Litauen... Idealisierung des Dorflebens?            

Idealisieren die Litauer das Dorfleben? (Text ist in Arbeit)

Das Thema ist umstritten, hier einige Denkansätze.

Odeta Rudling "Der rustic turn in der Litauischen SSR: nationaler Konservatismus, ländlicher Raum und die Volkstümlichkeit der litauischen Kultur im Spätsozialismus 1956–1990


Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Litauische SSR eine rasante Urbanisierung, die enormen Einfl uss auf die Kultur und Gesellschaft des Landes nahm. Einhergehend mit der – im Vergleich zur übrigen Sowjetunion – verspäteten Kollektivierung, dem Partisanenkrieg und der Meliorationskampagne der 1960er und der 1970er Jahre hinterließ der Prozess der internen Migration tiefe Spuren im Leben der neuen Stadtbevölkerung der Republik. Geprägt durch das Gefühl von Vertreibung und der Zerstörung des Dorfes schoben die neuen  Städter das ländliche Leben in den Vordergrund ihres kulturellen Interesses. Begleitet von einer rapiden Litauisierung der Partei- und Verwaltungsstrukturen der Republik und stimuliert durch die Schlüsseltexte der russischen Dorfprosa der Brežnev-Ära zeigten sich unter den neuen urbanen Eliten und Intellektuellen konservative, antimodernistische und zugleich nationalistische Strömungen. Zu ihrer Vertiefung und Verbreitung trugen verschiedene Aspekte der sowjetischen Kultur des Spätsozialismus bei. Die landwirtschaftlichen Kulte und Rituale, die als „neue Traditionen“ (naujos tradicijos) Ende der 1950er in der Sowjetunion eingeführt wurden, stärkten die bäuerliche  Identität der Litauer. Die Etablierung sowjetischer Praktiken des Binnentourismus und des kraevedenie (Regionalforschung, Heimatkunde) verwandelte die ruralen Regionen in eine wichtige Destination touristischer Ausfl üge und heimatkundlicher Expeditionen. Während der Binnentourismus immer mehr Verbreitung fand, wurde zugleich die romantische Idee der dörflichen Idylle gestärkt, wobei die Faszination für das Land auch von heidnischen Ideen sowie von Visionen des westlichen Folk-Revivals begünstigt wurde.
Die Hinwendung zum Dorf erwies sich auch als Reaktion auf die Umsetzung von futuristischen Inhalten und Th emen in der folkloristischen Laienkunst, die daraufhin eine umso stärker konservative, dörfliche Richtung einschlug. Als Resultat der staatlichen forcierten Ausweitung der Laienkunst mit dörflichen Amateuren auf der einen Seite und als Ergebnis der touristischen Idealisierung des Dorfes auf der anderen, kam gegen Ende der 1960er Jahre eine Initiative „von unten“ auf, die nicht nur auf den Erhalt des  dörflichen Erbes zielte, sondern sich dieses auch zu eigen machen wollte. Durch das Aufkommen der Ensemble-Bewegung in den 1960er und 1970er Jahren wurde das Dorf buchstäblich auf die Bühne gebracht. Dieses Phänomen, das sowohl von den Dorfbewohnern fortgeschrittenen Alters als auch von den urbanen Intellektuellen vertreten wurde, rückte die unverfälschte, unbearbeitete dörfliche Folklore in den Vordergrund der Kultur der Sowjetrepublik und trat in Konkurrenz zu der noch unter Stalin etablierten „sozialistischen“ Laienkunst. Auf diese Weise verwandelte sich der Romantismus des Dorfes in ein Bühnenphänomen, das die untergegangene Welt des vormodernen Litauen und die strengsten Formen archaischer Traditionen und Attribute repräsentierte. Die Gesamtheit dieser und anderer Erscheinungen bezeichnete die litauische Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Violeta Davoliūtė zutreffend als rustic turn, als einen in die geistige Kultur der Republik eingeschriebenen „Rückblick auf das Dorf “.

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