Balys Sruoga

Balys Sruoga Stutthof

Übersetzt von Markus Roduner, BaltArt Verlag, 350 Seiten

Der Wald der Götter  Rezension Andreas Kuck

                
Balys Sruoga war ein litauischer Schriftsteller. Er kam aus der Gegend um Birzai, wo man heute noch sein Geburtshaus sehen kann.
Als die deutschen Besatzer Anfang 1943 in Litauen eine SS-Legion aufstellen wollten und die Litauer sich verweigern, gehört Sruoga zu den 46 Litauern, die als Strafe und zur Abschreckung verhaftet wurden. Sruoga blieb bis zum 13. Mai 1945 in deutschem Gewahrsam.

Balys Sruoga Haus

Balys Sruogas Geburtshaus bei Birzai

Die Litauer kommen im März 1943 in das Konzentrationslager Stutthof. Die Zustände in diesem KZ, obwohl es in den Vernichtungslagern wie Auschwitz noch viel schlimmer zugegangen sein muss, waren katastrophal. 
Ich hatte die englische Ausgabe des Buches schon ewig in meinem Regal und die von Markus Roduner übersetzte deutsche Ausgabe auch schon elf Jahre. Versuche das Buch zu lesen, scheiterten an der beschriebenen Grausamkeit des Lageralltags. An eine Szene meiner ersten Leseversuche kann ich mich gut erinnern. Die Litauer sind erst gerade im Lager und ein Häftling wacht morgens auf, und sein Zeh ist im Mund eines Verstorbenen. 

In Silvia Fotis Buch über Jonas Noreika wird auch die Haft in Stutthof geschildert und ich wollte gerne wissen, wie die Situation der Litauer in Stutthof wirklich war. Schon vor längerer Zeit hatte ich einen Stutthof Überlebenden in Recklinghausen angerufen und ihn nach den Haftbedingungen gefragt. Rolf Abrahamson verneinte die Möglichkeit eines Ehrenhäftling Status, die die litauischen Intellektuellen erhalten haben sollen.  

Wie zu erwarten war, stehen die Antworten auf meine Fragen in Balys Sruogas Buch. Geschrieben innerhalb kürzester im Herbst 1945, ist es ein wichtiges Zeitdokument der litauischen und deutschen Geschichte. Und es gab tatsächlich "Ehrenhäftlinge".


Nachdem die Deutschen mit ihren Bemühungen, Litauer als Frischfleisch für die Front zu gewinnen gescheitert waren, wurde ein Exempel statuiert. 46 Litauer (darunter auch Jonas Noreika) wurden ausgewählt und verhaftet, über Tilsit ins KZ Stutthof gebracht. Zwei Monate wurden die Litauer wie alle anderen Gefangenen behandelt. Wobei es da Nuancen gab. Juden wurden am schlechtesten behandelt. 1942 war Kannibalismus noch an der Tagesordnung und selbst die Lagerhunde wurden aufgegessen.

Ziel des Lagers war, die Außenwelt vor den eingesperrten „Verbrechern“ zu schützen. Verbrecher waren Juden, die deportierten Litauer, Russen, Polen (oft im polnischen Widerstand aktiv gewesen), Homosexuelle, Bibeltreue, Sinti und Roma und echte Verbrecher. 800 bis 2000 SS-Männer waren die Bewacher. Einige wenige Deutsche und viele zusammengeklaubte Hilfskräfte aus ganz Europa.

Schützen hieß in Stutthof: verhungern lassen.

Die Hierarchie im Lager war einfach, Juden, Russen und Sinti waren nichts wert, die internierten Verbrecher durften für die SS das Lager führen (also die Mitgefangenen verprügelt, quälen und töten) und wer bestimmte Qualitäten hatte, übernahm wichtige Arbeiten im KZ und bekam somit einige Vergünstigungen (Schuhmacher, Schreiner, Schnapsbrenner). Für die Litauer war die Lage zu Beginn besonders schwierig, weil es im Lager sehr viele Polen gab, die wegen der Vilnius Problematik nicht gut auf Litauen zu sprechen waren. Später beschreibt Sruoga das Verhältnis mit vielen Polen als sehr freundschaftlich (im Gegensatz zu den lettischen Nachbarn, von denen viele Ex-SS-Männer im Lager waren).

Nach anfänglichen Todesqualen, sie wurden ja wie "normale Konzentrationäre" behandelt, mussten sich die Litauer nach zwei Monaten aufstellen, und der Kommandeur verkündigte ihnen, von nun an seien sie "Ehrenhäftlinge". Niemand weiß, weshalb die Litauer plötzlich diese Ehrauszeichnung bekamen. Sruoga wusste es nicht und Silvia Foti mutmaßt auch nur.
Nun besserte sich das Leben der Häftlinge spürbar. Sie bekamen eine eigene Baracke und mussten keine körperlich harte Arbeit mehr machen. Sruoga bekam wegen seiner Sprachkenntnisse eine Arbeit im Lagerbüro.

Mehrfach beschreibt Sruoga das Verhältnis von männlichen KZ'lern und den inhaftierten Frauen. Jüdinnen waren am Verhungern und taten alles für eine Scheibe Brot.
Der Kontakt zu Frauen war strengstens verboten. Trotzdem beschreibt er ein reges Stelldichein, geradezu entstandene Liebschaften, Liebesbriefe. Nur die Litauer blieben eisern und ihren Frauen treu. Schreibt er. Die Ehrenhäftlinge wohnten gegenüber der Baracke der Frauen. Alles wäre möglich, aber wie Silvia Foti es als bewiesen beschreibt, verneint es Balys Sruoga.

Alle Häftlinge dürfen zweiwöchentlich einen Brief schreiben und Pakete bekommen. Die Ehrenhäftlinge sogar wöchentlich. Allerdings wird daraus von der Lagerleitung viel geplündert. Ob wirklich alle Briefe schrieben (oder schreiben durften) ... mir bleiben bei den Schilderungen vom Lagerleben doch Zweifel daran. Der Hauptteil der Lagerinsassen sind sogenannte Siechenden, Halbtote, Verhungert und von den Wärtern oder den Lagerkapos verprügelten Häftlinge. Mittlerweile gab es 60.000 Gefangene, der Leichengestank war bestialisch. Das Krematorium überfordert.

Balys Sruoga hat am Anfang seines Buches einen sehr harten, schonungslosen Schreibstil, mit dem er die Hölle des Lagers transportiert. Dann geht er zu einem sarkastischen, ironischen Stil über, bei dem der Leser (also ich) manchmal die tatsächliche Hölle des Lagers vergisst. Der harte Stil kommt erst bei der Auflösung des Lagers und dem 16-tägigen Todesmarsch durch den Schnee wieder hervor. 
Alle schwächelnden "Konzentrationäre" (so übersetzt Roduner die KZ'ler) werden auf dem Todesmarsch erschossen und Sruoga ist immer mehr gefährdet, weil er nicht mehr kann. Dann kommt die Rettung in Gestalt von anrollenden russischen Panzern. Sollten wir manchmal dran denken, dass die Sowjets tatsächlich Gegnern der Nazis das Leben gerettet haben, auch wenn ihr Stalinismus sich nicht von dem System Hitlers unterschied.

Leider schreibt Sruoga nicht wie es nach der Befreiung weiterging. Wie die Russen ihn aufgenommen haben, wie viele Litauer den Todesmarsch überlebten. Von den 46 Inhaftierten Intelligenzlern (wie gesagt, als Bestrafung für mangelnde Kooperation) starben 11 im KZ, trotz baldigem Ehrenhäftling-Status.    

"Der Wald der Götter" beschreibt die von Deutschen geschaffene Hölle eines Konzentrationslagers, die völlige Entrechtung von Menschen. Tod, Prügel, Wegnahme der Kinder von ihren Müttern, Status, wenn man bestimmte Fähigkeiten, positiv oder negativ (gut prügeln, skrupellos, boshaft) hatte oder auch nur Zigaretten als Bestechung besaß.

Jonas Noreika, obwohl Mitgefangener, kommt gar nicht in dem Buch vor. Allerdings muss man an ihn denken, als Sruoga schreibt:
„Welche moralische, welch historische Rechtfertigung ließe sich für das Handeln derer anführen, die andere so leichtherzig in die Konzentrationslager verfrachteten? Keine politischen, keine religiösen, keine weltanschaulichen Ideen werden dies jemals rechtfertigen können. Ihre Unmenschlichkeit könnten sie allein damit sühnen, dass sie ihre Tage bis ans Lebensende unter denselben Bedingungen verbringen müssten, in die sie andere gebracht hatten, …“ S.66

Noreika hatte als Kreischef 1941 den Befehl zur Ghettoisierung der Juden vom Kreis Siauliai unterschrieben.
Sruoga konnte seine Freiheit leider nicht lange genießen. Er starb 1947, wahrscheinlich weil sein Körper durch das Lager geschwächt war, an einer Erkältung.

Ein wichtiges Buch, besonders für alle Freunde Litauens!
Meine Empfehlung.


Zitate aus dem Buch:
Im Lager ist immer das Opfer der Schuldige, nicht der Täter.
Wer den Deutschen im Weg steht, muss vernichtet werden.
„Die Gespenster gehen nicht, sie huschen. … Sie huschen vorbei, einer hakt sich beim anderen ein, einer stützt den anderen. Niemand treibt sie mehr an, niemand schlägt mehr auf sie ein. Und auch ihnen ist alles auf der Welt egal. 
Kein Klappern ihrer Holzschuhe. Sie bringen die Kraft zum Heben der Beine nicht mehr auf´. Sie schleifen die Beine langsam über den Boden, fast geräuschlos. Einigen hängt der Kopf auf die Schulter, den Blick bald zu Boden gerichtet, bald ins Nirgendwo. Andere starren mit trüben, benebelten Augen um sich, sehen nichts, begreifen nichts. Ein paar lehnen sich an ihre Freunde, die Augen geschlossen wie im Sarg, können ihre schweren Beine kaum vorwärts schleppen. Gesichter – eines gespenstischer als das andere, eines schmerzverzerrter als das andere. Diese Gesichter wären nicht so schrecklich, wenn sie wirklich tot wären!“
       
Der Unterschied zwischen einem Vernichtungslager wie Auschwitz und dem Lager Stutthof „… bestand lediglich darin, dass der Mensch hier zu Tode gequält wurde, dass ihm Gesundheit und Kräfte regelrecht ausgesaugt wurden, der Mensch zum Verhungern gezwungen wurde…“

Es gibt nicht alles überall, doch Toren und Hohlköpfe gibt es überall im Übermaß.
Interessant auch sein Kommentar zu Pilsudski:
„Aus Ostpolen stammten ja Pilsudski und seine Obersten und Minister, allesamt zur polnischen Sprache und Kultur übergelaufene litauische Adlige.“
Der polnische Aufseher (und Gefangene) Gerwinski fragt einen ukrainischen Neuzugang nach seiner Nationalität:
„ … Siehst du, Russe, sag‘s doch gleich, dass du Russe bist! … Wo war denn deine Ukraine, psiakrew, vor dem Krieg? Es gab keine Ukraine. Es gab keine und es wird auch nie eine geben.“
Interessant, was Sruoga weiter über die Ukraine schreibt, auch angesichts des aktuellen Ukraine Krieges.

„Im folgenden Sommer 1944, wurden ungarische Jüdinnen ins Lager verfrachtet, die Liebesdienste verbilligten sich drastisch und Liebesbeziehungen wurden auch nicht mehr so streng verfolgt. Wer wollte, konnte für eine Brotrinde eine hungrige Jüdin haben.“

„Bald danach passierte die berühmte Hitler-Attentatskomödie, die den Vorwand lieferte, die Wehrmachtsleute auszumerzen.“ S. 245
„Es gab auch einige Ältere auf der Frauenseite, 80-jährige- auch sie Politische!“
„Im Lager sterben die Menschen ohne die geringste Gefühlsregung. Sie machen daraus keine Tragödie. Sie bedauern das Verlassen der Welt nicht. Völlige Gleichgültigkeit.“
„Im neuen Jahr wurde der Verkehr mit den Frauenbaracken ganz einfach. Man schrieb einander nicht nur die allerlängsten Briefe, man organisierte auch Feste – es hallte in Frauenbaracken.“

 

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