Juedischer Friedhof Birzai

 

 

In Birzai gibt es den wohl größten jüdischen Friedhof Litauens. Lange Zeit war es sehr still um ihn, die meisten Einwohner Birzais haben ihn nicht beachtet. In den letzten Jahren sind die Bemühungen gestiegen, das geschichtliche Erbe zu pflegen. 

Für mich war der Friedhof der Anlass, über die Geschichte in Litauen nachzudenken. Ein riesiger jüdischer Friedhof, aber keine Juden mehr. Daraufhin entstand diese Website.

Dank des Birzaier Journalisten Dalius Mikelionis wurde eine breitere Öffentlichkeit auf den Friedhof aufmerksam.

Mitglieder der evangelisch reformierten Kirche aus Detmold waren drei mal in Birzai und haben den Friedhof vom jahrelangen Wildwuchs gesäubert. Endlich kamen die meisten Grabsteine wieder zum Vorschein und man konnte die riesigen Dimensionen des Friedhofes erkennen. Nun kümmert sich auch die Stadtverwaltung um die Pflege des Friedhofs.

Der Artikel ist zuerst in der Zeitung Birzieciu Zodis erschienen. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Übersetzung aus dem Litauischen: Raimundas Binkis, Birzai    

 

 

Auf der Suche nach dem „Code der Juden“

 

Direkt neben dem Sirvena See, wo sich die Latvygalos Strasse befindet, gibt es den alten (Birzaier) Friedhof der Juden. Es ist kaum etwas darüber bekannt. Aber der Friedhof ist einer der grössten in Litauen. Mehr dazu, wenn man die geheimnisvollen Schriften an den Grabsteinen zu entziffern versucht, kann man interessante Dinge über Birzai und die Juden, die hier mal lebten, lernen.

 

Juden – der untrennbare Teil der Geschichte von Birzai

Wie der Geschichtswissenschaftler Deimantas Karvelis behauptet, war Birzai einmal, wegen der Toleranz der vorigen Besitzer der Stadt – dem Adeligen Radziwillen, eines der jüdischen Zentren in Litauen.

 

Im Jahr 1594, 5 Jahre nach der Gründung der Stadt Birzai, lesen wir in einem Brief von Fürst Kristupas Radziwill Perkunas an den Ältesten von Birzai und an alle späteren Verwalter von Birzai: „(...) alle Juden, die jetzt in Birzai leben und danach leben werden, dürfen nicht anders als alle hiesigen Menschen behandelt  werden.“

 

Aber: „Man muss die Juden, die in Birzai leben, kontrollieren, so dass sie nicht die Christen schänden würden. Gerade das Stadtgericht muss es tun. Wenn ein reicher Kaufmann ankommt, der ein Haus am Marktplatz haben möchte, dann, mit Bestätigung vom Stadtrat, muss ein Jude seinen Platz verkaufen und anderswo hinziehen."

 

Im Jahr 1636 stellte Kristupas Radziwill fest, dass „In der Stadt, leben zwei Arten von Juden: Rabbiner und Karaiten. Es sollte für sie getrennte Gebiete oder Straßen bestimmt werden.”

Im Jahr 1610 gab es in Birzai 25 jüdische Häuser in drei Straßen in der Nähe des Marktplatzes. Die Häuser standen gerade im Zentrum der Stadt, neben den Häusern von Bürgermeister und Vogt. Andere Häuser wurden unter den reichsten Bürger von Birzai besetzt - zum Beispiel, in der Nähe des Hauses des Goldschmiedes von Kristupas Radziwill. Übrigens, eine der ersten Erwähnungen der berühmten Birzaier Brauereigeschichte ist auch mit den Juden verbunden. Kaum 20 Jahre nachdem Birzai die Magdeburger Stadtrechte bekam, findet man in Dokumenten, dass sich 9 Juden in Birzai mit Bier-, Met- und Wodkaherstellung beschäftigten.


Um 1650, gab es  27 jüdische Rabbiner- und 15 jüdische Karaitenhäuser.


Im 17. Jahrhundert waren schon eine Menge  Juden in der Stadt - sie lebten verstreut in verschiedenen Stadtteilen. Kristupas II übernahm die Initiative, die Birzaier Juden an einem Platz zu versammeln, und er erlaubte ihnen eine Synagoge zu bauen. Das jüdische Gemeindehaus stand zwischen zwei benachbarten Straßen, die zum Marktplatz führten. Im Jahr 1650 lebten ein Teil der Juden und Karaiten  in getrennten Vierteln der Stadt.

 

Als Birzai im 18. Jahrhundert Schritt für Schritt größer wurde, besassen von den insgesamt 528 Häusern der Stadt die Christen nur 128 Häuser. Die restlichen 400 Häuser gehörten den Juden.

 


In der Zeit vom Grafen Tiskevicius, am Ende des 19. Jahrhundert, waren von den  gesamten 2.630 Bewohnern in Birzai   1.860 Juden und nur 740 Christen (Polen, Russen und Litauer). (AK: Juden achten sehr auf diese Unterscheidung, also durchaus politisch korrekt).


In der Zwischenkriegszeit gab es in Birzai die jüdische Volksbank, drei jüdische Sportvereine, die Zionistengemeinde „Mizrochi“, eine Synagoge mit zwei Rabbinern und auch Schulen. Bei  insgesamt 228 vorhandenen Läden,  gehörten 160  den Juden und nur 68 den  Christen.

Aber diese gesamte Geschichte der Juden in Birzai, die so untrennbar war von der Geschichte  Birzais selber, wurde innerhalb  weniger Tage am Sommerende 1941 vernichtet, als im Gelände Pakamponys (neben Astravas, am Rande von Birzai)   2.500 Juden aus Birzai und Umgebungen erschossen wurden.

 

 

Eines der ältesten Grabsteine

 

Begrabene Geschichte, wovon wir kaum etwas wissen

 

Neben dem Sirvena See gibt es einen großen Friedhof, wo innerhalb von mehr als 400 Jahren Juden und Karaiten begraben wurden. Ich schrieb davon mal für (die Zeitung) „Birzieciu Zodis“, wenn Überschwemmungen im Frühling im Sirvena See das Ufer abspülten, die Grabmäler in den See stürzten und die Knochen der Begrabenen an die Oberfläche kamen. Am ärgerlichsten ist es, dass das Wasser den ältesten und am weitesten von der Stadt gelegenen Teil des Friedhofs vernichtete, wo die frühesten Begräbnisse stattgefunden haben. Vielleicht, aus der Zeit von Radziwill. Vielleicht nicht nur (Beerdigungen) von Juden aber auch diejenige von Karaiten, d.h. von Tataren, die nicht den Islam aber den Judaismus als Religion angenommen haben.

 So, das Ufer wurde in Ordnung gebracht, betoniert, und die bleibende Gräber werden nicht mehr weggespült.

 

Aber in dem alten jüdischen Friedhof ist ein Teil der Birzaier Geschichte begraben worden, wovon wir so wenig wissen. Es ist nun mal mal so, dass der jüdische Friedhof, der sich in einem abgelegenen Ort hinter dem ehemaligen Schlachthof befindet, nicht gerade  im Aufmerksamkeitszentrum der Bewohner von Birzai ist. Viele von ihnen haben vielleicht noch nicht davon gehört. Aber der Friedhof ist einer der größten der verbliebenen jüdischen Friedhöfe in Litauen. Vor mehreren Jahren waren die zwei Wissenschaftlerinnen Irit  Abramski und Natasha Sigal vom israelischen „Yad Vashem“ Institut  sehr erstaunt dass es in Birzai einen solchen grossen und alten Friedhof gibt. Die Wissenschaftlerinnen, auf die langen Reihen von Denkmälern blickend, lasen mehrere Aufschriften an den Grabmälern.

 

 

Der Birzaier Friedhof - einer der größten noch erhaltenen in Litauen

 

Friedhöfe ... über die nichts bekannt ist


Ich war schon zuvor an der jüdischen Geschichte in Birzai interessiert, so nahm ich den Besuch von den beiden Wissenschaftlerinnen als Anstoß, um herauszufinden, was für  Menschen auf dem alten jüdischen Friedhof in Birzai begraben worden sind. Ich begann mit den wichtigsten staatlichen Dokumenten für geschützte Objekte – mit dem Register der Kulturellen Werte.


Es waren nicht viele Informationen über den jüdischen Friedhof zu finden: „Der alte jüdischer Friedhof. Latvygalos Str. Das denkmalgeschützte isolierte Objekt. Fläche 33000. Wertvolle Eigenschaften, Teile und Komponenten: der südliche Teil des Friedhofs von einem Maschendrahtzaun umgeben. Es stehen viele steinerne Grabsteine. Es gibt eine Infotafel aus Brettern, wo auf Jüdisch und Litauisch steht: "Alter Friedhof. Sei es heilig die Erinnerung von den Toten." Am Eingang zum Friedhof befindet sich ein Denkmal für die Erinnerung derjenigen die in der zweiten Hälfte vom Jahr 1941 erschossen wurden. Es gibt auf dem Friedhof  wachsende Bäume, Sträucher, hohes Gras.“


Das ist aber alles. Wir wissen auch selber, dass der Friedhof von hohem Gras und Sträucher versteckt wird. Die Infotafel ist seit je von Metalldieben gestohlen. Als ein wertvolles Teil des Friedhofs wird der Zaun genannt, es gibt aber keine wichtigen Information in diesen besprochenen Dokumenten: wie viele Gräber sind hier, ( geschrieben: "viele"), aus welcher Zeit, welche Art von Menschen auf dem Friedhof begraben worden sind. Solche Infos sind nirgendwo zu finden weil der Friedhof nicht interessant für die Fachleute war.


Aber ich wurde neugierig. Also mehr als ein Jahr lang, wenn ich ab und zu einen halben Tag frei hatte, zog ich auf den alten jüdischen Friedhof. Der Teil näher an der Stadt ist ganz ordentlich – von der Selbstverwaltung (AK: Rathaus) gesandte Männer schneiden die Büsche, mähen die Rasen, so entdecken sich neue Grabsteine ​​in einer Reihe angeordnet. An den Grabsteine sind gut erhaltene jüdische geheimnisvolle Inschriften, manchmal sichtbar sind auch Davidsterne, in Stein gemeisselt. Allerdings sind diese Grabsteine die neuesten, von gerade vor dem (jüngsten) Krieg  begrabenen Juden. Weiter, Richtung des Sees, sollten sich die älteren Gräber finden.

 

Die meisten der Grabsteine sind ​​verschlungen, mit Erde teilweise bedeckt. Die Begräbnisse sind durch kleine Steine bezeichnet. Inschriften daran sind korrodiert und so schwer durchzulesen. Noch ein paar Jahre - und sie werden verschwinden. Besonders tragisch ist die Situation in der Mitte des Friedhofs. Er ist an einem tiefer  liegenden Platz, der ständig mit Wasser gefüllt ist. Diese Territorium ist verborgen durch einen unpassierbaren „Dschungel“. (AK: siehe Anmerkung am Anfang).

 

 

Davidsterne auf den Grabsteinen

 

Mehr als ein halbes Tausend Grabsteine


Bei meinen ersten Besuchen auf dem jüdischen Friedhof habe ich versucht, mindestens die Grabsteine ​​zu zählen. Die grössten und immer noch aufrecht  stehenden Grabsteinen waren nicht so schwer zu zählen. Viel schwieriger war es, auch die Gräber zu finden, die nur durch kleine, grasbewachsene Steine gekennzeichnet sind. Ich erfuhr, dass es am besten ist, die Gräber im Frühjahr zu zählen, wenn das Gras und die Baumblätter noch nicht wachsen, oder auch spät im Herbst, wenn die Grabsteine ​​nicht durch Schnee verdeckt sind. Ich vermute, dass sich auf dem alten jüdischen Friedhof von Birzai ungefähr 500-600 Grabsteine befinden, aber diese Daten sind sehr ungenau. Ich habe noch nicht gehört, dass es irgendwo sonst in Litauen so viele jüdische Bestattungen in einem Ort gibt. Viele jüdische Friedhöfe sind beschädigt, es stehen Häuser daran, auch Fabriken, oder sind sie gepflügt worden...


Als ich die Bestattungen zählte, erschienen mir besonders interessant mehrere Grabsteine am See, ich glaube, im ältesten Teil des Friedhofs. Man kann an den ein Meter hohen Grabsteinen die orientalischen Ornamente sehen (auf jüdischen Grabsteinen gibt es keine solche), die Inschriften sind in einem  anderen Stil gemacht worden. Ich denke, dass diese sich deutlich von den traditionell jüdischen Grabsteinen unterscheidene Grabsteine können Begräbnisse  von Karaiten bedeuten. Die Karaiten betrugen in der Zeit von Radziwillen einen bedeutenden Teil der Bewohner von Birzai: die alte Aufzeichnungen behaupten, dass im Jahre 1650 in Birzai 27 Häuser von jüdischen Rabbiner und 15  - jener von jüdischen Karaiten standen.


Der zweite Schritt war zu versuchen, die Gräber zu fotografieren, insbesondere die restlichen Grabsteine. Ich habe versucht, Grabinschriften aufzunehmen, aber es war nicht einfach. Es gelang mir, einen Teil der Inschriften so aufzunehmen, dass sie gut lesbar sind.

 


Inschriftensprache – schwer lesbar


Aber wie herauszufinden, was auf den Gräbern geschrieben ist? Ich bin hier auf ein ernstes Problem gestoßen. Ich kontaktierte für eine Hilfe das Jüdische Museum, das Museum der Synagoge der Stadt Kedainiai, die jüdischen Gemeinden, sogar auch das Litauische Zentrum der Ermittlung von Genozid. Keiner dort war in der Lage, die alten jüdischen Aufzeichnungen zu lesen. Es stellte sich heraus dass die Juden in Litauen zwei jüdische Sprachen verwandten: Hebräisch (mit Elementen von Aramäisch) und Jiddisch. In einer häuslichen Umgebung, sie sprachen Jiddisch, das ihre Herkunft in Deutschland hatte. Aber Juden hatten auch eine "heilige" Sprache - Hebräisch. Es wurde verwendet, um die Thora, den Talmud zu lesen, auch wurden die Inschriften auf Grabsteinen gerade in dieser Sprache eingraviert. Es stellte sich heraus, dass nach dem Holocaust, und nachdem viele der überlebenden Juden aus Litauen nach Israel emigrierten, es schwer war jemanden zu finden, der die alten Inschriften in Hebräisch entziffern könnte...


Plötzlich bekam ich eine Hilfe von einer Stelle, wovon ich sie überhaupt nicht erwartet hatte. Die Koordinatorin der Bildungsprogramme der Internationalen Kommission für den Bewertung der Straftaten von nationalsozialistischen und sowjetischen Regimes in Litauen Ingrida Vilkienė, die immer interessiert an  meiner Idee war, hat mir im vergangenen Sommer die Emailadresse eines im Ausland lebenden Litauers gesendet. Herr Alexander Avramenko lebt derzeit in den Niederlanden, in Amsterdam, wo sich eine der ältesten und größten jüdischen Gemeinden in Europa befindet. (Weil die Stadt  ein grosses Zentrum für Diamanten, Finanzen und des Handels ist). A. Avramenko interessierte sich  auch für  die alten jüdischen Friedhöfe in Litauen, er hat sogar eine Website gemacht, wo er die Aufnahmen der jüdischen Friedhöfe hochlädt und auch  einige Grabsteininschriften entschlüsselt. Ich schickte ihm ein paar hundert Fotos mit Grabinschriften vom Birzaier jüdischen Friedhof.
Zunächst auf Emailniveau - und dann auch durch Skype - hatten wir beide eine spasshafte, mindestens für mich sehr nützliche Kommunikation. Ich fand heraus, dass ich wenig wusste von der Geschichte,Tradition und Kultur der neben uns lebenden Nation, die so gross war. Z.B. als ich die Aufnahmen machte, kam mir überhaupt nicht die Idee, das  Juden von rechts nach links schreiben, so fokussierte ich meinen Fotoapparat nicht am Anfang eines Satzes, aber am Ende.

 

Herr Avramenko meinte dass die Sprache der Grabinschriften sehr spezifisch ist, so dass auch die Menschen, die Hebräisch kennen, nur selten verstehen, was dort geschrieben ist. Es gibt eine Menge von Abkürzungen, Symbole. Die jüdische Sprache ist sehr lakonisch. A. Avramenko hat geschrieben, dass einige Buchstaben sehr ähnlich sind, so dass der Übersetzer Yossi   immer möglichst genaue Bilder möchte, weil es  so einfach ist Fehler zu machen, insbesondere wenn ein Jahr in Buchstaben geschrieben wird. Man kann auch mit den Jahreszahlen Fehler machen - alles hier ist ziemlich kompliziert. A. Avramenko bekam  Hilfe von seinem Freund, der lange in Israel gelebt hat und fliessend Hebräisch spricht, aber sogar der konnte sehr wenig darin helfen...

 

 

Geschichte kommt an die Oberfläche - Knochen

 

Jüdische Friedhöfe und Beerdigung


Während dieser Entschlüsselungen und Übersetzungen war ich weiterhin an jüdischen Bräuchen interessiert. Ich fand heraus dass es die jüdische Tradition verbietet, die Überreste auszugraben und anderswo zu beerdigen. Das Berühren des Verstorbenen ist unannehmbar und wird als Respektlosigkeit bewertet. Die Juden glauben, dass sogar irgendwelcher  Profit  aus den Pflanzen, die auf dem Grab des Verstorbenen wachsen, einer solcher Entweihung entspricht. Z.B.  ist es nur dann erlaubt, einen auf einem Grab wachsenden Baum zu schneiden, wenn er eine Bedrohung für den Grabsteinen ist. Aber es ist verboten, das Holz aus dem Baum für sich zu nutzen. Es ist auch verboten, an einem Friedhof geschnittenes Gras als Futter für Tiere zu benutzen und auch dort wachsende Heilpflanzen zu verwenden. Als Ergebnis hatte ein jüdischer Friedhof manchmal den Anschein von Vernachlässigung. Viele jüdische Friedhöfe wurden eingezäunt. Dieses diente als eine Maßnahme gegen Verwüstung, Tiere und Unbefugte, aber auch, was noch wichtiger ist, um ein rituell schmutziges Territorium zu kennzeichnen und abzutrennen. In einem Friedhof ist jede Handlung, die Respektlosigkeit gegenüber den Verstorbenen zeigen könnte, verboten. Auch verboten ist an diesem Platz jede tagtägliche Handlung: Essen, Trinken, Schlafen, lautes Reden, Beweidung, auch durch den Friedhof zu gehen um eine Abkürzung zu machen.

Jüdische Friedhöfe sind seit je getrennt gewesen. Die Toten wurden an denselben Tag begraben. Im Zimmer des Verstorbenen brennt immer zu seinem Gedächtnis eine Kerze - ein Symbol des Geistes. Alle Spiegel, Gemälde, TV Bildschirme werden in der  Wohnung bedeckt. Unmittelbare Familienmitglieder trauern 7 Tage, indem sie auf dem Boden oder auf niedrigen Bänken sitzen und das Haus nicht verlassen. Juden verwenden keinen Schmuck oder Kosmetik wenn sie trauern, auch nehmen nicht an Unterhaltungen teil. Die Trauer wird nicht durch schwarze Farbe aber durch einen Schnitt in der  Bekleidung eines Juden gekennzeichnet. (AK.: Kriah)

Es ist nicht akzeptabel im Judaismus, die Toten zu schmücken: der Verstorbene wird ohne Sarg (nur im Tuch), oder in einem einfachen Sarg begraben. Der Körper wurde im Tuch eingewickelt und zum Friedhof gebracht, dort in die Grube eingelassen, seine Augen mit Scherben bedeckt. Es wurde in einer flachen Grube begraben, Grabsteine wurden  nur aus Stein gemacht. Nach der Beerdigung kehrten die Juden vom Friedhof keinesfalls auf dem  gleichen Weg zuirück , weil sie glaubten, dass wenn man denselben Weg nimmt, dir der Tod von hinten zu deinem Haus folgen kann.  Beerdigungen liefen ohne Blumen und Kränze ab, genauso wie bei zukünftigen Besuchen an den Gräbern (manchmal ließ man am Grab ein Steinchen). Dreißig Tage nach dem Tod gab es  eine Gedenkfeier am Grab. Danach war erlaubt, ein Grabmal zu bauen.


Ich habe viel über die jüdische Bekleidung gelernt, auch darüber, warum Männer flache Mützen tragen, oder warum sie unrasierte Haare an den Schläfen haben. Noch interessanter war, tiefer in ihre Essgewohnheiten zu schauen - koschere Anforderungen, traditionelle Küche (es erschien dass viele litauische Gerichte scheinbar aus der jüdischen Küche gekommen sind...).

 


Der entschlüsselte "jüdische Code"


Aber lassen wir uns zu unseren (oder vielmehr - jüdischen) Grabsteinen zurückkehren. Nach ein paar Monaten harter Arbeit mit dem Entschlüsseln alter Inschriften in Hebräisch, begann ich, die jüdische Übersetzungen von manchen Grabsteinen in meinen Computer einzugeben. Leider gelang es nur 82 Inschriften zu entziffern. Eine traditionelle Inschrift auf dem Grabstein sieht so aus: "Hier ruht der ehrwürdige Gerchon Moshe, Sohn von Yehuda Ha Levy. Starb im Monat von Yud Zion 17. Tag, Tuf Rash Zadek Hai im Jahr 5685“. Oder: "Hier ruht die junge Frau Rachel, die Tochter von Leiba Zelig. Starb Kuf Alef 26. Tag, Tuf Raish Nun Bet im Jahr 5652".

Dank den Übersetzern, dass sie neben den uns nichts bedeutenden hebräischen Datumsangaben auch die lateinische Variante hinzufügen haben. Sie zeigen, dass die meisten Begräbnisse aus der Periode von 1870-1930 Jahren sind. Auf dem Birzaier jüdischen Friedhof wurden auch Juden von (nebenliegenden Städtchen) Papilys begraben. Auf den Grabstein einer Frau wurde festgestellt, ob sie verheiratet ist, oder wenn sie jung starb. Auf Grabsteinen der Männer wurden solche Aufschriften wie "ehrwürdig", "Student", "Lehrer" oder sogar "Rabbi" eingetragen.


Juden selber haben darauf hingewiesen dass es einen Grabstein im Birzaier Friedhof von einem berühmten Mitbegründer des "Yashiva Knesset Israel“ Rabbi Natan, Sohn von Shmuel gibt. Ich schaute ins Internet und erfuhr,das diese am Ende  des 19. Jahrhunderts in Kaunas begründete religiöse Schule  eine der einflussreichsten und der größten in Europa war. Sie hatte dann sogar 500 Schüler. In diese Yeshiva Schule kamen auch polnische und deutsche Studenten. Nach dem ersten Weltkrieg zog sie nach Jerusalem um. Die Studenten aus dieser Yeshiva und ihre Ausbildung hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des gegenwertigen Staates Israel.

Es war auch interessant, eine Übersetzung vom am Anfang dieses Artikels genannten Grabinschriften der  Karaiten zu bekommen. Die Vermutung bestätigte sich, dass die ältesten Grabsteine  gerade jene sind, die sich am Ufer des Sees befinden. Leider ist die Inschrift schwer lesbar, zumindest zeigt sie aber, dass es dort im Jahre 1828 (nur 15 Jahre nach den napoleonischen Kriegen!) ein geehrter Rabbi begraben ist. Leider konnte man weder seinen Namen noch den Vornamen lesen.

 

 

Grabmal von Rabbi Natan, dem Begründer von "Yashiva Knesset Israel"

 

Nur der Anfang einer grossen Arbeit...


Wir werden wieder auf den alten jüdischen Friedhof von Birzai gehen. Und nicht nur einmal. Wir möchten mehr von den Gräbern aufnehmen, noch mehr Inschriften einklären. Vielleicht können wir mehr berühmte Leute aus der Vergangenheit entdecken. Unsere Leute, von Birzai. Wenn wir die Listen mit Namen und Lebensjahren der Juden auf dem Birzaier Friedhof hätten, wären wir dann in der Lage, noch ein "Abenteuer" hinzuzufügen – Archive und  Museen zu durchsuchen, um herauszufinden wo diese Menschen lebten, was sie getan haben. Weil es ist genug ein Telefonbuch aus dem  Jahr 1932 zu nehmen oder einen schönen Artikel von Bronius Janusevicius Buch „Praeities miestas“ („die Stadt der Vergangenheit“) zu lesen, um festzustellen, dass die Juden einen grossen Teil der Bewohner  Birzais darstellten. Ja, mit ihrer eigenen Kultur, ihren eigenen Traditionen. Es ist schon  Zeit, diese Seite der Geschichte zu öffnen.

 


Dalius Mikelionis
Fotos von D. Mikelionis.
"Biržiečių Zodis“ (“das Birzaier Wort”, örtliche Zeitung von Birzai)
www.selonija.lt

 

Wer mehr über die Geschichte Litauens wissen möchte, besonders über den Holocaust, der wird hier unter litauischer Geschichte fündig!

Informationen über Birzai gibt es bei birzai.de oder auf alles-ueber-litauen.de

 

 

 

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