Der ehemalige Wehrmachtsoldat Wilhelm Gunsilius machte folgende Zeugenaussage bei einer Vernehmung bei der Polizei Blaubeuren am 11.11.1958:

"In der Höhe meines ausgemachten Quartiers stellte ich am Nachmittag eine Menschenansammlung fest in einem nach drei Seiten umfriedeten Hof einer Tankstelle, der nach der Strasse durch eine Menschenmauer abgeschlossen war. Dort fand ich folgendea Bild vor: in der linken Ecke des Hofes war eine Gruppe von Männern, im Alter zwischen 30 und 50 Jnhrar.. Es müssten etwa 45 - 50 Personen gewesen sein, die von einigen Zivilisten zusammengetrieben und in Schach gehalten wurden. Die Zivilisten waren mit Gewehren bewaffnet und trugen Armbinden, wie sie auf den Bildern, die ich damals machte, abgebildet sind. Ein junger Mann, es muss sich um einen Litauer gehandelt haben, im Alter von ca. 16 Jahren, mit aufgekrempelten Hemdärmeln, war mit einer eisernen Brechstange bewaffnet. Er zog jeweils einen Mann aus der Gruppe heraus, erschlug ihn mit der Brechstange durch einen oder mehrere Hiebe auf den Hinterkopf. Auf diese Weise hat er innerhalb einer dreiviertel Stunde die ganze Gruppe von 45 - 50 Personen erschlagen. Von diesen Erschlagenen  machte ich eine Reihe von Aufnahmen, die ich mach dem Kriege noch in meinem Archiv gefunden habe, und die ich als Dokumentarmaterial  gerne leihweise zur Verfügung stellen will. Ich bitte aber darum, dass mir die Bilder oder Kopien davon wieder zurückgereicht werden, Nachdem alle erschlagen waren, legte der Junge die Brechstange beiseite, holte sich eine Ziehharmonika, stellte sich auf den Berg der Leichen und spielte die litauische Nationalhymne. Die Melodie war mir unbekannt, und ich wurde von Umstehenden belehrt, dass es sich um die Nationalhymne handle.
Das Verhalten der anwesenden Zivilpersonen (Frauen und Kinder) war unwahrscheinlich, denn nach jedem Erschlagenen fingen sie an zu klatschen, und bei Beginn des Spiels der Nationalhymne wurde gesungen und geklatscht, Es standen Frauen in der vordersten Reihe mit Kleinkindern auf den Armen, die den ganzen Vorgängen bis zum Ende beigewohnt haben. Ich erkundigte mich bei Deutschsprechenden, was hier vorginge, dabei wurde mir folgendes erklärt: Die Eltern des Jungen, der die anderen erschlagen hat, seien vor zwei Tagen aus dem Bett verhaftet und sofort erschossen worden, weil sie als Nationaliaten verdächtig waren, und das hier sei jetzt die Rache des jungen Mannes. Ganz in der Nähe lag eine Reihe toter Menschen, die nach Aussage der Zivilpersonen zvwei Tage vorher von abrückenden Kommissaren und Kommunisten getötet worden wwren. Solange ich mich noch mit Zivilpersonen unterhielt, wurde ich von einen SS-Offizier angesprochen, der mir meine Kamera abverlangte. Ich konnte ihm dies verweigern, da ioh erstens eine Dienstkamera hatte, und zweitens einen Sonderausweis vom AOK. 16, der besagte, dass Ich überall fotografieren durfte. Ich erklärte dem Offizier, dass er diese Karnern nur über Generalfeldmarschall Busch erreichen könnte. Daraufhin konnte ich ungehindert gehen. Bei meiner Dienststelle ist der SS-Offizier nicht vorstellig geworden, denn ich hörte nichts mehr von ihm. Der Dienstgrad des SS-Offiziers ist mir nicht mehr ganz klar, Ich meine aber, dass er 3 Sterne am Kragenspiegel hatte. Auch weiss ich nicht, welcher Einheit er angehörte und welche Aufgaben diese Einheit in Kowno hatte. Die SS-Einheit des SS-Offiziers gehörte jedenfalls nicht unserer Wehrmachtseinheit an. Ich habe mir wohl darüber Gedanken gemacht, um welche Einheit es sich dabei gebandelt haben kann, war aber durch meine Aufgaben und meinen kurzen Aufenthalt in Kowno nicht in der Lage, die Einheit des SS-Offiziers festzustellen. In Kowno hielt ich mich etwa 8 - 10 Tage auf. Weitere Erschiessungen bzw. Tötungen habe ich in Kowno nicht mehr erlebt.
Wir sind damals von Kowno aus nach Dünaburg abgerückt. Erst dort habe ich durch Gespräche mit Kameraden gehört, dass in Kowno Erschiessungen stattgefunden hätten.
Noch während meines Aufenthaltes in Kowno beobachtete ich von unserem Quartier aus - dieses ist auf einem der Bilder im Hintergrund zu sehen, das Bild wird mit einem Kreuz versehen - wie Bewaffnete und mit Armbinden versehene Litauer immer wieder Gruppen von Peronen verschiedenen Alters und verschiedenen Geschlechts durch die Strassen der Stadt trieben. Wenn ich so etwas sah, bin Ich, soweit es mir möglich war, meist schnell mit einer Kamera auf die Strasse gegangen und habe diese Gruppen aufgenommen. So entstanden auch die beiden noch in meinem Besitz befindlichen Bilder, die ich ebenfalls leihweise zur Verfügung stelle. Während meines Aufenthaltes in Kowno habe ich über das Schicksal dieser durch die Strassen getriebenen Menschen nichts erfahren. Erst in Dünaburg hörte ich durch nachrückende Wehrmachtseinheiten, dass die Litauer ihre persönlichen Feinde und deren Angehörige alle umgelegt hätten. In Kowno habe ich nicht ausdrücklich davon gehört, dass die Litauer vorwiegend die jüdischen Bevölkerungsteile festnehmen und erschiessen würden. Ich brauchte aber damals nur die durch die Strassen getriebenen Menschengruppen anzusehen und wusste schon durch ihr Erscheinungsbild, dass es sich vorwiegend um Juden handelte.
 
Ich werde gefragt, ob ich damals irgendwelche Feststellung getroffen habe, dass diese Massnahmen der Litauer von deutscher Seite her gesteuert worden sind. Dazu muss ich sagen, dass ich damals derartige Feststellungen nicht habe treffen können, erst lange Zeit später sind mir die Zusammenhänge durch andere Dinge, die ich in diesem Zusammenhang erfahren habe, klarer geworden Es dürfte auch in Kowno wohl so gewesen sein, obwohl ich hierzu nichts konkretes sagen kann, schon das Auftauchen des SS-Oifiziers muss als Hinweis auf die Zusammenhänge angesehen werden. Auch während meines Aufenthaltes in Kowno habe ich keine Feststellungen dahingehend getroffen, ob und welche SS-Einheiten in der Stadt einquartiert waren. Jch habe zu Hause noch eine Skizze, auf der ich die Einheiten, welche damals in Kowno einrückten und dem Verband des AOK 16 unterstanden, eingezeichnet. Auch diese stelle ich zur Einsichtnahme zur Verfügung. Die Aufnahmen, welche ich damals von diesen Dingen machte, sind rein zufällig entstanden, eben nur deshalb, weil die Menschengruppen durch die Strassen geführt wurden, welche ich von meinem Quartier einsah. Es ist also nicht so, dass ich etwa auf Kamerajagd in Kowno wegen solcher Vorgänge war, Ich werde weiterhin gefragt, ob ich damals gehört habe, dass eine SS-Einheit unter dem Kommando eines SS-Offiziers Ehrlinger oder J ä g er in Kowno tätig geworden sind. Wie bereits dargestellt, habe ich derartige Feststellungen nicht getroffen, da ich mich auch nicht um diese Dinge gekümmert habe. Auch kann ich
nicht mehr sagen, wer zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes in Kowno Feld- oder Ortskommandant war. Die höchste Einheit, welche damals in Kowno lag, war das AOK 16 unter  Führung von Generalfeldmarschall Busch. Wenn ich mich richtig erinnere, zog nach unserem Auszug die Heeresgruppe Word unter Generalfeldmarschall L e e b (?) nach. ..."

(Text wurde eingescannt)

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