"Verbrechen der Wehrmacht"  Christoph Dieckmann u.a.

Der Einsatz <geeigneter Landeseinwohner> am Beispiel Litauens

Verbrechen der Wehrmacht   Hamburger Institut für Sozialforschung 2005

"Die Deutschen waren nur daran interessiert, mit litauischer Hilfe ihre Polizei- und Sicherungseinheiten auszubauen. Gleichwohl ließ sich diese provisorische Regierung [PG] fürs Erste darauf ein, dass litauische Verbände - neben Wachaufgaben bei militärisch und wirtschaftlich wichtigen Objekten - gegen den «inneren Feind» eingesetzt wurden. Das hieß vor allem, sich an der Verfolgung und Ermordung von litauischen Juden zu beteiligen und sowjetische Kriegsgefangene zu bewachen.

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Bis zum November 1941 gab es insgesamt zwölf Bataillone, je fünf in Vilnius und Kaunas, je eines in den größeren Provinzstädten Šiauliai und in Panevėžys. Diese zwölf Bataillone mit knapp 3500 Mann waren alle - in unterschiedlichem Umfang - an der Ermordung der litauischen Juden beteiligt. Gleiches gilt für die Schutzmannschaft des Einzeldienstes und die litauische Ordnungspolizei, die mit ebenfalls etwa 3500 Mann zu diesem Zeitpunkt die einzige exekutive Kraft in den 22 Kreisen bildete. Die deutsche Gendarmerie - also deutsche Ordnungspolizei auf dem Land - bestand bis dahin aus nur 74 Mann in Litauen!
Der Dienst in Schutzmannschaftseinheiten war bis Ende 1941 freiwillig. Unmittelbar nach den Massakern an Juden in Kaunas zwischen dem 30. Juni und 6. Juli 1941 traten 117 Soldaten aus dem litauischen Bataillon, das diese Massenerschießungen im VII. Fort in Kaunas durchgeführt hatte, wieder aus. Ein Kompaniechef beging Selbstmord, sein Stellvertreter und zwei Zugführer quittierten den Dienst. Seit Ende 1941 wurde es dann wesentlich schwieriger, die Schutzmannschaften zu verlassen. Da sie durch einige Regelungen im September/Oktober 1941 formal in die deutsche Polizeistruktur eingebunden worden waren, konnte Himmler die Dienstzeit zwangsweise verlängern.
Nachdem seit Oktober 1941 erstmals litauische Bataillone außerhalb Litauens eingesetzt wurden, zuerst in Weißrussland, dann auch in Polen, im rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Nord und in der Ukraine, kamen innerhalb der litauischen Führung immer stärkere Zweifel auf, ob ihr Ziel, die Wiederrichtung eines unabhängigen Staates, auf diese Weise erreicht werden könne. Zudem häuften sich Nachrichten über die schlechte Versorgung der Einheiten, über ihre mangelhafte Ausstattung, die kümmerliche Fürsorge für die Familien und das teilweise sehr arrogante Verhalten beteiligter deutscher Offiziere. Und nicht nur das: Der Einsatz bei der Erschießung von Juden und Kriegsgefangenen nagte an dem patriotischen Selbstbild.

In der Verwaltung wie in den polizeilichen unteren Instanzen stellten Litauer im Durchschnitt etwa 80 des Personals. 
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Insgesamt gab es 25 litauische Schutzmannschaftsbataillone, in denen im Lauf der drei Jahre etwa 12.000 bis 13.000 Mann dienten. In der Schutzmannschaft des Einzeldienstes stieg die Zahl der Polizisten bis auf 5.700, die bis 1944 durch fast 8.000 Mann «ehrenamtlich» verpflichteter Männer ergänzt wurde. Viele dieser Einheiten haben inner- und außerhalb Litauens Massenverbrechen begangen. Am meisten bekannt und berüchtigt sind zwei Bataillone, das 1. (später 13.) und das 2. (später 12.) litauische Schutzmannschafts-bataillon. Sie waren an den Massenmorden, vor allem an Juden, sowohl in Litauen selbst als auch in Weißrussland, in großem Ausmaß beteiligt. Das 1. Bataillon stellte zum Beispiel den größten Teil des so genannten Hamann-Kommandos in Kaunas. In Vilnius war die so genannte Ypatinga Būrys, welche die Erschießungen in Paneriai bei Vilnius durchführte, hingegen eine Sondereinheit unter ausschließlicher Führung der Sicherheitspolizei.
Mindestens zehn weitere Bataillone waren nachweislich in die Massenverbrechen involviert, wenngleich nicht in demselben Ausmaß. Für die übrigen 13 Bataillone ist die genaue Beteiligung noch ungeklärt, vor allem soweit es ihren Einsatz außerhalb Litauens betrifft.
Die Mehrheit der litauischen Schutzmannschaftsangehörigen stammte aus der litauischen Armee. Dazu kamen Mitglieder der litauischen Partisanenverbände vom Sommer 1941 und der bewaffneten Einheiten der Litauischen Aktivistenfront, des so genannten TDA-Bataillons. Auch innerhalb der Schutzmannschaften des Einzeldienstes waren viele ehemalige Soldaten tätig.
Um der Frage nach den Motiven dieser Männer nachzugehen, reicht es nicht aus, auf die verbreiteten Alkoholexzesse, die vermeintlich bessere Verpflegung in den Einheiten oder auf die pure Gier nach Wertsachen der Opfer zu verweisen. In Einzelfällen mag das alles eine Rolle gespielt haben, ebenso wie der Umstand, dass der Korpsgeist, der Gehorsam und die Gewöhnung an das Morden bei vielen das verbrecherische Handeln erleichterten. In dieser Hinsicht unterschied sich die litauische Schutzmannschaft nicht von anderen polizeilichen oder militärischen Formationen.
Für die Mannschaften wird sich allerdings die Frage nach den unterschiedlichen Motiven und Interessen kaum beantworten lassen, da nicht genügend Quellen zur Verfügung stehen. Dagegen ist für die Offiziere und Unteroffiziere die radikalnationalistische, rechtsextreme Motivation zu betonen, die insbesondere auch die Veränderungen des Verhaltens im Laufe der drei Jahre deutscher Herrschaft plausibel macht."

 

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