Die Straßen von Wilna 

Czesław Miłosz

Czesław Miłosz war ein polnischer Dichter, 1911 bei Kaunas geboren (damals noch russisches Kaiserreich), emigriert nach Polen und Paris.

In diesem 1997 erschienenen Buch beschreibt Miłosz die Stadt Wilna zur Zeit seines Studiums in der litauischen Zwischenkriegszeit. Der Text selbst stammt aus seiner Zeit in den USA von 1967, die litauische Unabhängigkeit 1990 war also bei Weitem nicht absehbar. Trotz des Titels wird auf die gesamte litauische Geschichte eingegangen und plastisch erklärt. Woher kommt der Name Vilnius, Wilna, Vilnia, Wilno, Vilné, was für Sprachen wurden in Litauens Gründungstagen gesprochen und was sprach man Anfang des 20. Jahrhunderts, also kurz vor der ersten Unabhängigkeit? Wieso lebten so viele Polen in Vilnius und warum beanspruchte Polen Vilnius für sich? Warum begann Stalin die Polen zu vertreiben und wieso ist Vilnius heute eine Stadt mit überwiegend litauischer Bevölkerung, während es dort Anfangs des 20. Jahrhunderts nur eine verschwindend kleine Anzahl gab. Interessante Fragen, auf die Miłosz Antworten gibt.

Miłosz erzählt uns das am Anfang seines Buches sehr unterhaltsam in den Kapiteln "Stadt meiner Jugend" und "Vilnia-Wilno-Vilné-Wilna-Vilnius". Mit den folgenden Kapiteln "Dictionnaire der Straßen von Vilnius" und "Platonische Dialoge" konnte ich wiederum gar nichts anfangen. Als ob er seinen Schreibstil geändert hätte oder vielleicht eine lange Zeit zwischen beiden Texten lag.

Knapp die Hälfte des Buches ist gefüllt mit einem Brief von Miłosz an den Dichter Tomas Venclova und dessen Antwortbrief. Während Venclova in seiner umfangreichen Antwort geistreich über Gott und die Welt (Litauen) nachdenkt, und er (wie in allen seinen Werken) den Leser in den Bann zieht, war ich vom Schreibstil Miłoszs enttäuscht. Wie gesagt, die allgemeine Beschreibung Litauens, Polens, Vilnius etc. sind schon interessant, aber in der Mitte des Buches waren unerklärbare Längen.
Fazit: durchaus lesbar, aber ich würde dann doch lieber direkt zu den Büchern von Tomas Venclova greifen.