Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944

Christoph Dieckmann    Christoph Dieckmann

Von Christoph Dieckmann

Wallstein Verlag 2011 

 

Die zwei Bände von Christoph Dieckmann über die deutsche Besatzungspolitik in Litauen bieten dem Leser auf 1.652 Seiten eine Fülle von Informationen über die deutschen Gräueltaten in den besetzten Gebieten und über die ziemlich gute Zusammenarbeit mit litauischen Helfern. Ob über die Lietukis Massaker in Kaunas (den sogenannten Selbstreinigungsaktionen bei denen ab 24.6.1941 10.000 Juden ermordet wurden) über Schutzeinheiten (apsaugos burius) bis zur Partisanenbekämpfung, die zwei Bände sind eine Quelle der Inspiration für alle, die sich eingehend mit der deutschen Vergangenheit in Litauen (der Jahre um 1941) beschäftigen. 

 

Dieckmann beginnt mit der Situation von Litauern und Juden vor dem Krieg, der schwachen Demokratie vor Smetona und dem Antisemitismus in Litauen. Die Pogrome, Lage der Litauendeutschen und die Morde in der litauischen Provinz, sowie die Zusammenarbeit zwischen deutschen und litauischen Instanzen, werden besprochen. Das Leben und Sterben in den  Konzentrationslagern, sowie die Situation der Kriegsgefangenen, der Roma und von physisch Kranken sind einige von vielen Stichpunkten.

Seite 307:

"Als ich mich dem Ufer näherte, blickte ich kurz auf und erstarrte. Am anderen Ufer stand im Wasser eine Gruppe nackter Menschen. Gespensterweiß war ihre Haut. [...] Schockiert erkannte ich sie: meine Geschichtslehrerin. Neben ihr stand ihr Mann, ein Herr im mittleren Alter mit Brille - ich hatte ihn ein paarmal in der Schule gesehen. Die fünfjährige Tochter meiner Lehrerin klammerte sich, Daumen im Mund, ans Bein ihrer Mutter. Vor ihnen stand eine Gruppe von Schaulisten, litauischen Nationalisten, gekleidet in alte litauische Uniformen, die Gewehre angelegt. Einer der Männer brüllte  >Feuer !<, und dann drückten sie ab. Ich sah die schockierten Gesichter ihrer ins Wasser stürzenden Opfer. Nur das kleine Mädchen blieb unverletzt stehen. Sie schien eingefroren, den Daumen noch immer im Mund, die andere Hand unsicher ausgestreckt, als griffe sie nach der Frau, die neben ihr umgefallen war.                                                                                                            —

Ganor berichtete weiter, wie der Offizier das Mädchen mit seinem Revolver erschlug."

 

 

Dieckmanns Bücher sind in einem nicht akademischen Deutsch geschrieben, so dass es dem Leser nicht schwer fällt, die Texte zu lesen. Viele der hier vorgestellten Bücher wie Paradiessstrasse und Grinkeviciute sind etwas Besonderes, spannend und lehrreich. Dieckmanns "Deutsche Besatzungspolitik in Litauen" stellt sich aber bei jedem Lesen als besonders wichtig heraus.

Kaufempfehlung

Im Januar 2023 hielt Christoph Dieckmann in Tel Aviv einen Vortrag über "die Einzigartigkeit des Holocaust in Litauen"

 

Die Einzigartigkeit des Holocaust in Litauen

Vortrag von Christoph Dieckmann in Israel, Januar 2023 (Notizen von A. Kuck)

Von den Nazis Ermordete (außerhalb Combat): 12-13 Millionen Menschen, davon
-     Juden 5,8
-    sowjetische Kriegsgefangene 2,8- 3,3
-    Polen 0,85 bis 1 Millionen
-    Zivilisten 3 Millionen
-    plus 13 Millionen sowjetische Soldaten
-    Roma 220.000     -Euthanasie 250.000

Von den Nazis in Litauen ermordet:
205.000 Juden
170.000 sowjetische Kriegsgefangene
40.000 evakuierte Sowjets


Christoph Dieckmann betont in seinem Vortrag, dass er eine völkische Betrachtung des Holocaust in Litauen ablehnt. Ich verstehe das so: Litauer waren nicht antisemitischer als die Bevölkerungen in den anderen von Deutschland besetzten Gebiete. Die Zahlenverhältnisse von deutscher Verwaltung und lokaler ausführenden Verwaltung waren ähnlich. Die Todesrate de Juden war in Litauen am höchsten, aber in den anderen Ländern im Osten nicht viel niedriger.


Die Litauer haben die deutschen Befehle befolgt, die ihrer eigenen Agenda dienten. Sie missachteten diese Befehle, wenn sie sie für falsch hielten.


Anfänglich bestand kein Plan, alle Juden umzubringen. Nur jüdische sowjetische Männer, als Träger des Staates.

Nach dem deutsche Hungerplan, sollten 30 Millionen Menschen in der Sowjetunion sterben.

Es gibt keine Beweise für den geplanten Massenmord an den Juden und an den Kriegsgefangenen. Warum mussten sie trotzdem sterben?

Weil der eigentliche (Blitzkrieg) der Deutschen nicht funktionierte, gab es schnell neue Pläne.

Bis Juli 1941 waren 20.000 jüdische Männer tot, davon 1100 durch Pogrome.

Im ganzen Land kam es zur Ghettoisierung in 100 Ghettos. Aber es war nicht klar, was mit den Juden passieren sollte. 

Die Deutschen standen vor dem Problem, das Land auszunehmen und gleichzeitig politisch stabil zu halten. Im Juli kam es dann zur Entscheidung: die Juden in den Landghettos sollten sterben, die Stadtjuden weiterhin für Sklavenarbeit zur Verfügung stehen, bzw. selektiert werden. Sukzessive sollten die Juden durch Russen, Polen und Litauer ersetzt werden. Im Juli wurden dann 50.000 Juden in den nordlitauischen Gebieten (Kriegsschauplatz Leningrad) ermordet. Vor Babyn Jar!

Es gibt 240 Massengräber in Litauen (fast alle sind durch Hinweisschilder markiert!). 1941 gab es 150.000 ermordete Juden. Dieckmann weist darauf hin, dass die berühmten Berichte von Karl Jäger nur für Mittellitauen gelten. Es gab aber neben Jägers Einsatzkommando 3 die Kommandos 2 und 9, die in und um Litauen tätig waren.

Die Substitution der litauischen Arbeitsjuden funktionierte nicht, weil die sowjetischen Kriegsgefangenen sehr schnell wegstarben.

Im September wurde die Sicherheitslage in Litauen durch die Partisanentätigkeit schwieriger. Die bisher von Litauern (litauische Zivilverwaltung) geführten Ghettos wurden von der SS übernommen. Damit wurde die SS auch für die Verwaltung zuständig, nachdem sie vorher die Vollstreckung kontrollierte.

Hier weist Dieckmann erneut auf die nicht vorhandene Einzigartigkeit in Litauen hin. Die Deutschen waren überall in den von ihnen besetzten Territorien auf die Mitarbeit der lokalen Behörden angewiesen. Zwischen 1941 und 44 ändert sich langsam die Kooperationsbereitschaft der Litauer. (Siehe Anmerkung weiter oben: "Sie missachteten die Befehle, wenn sie sie für falsch hielten"). Als Strafaktion wurden 48 Litauer gefangen genommen und ins Konzentrationslager Stutthof verschleppt. Von den 48 Männern hatten 25 (!!) den Deutschen vorher bei der Vernichtung der litauischen Juden geholfen!

Leicht kommt man in Versuchung zu sagen, die Litauer trügen für die Shoa die Verantwortung und sie seien genetisch dafür prädestiniert. Dem sei aber nicht so!

Auch in anderen Teilen der östlichen Besatzungsgebiete gab es das gleiche Vorgehen wie in Litauen (Kooperation). Fast überall gab es eine jüdische Todesrate von um die 90%. Aber die Verantwortung lag klar bei den Deutschen.

In ganz Litauen waren 6-900 Deutsche zur Kontrolle der 3 Millionen Litauer zuständig. Der Gebietskommissar (Hans Gewecke zum Beispiel in Siauliai) überwachte die Kreiskommissare (Litauer, in Siauliai Jonas Noreika). Unter dem Gebietskommissar gab es keine deutsche Verwaltung, außer für die Landwirtschaft, galt es das Land auszunehmen für die Front. Die Deutschen brauchten die Litauer. Die Litauer mussten 60 % ihrer Ernte abgeben, hatten aber schon nur noch einen Ertrag von 50% der vor dem sowjetischen Einmarsch 1940 erzeugten Ernte. Gleichzeitig waren die Litauer für die Verwaltung der Ghettos zuständig. (Kein Essen, man kann sich die Zustände in den Ghettos ausmalen).

Wie konnten die paar Deutsche dann die Juden komplett ermorden? Durch Delegation! Trotzdem lag die Verantwortung bei den Deutschen. Beispiel: aus Alytus kam eine Anfrage. Dort baten 800 Partisanen um die Erlaubnis die dortigen Juden umzubringen (Essen gab es ja eh nicht). Die Deutschen lehnten ab. Das sei außerhalb der Kompetenz der Litauer!

Außer lokalen Pogromen (besonders in Kaunas) gab es keine eigenständigen litauischen Mordaktionen. Da täuschen sich auch Erinnerungen von jüdischen Überlebenden.

Nachdem die Sowjets Litauen 1940 besetzt haben, kam es zu 200.000 Anträgen auf Landzuteilung. Also scheinen nicht alle Litauer den Okkupanten abgeneigt gewesen zu sein.
Von den im Juni 1941 nach Sibirien Deportierten waren ca. 13% Juden (also überproportional). Laut Dieckmann war der Anteil von Juden im NKWD "ridiculous low" !  (Zeit   1:52)

Die Ermordung der litauischen Juden war kein interethnisches Problem, sondern die Schuld der Deutschen!

Es gab keine Pläne der Litauer die litauischen Juden zu ermorden (AK: wohl gab es welche zur Deportation). Mord kam erst mit den Deutschen.
Im Gedächtnis der Überlebenden scheinen die Einheimischen (Litauer, Ukraine, Polen, Rumänen etc.) brutaler zu sein, als die Deutsche. Das liegt aber an der bloßen Präsenz! Deutsche gab es eben weniger. Im Ghetto gab es nur Kontakt zwischen Juden und Litauer.

Resultat: es werden immer wenige Verantwortliche bestraft. Von den 8.000 in Auschwitz Eingesetzten wurden nur 40 Leute bestraft!

Was kann man für die Zukunft tun? 

Demokratische Erziehung
Demokratie ist der Schlüssel
Hart daran arbeiten!

 

 

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