Mein litauischer Führerschein

Felix Ackermann

Mein Litauischer Führerschein

Rezension Andreas Kuck

Mein Litauischer Führerschein

 

Felix Ackermann Suhrkamp 2017

 

Kann jemand, der mehrfach durch die theoretische und praktische Führerscheinprüfung fällt und gerne „Radio Marija“ hört (um litauisch zu lernen) ein vernünftiges Buch über Litauen schreiben?

Nach der Lektüre von Fritz Ackermanns „Litauischer Führerschein“ muss man sagen: ja er kann es. Ackermann hat es sogar geschafft Litauen in vielen Details zu schildern, die in anderen Büchern oftmals ausgespart werden. Vielleicht tun diese Bücher und Reiseführer keinem weh, in denen über das Land nur Gutes nach dem Motto steht: das Essen ist super, die Menschen sind total gastfreundlich und früher herrschte es von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.

 

Mir bieten sie allerdings keinen Mehrwert, sondern die Lektüre ist vertane Zeit.

Felix Ackermann wurde mit einer pointierten Beschreibung der litauischen Tragikomödie um die Ehrung des Partisanenführers Adolfas Ramanauskas-Vanagas in der FAZ bekannt. Dadurch wurde ich auf seinen „Litauischen Führerschein“ aufmerksam.

 

Für den Leser ist es ein Glück, dass Ackermann in verschiedenen Osteuropäischen Ländern wohnte und somit Litauen auch von außerhalb des Landes beobachten konnte. Natürlich blicken wir von Deutschland auch auf Litauen. Durch die lange gemeinsame Geschichte von Litauen mit Weißrussland (das Ackermann immer Belarus nennt) und Polen, nimmt man in diesen Ländern ganz andere Nuancen der Sicht auf Litauen auf, als von Deutschland. Wer weiß hier denn schon, dass die Weißrussen und die Litauer sich heute um ihr gemeinsames Erbe und den jeweiligen Anteil darum streiten? Früher verliefen die Ländergrenzen ganz anders, der litauische Adel hat erst Ruthenisch, ein Vorläufer des Weißrussischen, gesprochen und dann Polnisch. Gemeinsam beherrschte man das Land bis nach Moskau und zum Schwarzen Meer. Wer weiß denn, dass Belarus, welches Ackermann als „durchaus dynamische, veränderungsbereite Gesellschaft“ schildert, in denen die Menschen meist russisch (und eben nicht Weißrussisch) sprechen, viel weniger Nationalbewusstsein hat als zum Beispiel die Ukraine?

 

Viele Details der litauischen Politik und Geschichte werden von Ackermann angesprochen, die der Leser eines „normalen“ Reiseführers eher nicht erfahren würde.

Nach Vilnius kam Ackermann mit seiner Familie (ein Kind wurde in Vilnius geboren), als die EHU (Europäische Humanistische Universität) in Minsk durch Druck des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko schließen musste.

 

Es wurde beschlossen die EHU kurzerhand nach Vilnius zu verlagern und den Weißrussischen Studenten dort einen Abschluss zu ermöglichen. Ackermann sollte die Universität „evaluieren“. Nach erfolgreicher Betestung bekam er dort eine Anstellung als Dozent.

Übergeordneter Sinn der EHU war es, die Weißrussische Zivilgesellschaft zu stärken, oder wie Ackermann schreibt: das „...eine neue Generation von Belarussen studiert, die ihr Land verändern wird.“

 

Geldgeber waren viele Stellen, unter Anderem Deutschland und die Open Soros Stiftung. Nun, wenn ein Diktator wie Lukaschenko oder autoritäre Herrscher wie Orban solche Ziele hören ist klar, dass sie eine solche Organisation nicht im Land haben wollen. Opposition wird ja nicht gerne gesehen.

 

Ackermann kam also mit Familie nach Vilnius und hatte nun fünf Jahre Zeit das Land kennen zu lernen, litauisch zu lernen und dieses Buch zu schreiben.

Nebenbei versuchte er sich am Führerschein, den er trotz Kinder und Studium noch nicht hatte.

 

Diese Führerscheinerlangungsversuche nahm er dann auch als Aufhänger für sein Buch. Er kommt leider (zwischen interessanten und wichtigen Beobachtungen der litauischen Gesellschaft, Politik und Geschichte) immer wieder zu seinen Theorie und Fahrprüfungen zurück. Vielleicht mag das Litauenneulingen auflockernd und lustig erscheinen, mich hat es eher gestört.

 

Während Felix Ackermann mit seiner Familie in Vilnius ein recht privilegiertes Leben hatte, schildert er wie viele Litauer ihr Einkommen im Winter komplett für die Heizkosten ausgeben müssen und Rentner mit ihren mageren Pensionen gerade mal Lebensmittel kaufen können. Die Industrieproduktion sei mit der Sowjetunion angefangen und hat mit ihr aufgehört.

 

Dabei kostet die Kinderunterbringung in der Europa Schule in Vilnius so viel wie bei uns.

 

 

Ausführlich setzt sich Ackermann mit der litauischen Geschichte auseinander. Der litauische Schützenverband, die Šiaulisten, seien schon 1941 am Holocaust beteiligt gewesen und haben heute wieder großen Zuspruch. (Ackermann sieht, so wie der Rezensent, die eingeführte Wehrpflicht und die Bewaffnung der Bevölkerung mit einer Hausflinte skeptisch. Meiner Meinung nach hat die Geschichte gezeigt, dass Litauen einem Angriff Russlands nichts entgegenzusetzen hat. Ob das viele Geld nicht lieber in die Bildung investiert werden sollte?)

 

Details, wie die Datierung von Häusern ohne Originalpapiere (auch wenn sie klar vor 1940 gebaut wurden) auf 1940 als Erbauungsjahr, waren mir unbekannt. 1940, durch den Einmarsch der Sowjets, gab es keine Häuser in Privatbesitz mehr. Somit kann es auch keinen jüdischen Eigentümer gegeben haben, der sein Eigentum zurückfordert. Eine Angst, die nicht ungewöhnlich ist in Litauen.

 

Viele Dinge beschreibt (bewundernswert, dass er so viel in seiner litauischen Zeit gesehen hat) Ackermann pointiert, manchmal allerdings etwas überspitzt, wie die Szene mit der reichen Litauerin im Bus nach Warschau „...dass ihre Großeltern Bauern waren...“, oder (einem Journalisten als Zitat in den Mund gelegt) „Die Menschen, die heute in der Stadt wohnen, haben in ihrem Leben keine Zeitung gelesen...“. Manchen seiner Meinungen stimme ich nicht zu, wie seine Aussage über die Pilies Straße, die ich wunderschön finde und gar nicht langweilig, oder den litauischen Zeitungslesern.

 

 

Das größte Manko hat „Der Litauische Führerschein“ durch die persönliche Fehde Ackermanns mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Europäischen Humanistischen Universität. Er räumt für dieses Thema, das Außenstehende überhaupt nicht interessiert, zu viel Platz ein.

 

Meiner Meinung hätte er sich hier kürzer fassen und lieber mehr interessante Ziele in Litauen beschreiben können.

 

Wer bei einem Buch über litauische Eigenarten und Geschichte, plus Sicht auf Litauen aus verschiedenen anderen Ländern, schmunzeln und kurzweilig unterhalten werden möchte, ist bei Felix Ackermanns „Mein Litauischer Führerschein“ genau richtig.

 

 

Kauf und Verschenk-Empfehlung!

Eine weitere Rezension vom Herausgeber der Annaberger Annalen, Arthur Hermann, gibt auf der online Ausgabe der Annaberger Annalen  (Im Buch Seite 227 oder online Seite 32/39 der Rezensionen)

 

Und noch ein Interview mit Felix Ackermann bei der Baltischen Stunde von Albert Caspari: Litauischer Fuehrerschein

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