dem Lost Shtetl Projekt, ist noch die Kreuzauffindungskirche:
Kreuzauffindungskirche von 1640-49
Šeduva, Kreuzauffindungskirche
Die Renaissancekirche in Seduva hat übrigens barocke Eigenschaften. Die Orgel soll wertvoll sein. Die vorher existierende Holzkirche stammte von 1512. Der Erbauer, Jeronimas Valavicius, war auch für die Kathedrale in Siauliai verantwortlich. Die Kirche soll einer der ältesten und kostbarsten religiösen Bauten Litauens sein.