Im jüdischen Widerstand

 

Alex Faitelson   1993 Originaltitel: "Im Sturem un Gerangl"

ISBN: 978-3907668443 Elster Verlag 452 Seiten

Faitelson 

Die litauischen Juden sind 1941 vom deutschen Einmarsch überrascht worden und hatten keine Chance zu flüchten. Alex Faitelson beschreibt die Zeit von 1941-1945. Gettoisierung, Massenmord und Widerstand in den litauischen Wäldern.

 

Mit der deutschen Besatzung 1941 begann das Ende der Jahrhunderte langen jüdischen Geschichte  Litauens. Über 200.000 Juden wurden von den Einsatztruppen und ihren litauischen Helfern innerhalb kurzer Zeit ermordet. Das entspricht 90 % der litauischen Juden, prozentual so viel, wie in keinem anderen von Deutschland besetzten Land.

"Wie die Schafe zur Schlachtbank...." wurden die europäischen Juden zu den Hinrichtungsstätten transportiert.

Das Originalzitat stammt von Abba Kovner vom 1. Januar 1942 und lautet: "Lasst uns nicht wie die Schafe zur Schlachtbank gehen".

Das Buch "Im jüdischen Widerstand" räumt mit dem Mythos des wehrlosen Juden unter der Nazi Diktatur auf und gewährt Einblicke in die Zeitgeschichte, angefangen mit dem Einmarsch der Deutschen im Juni 1941, über die sofort beginnenden antijüdischen Pogrome, der Gettoisierung, Widerstand, Massenmord, Vernichtung der Spuren (Leichenbrenner) bis hin zum Partisanenkampf.

Faitelson, 1923 in Kaunas geboren, wurde nach dem deutschen Einmarsch ins Getto Kaunas gesperrt und gehörte dort der Antifaschistischen Kampforganisation (AKO) an. Bei einem Fluchtversuch, bei dem Mitglieder der AKO versuchten zum Wald von Augustow (heute Polen) zu marschieren um sich mit russischen Partisanen zu vereinigen, wurde Faitelson von litauischen Schutzpolizisten verhaftet.

 

Die Gruppe hatte den Befehl am Tage zu marschieren, hatte schlechte Landkarten und eine lausige Bewaffnung, die die untrainierten Flüchtlinge bei ihrer Gefangennahme auch nicht einsetzte.

Der Einsatzort, die Augustower Wälder, war schlecht gewählt, da es dort noch gar keine Partisanen gab. Partisanen kämpften erfolgreich in den Rudniker Wäldern südlich von Vilnius, einem riesigen Waldgebiet im Grenzgebiet Litauen- Weißrussland, zu groß um von den Deutschen systematisch durchkämmt zu werden.

Die dortigen Partisanen hatten es aber nicht geschafft durch die litauischen Dörfer Richtung Augustow zu kommen. Die Litauer waren bewaffnet und verhinderten ein einsickern der Partisanen nach Augustow. Die Partisanen wurden auch von Weißpolen angegriffen, die gegen die Nazis aber auch gegen die Kommunisten kämpften. Mit aufgegriffenen Juden machten die Weißpolen kurzen Prozess (S. 351).

 

 

Nach der Gefangennahme wurde Faitelson in das "Neunte Fort" in Kaunas gebracht. Dort sind 1941 mehr als 30.000 Juden erschossen und verscharrt worden. Um die Spuren der Massaker zu vertuschen befahl SS-Gruppenführer Heinrich Müller (Gestapo Chef) in einer "Operation 1005" genannten Order, alle Leichen zu verbrennen. Diese Arbeit wurde an allen Massakerorten von Juden erledigt. Man ließ sie in dem Glauben, dadurch ihr Leben retten zu können.

 

Wurde einem sogenannten Leichenbrenner vom Gestank der Leichen schlecht, musste er sich mit dem Kopf nach unten auf die Leichen legen und so einige Zeit verharren.

Die Leichenbrenner waren aneinander gekettet und stanken furchtbar (dies war sogar auf den Fahndungsaufrufen nach Faitelsons Flucht zu lesen).

Faitelson konnte die Gefangenen dazu bringen nicht aufzugeben. Stattdessen schafften sie es durch aufbohren einer Metalltür mit 64 Gefangenen zu fliehen. Die Flüchtlinge teilten sich in kleine Gruppen auf. Faitelson ging mit seiner zurück ins Getto nach Kaunas und konnte dort in Verstecken unterkommen.

(Über die paradoxe Situation, warum Juden freiwillig zurück ins Getto gingen und warum "alle" Juden auf Seiten Russlands kämpften ein paar Anmerkungen am Schluss!).

 

 

Der Widerstand im Getto ging weiter. Laufend wurde versucht die Waffenproduktion im Getto anzukurbeln und Verstecke (Bunker) zu bauen. Es gelang manchmal sogar, Gettokämpfer mit LKW's in die Waldgebiete zu bringen.

Faitelson gehörte am 6. Januar 1944 zu einer dieser Gruppen und gelang so zur Partisaneneinheit "Tod den Besatzern". Seine Frau Sima, die er am 4. Juli 1943 vor dem Gettostandesamt geheiratet hatte, folgte ihm später nach (S.286).

Auch hier erlebte er Antisemitismus (vergleiche auch Juden in der Roten Armee "Zwischen Sowjetstern und Davidstern"), Willkürherrschaft und ein Leben am Rande des Todes.

Josef Rosin, Autor eines Artikels über die Geschichte der Juden in Birzai, war mit Faitelson in benachbarten Partisaneneinheiten. Faitelson ist leider im Jahre 2011 gestorben.

 

Als die "Rote Armee" bis zu den Partisanengebieten vorgerückt war, meldete sich Faitelson als Freiwilliger und erlebte das Kriegsende als Soldat der aus Litauern bestehenden 16. Armee im Kurland (siehe auch Kurland Kessel). Nach dem Krieg absolvierte er ein Studium an der Universität in Vilnius und wanderte 1971 mit seiner Frau Sima nach Israel aus.

 

 Fragen und Antworten

 

Faitelsons Buch hat mir einige Fragen beantwortet und einige offen gelassen.

So habe ich nie verstanden, warum "alle" Juden zu den kommunistischen Partisanen wollten.

- Die Antwort gibt Faitelson auf Seite 168: " Die Mitglieder der IBZ, (Irgut Brit Zion, eine der größten zionistischen Organisationen im Getto) vor allem ihre Führer, waren der Auffassung, daß, wenn man sich den Partisanen im Kampf gegen die Deutschen anschloss, die Wahrscheinlichkeit groß war, unter sowjetischer Herrschaft zu bleiben. So hätten wir aber gar nichts erreicht, denn schließlich hatten wir schon einmal unter ihrer Herrschaft gelebt und genug gelitten....."

 und weiter auf Seite 169: " Mit ihrem blinden Hass gegen die Sowjets fügten sich die Mitglieder der IBZ letztendlich selbst den größten Schaden zu. Ihre Weigerung zusammen mit den Roten Partisanen gegen das Naziregime zu kämpfen, und ihr Entscheid, sich stattdessen im Getto zu verstecken, führte dazu, daß sie fast alle ums Leben kamen. Während der Liquidation des Kownoer Gettos verbrannten sie in ihren Bunkern."

 

Die wenigen litauischen Juden, die den Holocaust überlebt haben, waren (vor dem deutschen Einmarsch zusammen mit vielen Litauern) von den sowjetischen Besatzern im Juni 1941 nach Sibirien deportiert worden (was ja dem litauischen Selbstverständnis vom Juden als Kommunisten widerspricht), sind als Angehörige der 16. litauischen Schützendivision (in der Roten Armee (z.B. S. Melamed und sein Bruder) bei Kriegsbeginn nach Osten geflohen, konnten sich bei Litauern verstecken (meist Kinder) oder sind zu den kommunistischen Partisanen geflüchtet.

 

Ich bin darauf hingewiesen worden, dass die Deportierten später zurückkehrten und ein normales Leben in Sowjetlitauen führen konnten (z.B. studieren).

Das widerspricht aber nicht der Tatsache der Massendeportationen im Juni 1941 im Vorfeld des deutschen Angriffes. Die Sowjets (der Stalinzeit) wollten "unsichere Elemente" aus den besetzten Gebieten entfernen. Wie viele Menschen ohne den deutschen Angriff deportiert worden wären ist Spekulation. Die Überlebenschancen waren in Sibirien aber viel höher, als für die jüdischen Litauer unter deutscher Herrschaft.

 

Warum gingen viele Gettoflüchtlinge (z.B. die Kämpfer, die zu den Augustower Wäldern unterwegs waren, oder Faitelson selber bei seinem Ausbruch aus dem IX. Fort) zurück in das Kaunaer Getto?

- Juden waren in Litauen erheblichen Gefahren ausgesetzt. Die litauische Bevölkerung war mehrheitlich antijüdisch eingestellt. Das hatte ihre Ursachen in der sowjetischen Besetzung von 1940, wo litauische Juden erstmals in Verwaltungsämter aufsteigen konnten und von Teilen der Bevölkerung als Vollstrecker der verhassten Kommunisten angesehen wurden. Die deutsche Propaganda nutze das aus und hatte mit Organisationen wie der "LAF" effektive Multiplikatoren ihres Antisemitismus. Die litauischen Dorfbewohner waren gegen die Partisanen bewaffnet. Überall patrouillierte litauisches und deutsches Militär und Polizei.

Auch wenn es verrückt ist, das Getto war neben den schwer zu erreichenden Partisanen der einzige Ort um zu leben.

 

 

Die Haltung der Litauer kann auch Faitelson nicht verstehen: "...Die Mörder waren die gleichen Nachbarn, mit denen sie während Jahrzehnten harmonisch zusammengelebt hatten. Jetzt trugen sie weiße Bänder an ihrem linken Ärmel ihrer Zivilkleidung und nannten sich "Partisanen"-"Befreier von Litauen". Sie plünderten jüdischen Besitz und ermordeten die Juden."

Litauische Politiker, Organisationen wie die LAF, die katholische Kirche, litauische Polizeibataillone, alle halfen sie der deutschen Besatzungsmacht willig Hitlers Wahn einer judenfreien Welt umzusetzen.

Auch für die katholische Kirche hörte Menschlichkeit bei jüdischen Angelegenheiten auf. Faitelson berichtet vom Priester Lionginas Jankauskas als einer der aktivsten Organisatoren des Massenmordes an Juden in Litauen.

Aufrufe an die Kirchenführung den Morden Einhalt zu gebieten führten zu nichts, außer Kommentaren wie: "Es gibt keinen Grund die Juden zu bemitleiden, sie kriegen nur was sie verdienen..." ( Bischof Vincentas Brizgys S. 43).

 

Faitelson schreibt über das Leben im Getto, über die Selbstverwaltung durch den jüdischen Gettorat (der ohnmächtig den Willen der Deutschen durchsetzte), über die Gettopolizei und Kollaborateure, aber auch über das harte Leben bei den Partisanen, wo es die Juden auch schwer hatten.

 

Leid und Tod werden drastisch geschildert. So zitiert er den Chef des Kaunaer Zentralgefängnisses, Ignas Veliavicius-Vyliis, über die Massaker im IX. Fort (Kaunas) auf S.76:

"...In der Nähe der Gruben befahl man ihnen, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen und zu den Gruben zu gehen, Dann wurden sie in die Gruben hereingetrieben, gezwungen sich niederzulegen, und erschossen. Die ersten Gruppen mussten sich in die Gruben legen, die mit Wasser gefüllt waren. Wer dem Befehl nicht folgte, wurde mit einem Stock oder mit dem Kolben des Gewehrs geschlagen und mit Gewalt gezwungen, sich in die Grube zu legen.

Die Umstände, unter denen die Juden erschossen wurden, waren schrecklich. Die Wachleute belustigten sich an ihnen. Jene die nicht gehorchten, wurden schon unterwegs zwischen dem Tor des Forts (A.K.: IX. Fort) und den Gruben mit Stöcken und Gewehrkolben geschlagen. Während des ganzen Tages hörte man überall auf dem Gebiet des Forts herzzerreißende Schreie, das Jammern und Weinen von Frauen und Kindern.

Die Mütter trugen ihre kleinen Kinder auf den Armen, und die größeren führten sie an der Hand. Sie krochen in den Gruben über die toten Körper der zuvor Erschossenen, legten sich in einer Reihe über sie und warteten darauf, selber erschossen zu werden. Zur selben Zeit fand im großen Hof eine Art Demonstration statt. Redner ermutigten die wartenden Juden, dass sie erhobenen Hauptes dem Tod entgegen schreiten sollten.

Andere riefen mit Parolen zur Revolution auf. Diese Reden halfen mir, die Ordnung aufrecht zu erhalten, weil einige der Menschen den Rednern zuhörten. Andere, und das war der größere Teil, beteten, trotz des Klagens und Weinens, das nicht aufhörte. Alle zehn Minuten wurden weitere 100 Menschen von der Wache abgeführt. Gegen Abend, als es langsam dunkel wurde, kam das Massaker zu seinem Ende. Die Gruben waren gefüllt. Die Erschossenen in den Gruben wurden nicht einmal mit Erde bedeckt. In den Gruben befanden sich noch immer lebende Kinder, Männer und Frauen. Sie lagen unter den Toten und wimmerten. Ich sah, wie viele Verwundete, mit Blut verschmierte Männer und Frauen, versuchten, aus den Gruben zu kriechen und zu fliehen. Doch die Wachen erwischten sie, schlugen sie und zwangen sie, sich wieder zu den Toten zu legen, bevor sie ihnen mit ihren Kugeln ihr Ende bereiteten."

 

 

Unrühmlich auch der Einsatz der Wlassow Armee (Faitelson: "Helden der russischen Befreiungsarmee") bei Einsätzen im Getto.

   

Der bedeutende jüdische Wissenschaftler Simon Dubnow verließ Deutschland 1933 und lebte anschließend in Riga. Er wurde 1941 auf offener Straße erschossen. Dabei soll er gerufen haben: Jidn, Schreibt und varschreibt alzding!"

Alex Faitelson hat sich an diesen Aufruf wider das Vergessen gehalten.  

 

 

 

Das Buch "Im jüdischen Widerstand" von Alex Faitelson ist für all die geeignet, die Antworten in der litauischen, deutschen und jüdischen Geschichte suchen. In Litauen, als eines der ersten von der Wehrmacht besetzten Länder, haben die Nazis ihren "heldenhaften" Massenmord an Frauen, Kindern und wehrlosen Männern begonnen und perfektioniert. Anfänglich ohne direkten Befehl und ohne Plan, ermordete man erst Männer, dann Männer und Frauen und später auch Kinder. 90 % aller litauischen Juden sind durch die Deutschen und ihre litauischen Helfer ermordet worden.

 

Faitelson beschreibt als wichtiger Zeitzeuge aus erster Hand was damals passiert ist.   

Mein Tipp: lesen!

 

 

Ein interessanter Artikel über den jüdischen Widerstand in Litauen erschien am 17. Mai 2010 in der Süddeutschen Zeitung. Der SZ Autor Joachim Käppner beleuchtet den Partisanenkampf auch aus einem globaleren Blickwinkel. Flammen in der Asche.

 

Abba Kovner zu den Vorwürfen, Juden hätten sich nicht genug gegen ihre Ermordung gewehrt:

http://videos.videopress.com/QskTUxAp/abba-kovner-zu-juedischem-widerstand_fmt1.ogv

 

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