Justas Palezkis
Das sowjetische Litauen
SWA Verlag Berlin 1948
Justas Palezkis war ein litauischer Journalist und Politiker. Er lebte von 1899 bis 1980. Er war litauischer Premierminister von Beginn der sowjetischen Besetzung Litauens 1940 bis 1967 (unterbrochen von der deutschen Besatzung natürlich).
Sein Aufsatz "Das sowjetische Litauen" ist gleichzeitig faszinierend und erstaunlich. Erstaunlich, weil es bereits 1948 auf Deutsch in Ostdeutschland erschien. Was waren das für Gedankengänge, dass die "glorreiche" Arbeit der litauischen Kommunisten in Deutschland publiziert werden mussten?
Immerhin lag in Litauen und in Deutschland noch alles in Trümmern. In Litauen kämpften die Partisanen in den Wäldern gegen die Besatzungsmacht (mit der Palezkis kollaborierte) und in Ostdeutschland (hier erschien das Heft) versuchten immer mehr Bürger den sozialistischen Verlockungen zu entkommen und schnell in den Westen zu flüchten.
Faszinierend ist der Aufsatz, weil der Leser zwischen "Wohlwollen" für den Sozialismus und Lachen (der allerdings im Halse stecken bleibt, wenn man an den tatsächlichen Sozialismus und die damalige Situation in Litauen denkt) schwankt.
Palezkis wird wahrscheinlich an das, was er hier in seinem Heftchen schreibt, geglaubt haben. Tomas Venclova beschreibt die Gedanken der gläubigen litauischen Sozialisten in seinem Buch "Der magische Norden". Selbst als das Morden Stalins bekannt wurde und die Sinnlosigkeit des kommunistischen Weltverbesserungsanspruchs immer deutlicher wurde, blieb die alte Garde bei ihrer Ideologie. Nur die Jungen begannen anders zu denken.
Palezkis schafft es tatsächlich den Leser eine glückliche erfolgreiche sozialistische Welt vorzugaukeln. Seine Argumente zur Ausbeutung der Menschen durch Großgrundbesitzer und "Kapitalistische Fabrikbesitzer" werden immer offene Ohren finden.
Palezkis beschreibt auf vielen Seite, was die Sowjetmacht alles in Litauen in ihrem ersten Fünfjahresplan erreicht/geplant hat. Ja, das klingt vielversprechend:
In Bildung für alle wurde investiert: Schulen, Theater, Kinos, Klubs für die Jugend, Lesehallen, Krankenhäuser und Sanatorien (für die Freunde Birzais: er erwähnt neben Birstonas und Druskininkai auch Likenai ;-) ), Kindergärten, Industrialisierung: mehr Holz und Aufforstung, Torf, Eisen, Zement, Leichtindustrie, Schwerindustrie, Elektromotorenfabriken, Radiofabriken, Zeitungen, Gemüseanbau.
Alle Litauer würden an den Erfolg des Fünfjahresplanes glauben.
Überhaupt fänden die Litauer die neue Staatsform prima, was die Beteiligung an den Wahlen und den Wahlausgang beweisen würde. Fast 100 % der Wahlberechtigten gehen wählen und ... natürlich wählen sie die Liste der Kommunistischen Partei. Wovon Millionen Menschen im Westen träumen, ist in der UdSSR Wirklichkeit geworden. Wow. Tatsächlich ist die Ernsthaftigkeit dieser Darstellung schon zwischen Tragik und Humor.
Lehnen wir uns aber nicht zu weit aus dem Fenster, im Europa des Jahres 2021 behaupten auch ernsthaft nicht wenige Menschen, das es Corona nicht gäbe und Russland unter Putin ein guter vertrauenswürdiger Staat ist. Auch ohne Ironie.
Ach ja...Trump hat auch sein Publikum!
"Die Geschichte des bürgerlichen Litauens hat gezeigt, wie unnatürlich und schädlich für das litauische Volk seine gewaltsame Trennung von der Familie der sowjetischen Brudervölker, von der traditionellen Freundschaft und unlösbaren Verbindung mit dem großen russischen Volke gewesen ist. Diese Trennung hat die Bewegung des litauischen Volkes auf dem Wege des Fortschrittes gehemmt, die Entwicklung der litauischen Wirtschaft gestört. Wenn das im Jahre 1919 geschaffene Sowjetlitauen nicht durch die Interventen und die innere Reaktion erdrosselt worden wäre, hätte sich das Gesicht der Republik bereits im Verlaufe der zwei folgenden Jahrzehnte grundlegend verändert, wären bereits gewaltige Siege an den Fronten des wirtschaftlichen und kulturellen Aufbaus errungen worden. Dies bezeugen die Erfolge der anderen Sowjetrepubliken."
"Das litauische Volk erinnert an einen Menschen, der lange in einem morschen Leiterwagen gefahren und plötzlich in einen Expreßzug umgestiegen ist. Vielleicht wird es dem einen oder dem anderen dabei schwindlig, vielleicht kann sich der eine oder der andere schlecht daran gewöhnen; aber das litauische Volk stürmt im sowjetischen Expreß kühn vorwärts, seiner hellen Zukunft entgegen."
Die Frage, ob Justas Palezkis die auf die litauischen Passagiere dieses Expresszuges gerichteten Maschinengewehre sieht und ob es ihn schert, ob die Litauer diesen russischen Expresszug überhaupt wollten, kann man heute leider nicht mehr klären.
Falls man sie denn fragen sollte, kennt jeder die Antwort.
Interessantes Buch. Für Romantiker ohne geschichtliches Wissen durchaus gefährlich.
Nur antiquarisch erhältlich.