Karl Jäger 

Mörder der litauischen Juden



Von Wolfram Wette, mit einem Vorwort von Ralph Giordano

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2011, 284 Seiten

ISBN 978-3-596-19064-5

 




"Es ist nicht leicht oder angenehm, in diesem Abgrund des Bösen zu graben. [...] Man ist versucht, sich abzuwenden und sich zu weigern, zu sehen und zu hören: Das ist eine Versuchung, der man widerstehen muss."

Wolfram Wettes Buch über den Organisator der Massenmorde in Litauen, Karl Jäger, beginnt mit diesem Zitat von Primo Levi (italienischer Journalist, Chemiker und Überlebender des Holocaust).


Es ist aber nicht nur ein wenig erfreuliches Thema, der Judenmord in Litauen der Jahre 1941 bis 1944. Es ist ein Thema, dem oft wenig Verständnis entgegengebracht wird. Litauer beschäftigen sich lieber mit ihrer Opferrolle in der Zeit der sowjetischen Okkupation 1940-41 und 1944 bis 1990. 1941 sind etwa 20.000 Litauer nach Sibirien deportiert worden, darunter viele Juden. Etwa 50 % der Deportierten sind fern der Heimat gestorben. Die Deutschen dagegen brachten in Litauen 94 % der litauischen Juden um. Die meisten innerhalb der ersten vier Monate durch die Rollkommandos unter Karl Jäger.

Die deutsche Besatzung,1941-1944, von den meisten Litauern als Rettung vor den Bolschewisten begrüßt, wird in Litauen kaum thematisiert. Es gab ja auch fast keinen litauischen Widerstand, außer den geflüchteten Juden, die in den Wäldern als Partisanen um ihr Leben kämpften.

Schild an litauischem Haus weist auf russische Okkupanten hin

Typisches Schild in litauischen Städten. Es weist auf Gräueltaten während der russischen Besatzung hin.

 

Dagegen erinnern in fast allen Städten Schilder an Häusern an die hier tätigen gewesenen russischen Unterdrücker.

 

Astravas Massaker Birzai Litauen

Astravas Gedenkstätte, Birzai

 

Hinweise auf die ermordeten jüdischen Litauer, die so genannten Litwaks, findet man nur an den Hinrichtungsstellen selber, die sich meist fern der Städte in Wäldern befinden.

Ein Beispiel für diese einseitige Geschichtsauffassung wird auf Seite 175 beschrieben:
"Ein Lehrer führte hier in Siauliai eine Schulklasse an eine Grabstätte von Litauern, die von Russen erschossen worden waren, und erläuterte ihnen die historischen Umstände. Hinter den Rücken der Schüler lag ein Ort, an dem 350 ermordete Juden unter der Erde lagen. Diese erwähnte der Lehrer mit keinem Wort."



Dazu zitiert Wette Liudas Truska (einen litauischer Historiker):
"Die Nation möchte ihre Geschichte als schön sehen; sie möchte gerade die Kämpfe und das Leiden sehen und die Schuld an allem Unglück in der jüngsten Vergangenheit anderen geben, besonders Juden. Ein selbstkritischer Zugang zur Vergangenheit ist nicht sehr populär unter den Litauern. Viele sehen die Betrachtung der unangenehmen Probleme der Vergangenheit als eine Verleumdung Litauens an."


Wette beschreibt den Anfang der Pogrome kurz nach dem deutschen Einmarsch, bei dem Litauer, angestachelt von der LAF und der Gestapo, jüdische Männer in der Öffentlichkeit grausam ermordeten.
Er berichtet von der Kooperation der litauischen Zivilbehörden, der litauischen Armee und den vielen Freiwilligen, so genannten Partisanen oder "Weißarmbindlern", an den Massenmorden. Er beleuchtet aber auch die gute Zusammenarbeit zwischen den Einsatztruppen und der Wehrmacht, die man in Deutschland immer gerne als die "Guten" reinwaschen wollte.

Erich Hoepner

 

Er zitiert den Chef Jägers, Walther Stahlecker, mit der Aussage: "... dass die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht im Allgemeinen als gut, in Einzelfällen, wie z.B. mit der Panzergruppe 4 unter Generaloberst Hoepner, sehr eng, ja fast freundlich war. Missverständnisse, die in den ersten Tagen entstanden waren, wurden durch persönliche Aussprachen im Wesentlichen erledigt." In Heinrich Büchelers Biografie über Hoepner wird diese Aussage Stahleckers allerdings relativiert. (H.Bücheler : Hoepner, S. 138) Ich will und kann diese Aussagen nicht bewerten und verweise da auf das Buch "Verbrechen der Wehrmacht".

[Bücheler: Hoepner: "Auch bezüglich der Durchführung des sogenannten »Kommissarbefehls« einigten sich der Feldmarschall und der Generaloberst in Pskow, gemeinsam nach dem Grundsatz zu verfahren: »Das machen wir eben nicht!«21 Wenn trotzdem in den Akten der Panzergruppe 4 Meldungen über liquidierte Kommissare zu finden sind, so handelt es sieh dabei entweder um Routinemeldungen, die, unter Terminzwang, vorsätzlich mit falschen Angaben gemacht worden waren, um von »oben« Ruhe zu bekommen, oder aber die betreffenden Kommissare waren als Anführer von Partisanen gefaßt und nach Kriegsrecht liquidiert worden. - Ebensowenig wie die Befolgung des Kommissarbefehls würde in Hoepners Charakterbild jene »gute Zusammenarbeit« mit dem SD passen, deren sich der Führer der Einsatzgruppe A, SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, in einem Bericht an seine Vorgesetzte SS-Dienststelle gerühmt hat. Dieser Bericht ist dann bis in die späten 70er Jahre hinein immer wieder zitiert worden; dabei hätte jedoch sorgfältiger und umfassender recherchiert und die brutale Wirklichkeit des modernen Krieges stärker berücksichtigt werden müssen. Die Sicherung der Versorgungsstraßen für die der Infanteriefront weit voraus operierende Panzergruppe war für diese lebenswichtig. Hoepner hätte aber nie gebilligt, wie Stahlecker seinen Auftrag, »Ordnung im Hinterland« zu schaffen, durchführte. Sein Ordonnanzoffizier berichtet: »Mir ist in Bezug auf Stahlecker noch genau einer der deftigen Aussprüche Hoepners in Erinnerung: >Ich habe dem Kerl gesagt, wenn er Sauereien macht, trete ich ihm in den . . . Aber das wagt er ja wohl nicht!««22 ]

Wolfram Wette gelingt es mit diesem Buch nicht nur, alle Fakten über Karl Jäger zu sammeln und zu erläutern, er schafft sogar den Sprung über die heutige Situation der Holocaustforschung in Litauen, die sich nach der Unabhängigkeit langsam entwickelte und heute einige namhafte Persönlichkeiten aufweisen kann, bis zur real existierenden politischen Situation bei uns.

Denn auch in Deutschland, wie Wette ausführlich schreibt, hatte und hat man wenig Interesse an der geschichtlichen Aufklärung. Nazi-Verbrecher sind kaum oder zu spät angeklagt worden, es gab braune Seilschaften, die sich gegenseitig halfen; und es ist erschreckend zu lesen, wie Waldkircher Kommunalpolitiker der CDU sich (sogar heute noch) gegen die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen über Karl Jäger (der in Waldkirch lebte) wehrten.

Viele Menschen in Litauen wie in Deutschland eint die Ansicht, den jüdischen Opfern sei genug gedacht worden. Man solle die Vergangenheit doch endlich ruhen lassen.

Wenn man Wettes Buch liest - die Vorbereitungen Jägers auf seinen Einsatz, die Pogrome gegen Juden in Litauen durch Litauer (angefacht von der LAF und den deutschen Besatzern), die jüdischen Einzelschicksale, die Erschießungen von Babys , Frauen, Männern und Greisen an den ausgehobenen Gruben in Wäldern, meist einige Kilometer von der Stadt entfernt - kann man die Forderungen nach einem Zuschlagen des Geschichtsbuches nicht verstehen.

Der Umgang mit den Juden war selbst für die deutsche Zivilverwaltung in Litauen erschreckend. So zitiert Wette auf Seite 140 einen Brief vom Gebietskommissar der lettischen Hafenstadt Libau, Dr. Walter Alnor, an den Reichskommissar Ostland:

"Gerade die Erschießung von Frauen und kleinen Kindern, die z.T. schreiend zu den Exekutionskommandos geführt worden sind, hat das allgemeine Entsetzen erreicht. [...] Auch Offiziere haben mich gefragt, ob diese grausame Art der Hinrichtung selbst bei Kindern erforderlich wäre. In jedem Kulturstaat und selbst im Mittelalter durften schwangere Frauen nicht hingerichtet werden. Hier hat man selbst darauf keine Rücksicht genommen. [...]"


Witte berichtet anhand von Zeitzeugen von Gewissensbissen Jägers. Er könne seine Enkel wegen der Geschehnisse nicht mehr auf dem Arm halten und habe Schlafstörungen. Trotzdem zeigte Jäger keinerlei Reue über die Geschehnisse in Litauen.
Hier zitiert Witte den Historiker Bernhard Brunner: "... war bis in die achtziger Jahre keiner der ehemaligen Kommandeure bereit, über seine Rolle kritisch zu reflektieren, geschweige denn seine Beteiligung am Judenmord einzugestehen."





Wettes Buch über Karl Jäger, den Gestapo-Chef von Kaunas und Verfasser des berüchtigten Jäger-Reports, kann man als Standartwerk über Jäger bezeichnen. Wohl alle verfügbaren Fakten, und das sind leider nicht ganz so viele, werden genannt. Außerdem dient es mit seiner Fülle an allgemeinen Informationen über die Zeit Jägers in Litauen, die Vorbereitung auf seinen Einsatz, seine Untergebenen, die Vorgehensweise bei den Massakern mit Zuhilfenahme Einheimischer, so genannter Partisanen (Weissarmbindler) als Grundlage für das Verständnis des Holocaust in Litauen. 




Frauen, Männer, Kinder, Babys und Alte wurden ausnahmslos ermordet. Der in seiner Heimatstadt Waldkirch angesehene, musisch begabte Jäger hat diese Morde angeordnet und sich daran beteiligt. 


Einen weiteren Massenmord erwähnt Wette auf Seite 131. So sind im ersten Kriegsjahr 1941 auf litauischem Boden 170.000 russische Kriegsgefangene gestorben. Unglaubliche Zahlen, welche die deutschen Gräuel verdeutlichen.

Jäger hat zeitlebens keine Reue gezeigt.

Deshalb ist Wettes Schlusssatz leider zutreffend gewählt:

"... Doch gleichzeitig sollten die Menschen eine Ahnung davon in ihrem Bewusstsein bewahren, dass es trotz der fundamentalen Lehren aus der jüngeren deutschen Geschichte keine Garantien für die Zukunft gibt: Alles bleibt möglich."

Fazit: kaufen!

 

 

Mehr zu Karl Jäger und seinem Jäger Report unter Litauen im Krieg

 

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