Aber der Himmel-grandios

Dalia Grinkeviciute      Verlag Matthes & Seitz 2014

 

 Grinkeviciute Aber der Himmel-grandios

Dalia Grinkeviciute, geboren 1927 in Kaunas, wurde mit ihrer Familie kurz vor dem deutschen Einmarsch in Litauen 1941 von den Sowjets nach Sibirien deportiert. Dalias Vater war ein hoher Beamter in der litauischen Nationalbank. Sie besuchte das Gymnasium, Oper, Musik und klassische Kultur waren ihr nicht fremd. Also eine potentielle Gefahr für die russischen Besatzer.

 

In Viehwagons ging es wochenlang in den äußerst nord-östlich gelegenen Teil der Sowjetunion. Den anderen baltischen Völkern, aber auch den Finnen, Weißrussen und Ukrainern erging es ebenso.

 

Die 14 jährige überlebte die Hölle der Arktis und konnte 1949 nach Kaunas fliehen. Dort schrieb sie ihre erlebte Geschichte auf lose Blätter, bis sie vom KGB gefunden und erneut nach Sibirien verschleppt wurde. Glücklicherweise konnte sie ihre Aufzeichnungen in einem Einweckglas in ihrem Garten verstecken. Sie wurden 1991, vier Jahre nach Dalias Tod gefunden und sind heute im litauischen Nationalmuseum in Vilnius.

 

Die deutsche Erstausgabe ist 2014 ist in einer ausgezeichneten Übersetzung erschienen. Ich habe lange kein so gutes, spannendes, aufklärendes, trauriges und zugleich witziges Buch gelesen.

 

Die Gruppe Litauer mit Dalias Familie, wurde mit Viehwagons, Lastkraftwagen und Booten bis an den Fluss Lena, an Jakutsk (der Hauptstadt Jakutiens) vorbei, in das Mündungsgebiet der Lena am Laptewsee gebracht. Die Jahresdurchschnittstemperaturen in Jakutsk liegen laut Wikipedia bei ca. -10°C. Schien der Transport im August 1941 anfänglich noch wie Urlaub zu sein, fing das Sterben spätestens auf der Lena beim Bootstransfer an. 

Die Litauer wurden in der Tundra ausgesetzt, weil irgendjemand Verrücktes die Idee hatte, hier in der Einöde eine Siedlung zu erbauen. Es gab aber nichts. Die Litauer mussten sich schnell Unterstände bauen, so genannte Jurten. In Litauen kann man eine im Freilichtmuseum Rumsiskes sehen. Dort steht, dass die Jurten in Wahrheit nicht so komfortabel waren, wie die ausgestellte. Heute, nach der Lektüre des Buches, habe ich das auch endlich verstanden.

 

Die Erdhäuser (Jurten) waren noch nicht fertig, als der arktische Winter einbricht. Die Organisation der Siedlungsgründung war sozialistisch, dass absolute Chaos. Die Menschen hatten kaum Baumaterial, kein Essen, keine Kleidung und kein Holz zum heizen. Es gibt in der Tundra keine Bäume, und die Holzstämme im Fluss konnte man nicht mehr bergen, weil bei minus 50 Grad der Fluss einfror.

 

Wie die Litauer diesen ersten Winter überlebten, mit welchen Opfern und welcher Verrohung, ist unglaublich zu lesen. Gleichzeitig erfreut den Leser Dalias scharfes Auge und ihre nicht minder scharfe Zunge, wenn wir bei der Lektüre Details aus diesen schweren Jahren für die Litauer erleben. Der Sozialistische Sowjetstaat, der ja (theoretisch) gut für seine Bürger sorgt, hat die Deportierten glatt vergessen oder ihren Tod billigend in Kauf genommen. Ich glaube es war den Verantwortlichen schlicht egal! 

 

Die Jurten waren nicht dicht, Wind, Schnee und Kälte kommen herein. Bei einem der heftigsten Schneestürme, sind die Menschen in der Jurte 12 Tage eingeschlossen und beinahe alle Tod. Der Schnee um das Haus ist hoch wie das Dach. Nach 12 Tagen wird durch den Schornstein gefragt, ob noch Lebende da seien. Brote werden von oben hineingeworfen und das Leben der Verbannten gerettet.

 

Grinkeviciute hat mir die Dimension der Deportationen für Litauen deutlich gemacht. Etwa 130.000 Litauer wurden deportiert, ca. 28.000 starben. Die Bedeutung der Deportationen sind im nationalen Bewusstsein der Litauer enorm.

 

(Die während der deutschen Besatzung umgebrachten 200.000 litauischen Juden werden dagegen gerne vergessen.)

 

Das Buch schildert aber nicht nur das Leid und den Überlebenswillen der Litauer, sondern wir erfahren aus erster Hand, was die Deportierten erlebten. In Litauen werden die litauischen Juden bis heute häufig undifferenziert für ihre Mitarbeit in den sowjetischen Okkupationsbehörden verantwortlich gemacht.  Ich kann hier nicht ins Detail gehen, dass steht alles in der Rubrik "Geschichte". Umso mehr erfreut es mich, dass Grinkeviciute in ihren Aufzeichnungen ein völlig anderes Bild der Juden zeichnete. Dass Juden (überproportional) auch deportiert wurden, ist in Litauen meiner Erfahrung nach den Wenigsten bewusst. Sie schreibt von litauischen Despoten und freundlichen, hilfsbereiten Juden.

 

Während des Transportes sieht Dalia andere Züge mit Letten, Finnen und Esten. Die Menschen erfahren vom Ausbruch des Krieges und hoffen auf eine Rückkehr in die Heimat. Hoffnung ist in Russland aber trügerisch. So wird gestreut, dass der Weg nach Amerika ginge. Manche glauben lange daran. Der Hunger begegnet den Menschen im Viehwagon an jedem Bahnhof. Hungernde betteln die armen Litauer an, die jetzt noch etwas haben. Amerika begegnet uns nicht nur als Ziel der Hoffung, viele Lebensmittel und Materialien kommen aus Übersee.

 

Die sozialistische Wirtschaft wird geschildert und der Leser denkt, kein Wunder das dort (UdSSR) alles zusammen gebrochen ist.

 

"Jeder Tag, jede Stunde ist ein kräftezehrender Kampf gegen den Tod, gegen die schrecklichen Klauen der Arktis, bei jedem Schritt im Eis und Schnee schreit es dir zu: "Stirb, stirb nur, erfriere, verrecke, sei unsere Beute!" Wir sind abgestumpft, uns berührt kaum noch etwas. Leichen, Typhus, Skorbut - uns ist alles egal."

 

Fazit: Nicht nur für Litauen-Interessierte ein wichtiges, informatives und spannendes Buch. Es ist ein Dokument über die Gulags, wie Tomas Venclova im Nachwort schreibt, auf Augenhöhe mit Werken von Solschenizyn und Schalamow.

 

Unbedingt kaufen!!

 

Deportationen Litauen Sibirien

Karte von Google Maps

 

Dalia Grinkeviciute Manuskript

Die in einem Einweckglas gefundenen Originalblätter

 

Litauische Deportierte in Sibirien

Litauische Deportierte in Sibirien beim Netze flicken

 

 

Dalia Grinkeviciute

Dalia Grinkeviciute

Fotos © Litauisches Nationalmuseum

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