Der Blinddarm - das unbekannte Wesen 

 

www.alles-ueber-litauen.de ist eine private Seite, mit der ich Interesse für das schöne Land Litauen wecken möchte. Ich selbst bin mit dem schönsten Mädchen aus Birzai verheiratet, deshalb auch die Verbundenheit mit dem südlichsten Baltenland.

In diesem Beitrag möchte ich beschreiben, mit welchem Horror das Jahr 2013 für uns zu Ende gegangen ist - Gott sei Dank, bisher mit einem glimpflichen Ausgang.

Blinddarmdurchbruch

 

Eigentlich hat dies alles nichts mit Litauen zu tun, außer, dass es vielleicht die Diskussion bestätigt, die wir mal in der Rubrik Litauen/Gesundheitswesen  geführt haben (Gesundheitssystem Litauen/Deutschland).

Damit diese Zeilen nicht angreifbar sind, werde ich auf jede Wertung verzichten und nur die Tatsachen schildern. Ich werde hier auch nicht behaupten, dass Fehler gemacht wurden, da ich das als Nichtfachmann hier nicht beurteilen möchte.

Dafür sind später die Gerichte zuständig.

Was ist passiert? Am Samstag den 30. November 2013 klagte unser 10-jähriger Sohn nach einer Theateraufführung über Bauchschmerzen. Nachts kam Erbrechen dazu, was bis zum Morgen andauerte. Sonntag lag er im Bett, kein weiteres Erbrechen. Nachts ging es dann wieder los mit Schmerzen (und Fieber), die am Montagmorgen so stark waren, dass wir um 4:00 Uhr zum nächstgelegenen Kinderkrankenhaus, der Kinder und Jugendklinik in Gelsenkirchen, fuhren (neben dem Bergmannsheil).


Im Behandlungsbericht des Kinderkrankenhauses steht für die Aufnahme, dass Maximilian seit Tagen Bauchschmerzen mit Fieber und Erbrechen hatte. Der Allgemeinzustand des Jungen sei reduziert, der Bauch druckschmerzhaft.

Eingeliefert wurde er von unserer Seite mit Verdacht auf Blinddarm. Der aufnehmende Arzt (06:00 Uhr) notiert auf seinem Aufnahmeprotokoll:

Fieber, Erbrechen, Durchfall, Druckschmerz und Abwehrspannung. Schmerzen im Bereich des Blinddarms.

Schmerz beim Wasserlassen und gebeugte Haltung beim Gehen.

Diagnose: Verdacht auf Blinddarmentzündung.

Die Laborwerte von 7:00 Uhr weisen hohe Leukozyten und CRP Werte aus, Zeichen einer Entzündung und typisch bei einer Blinddarmentzündung.

Um 08:30 Uhr bekommt Maximilian gegen seine Schmerzen und Fieber ein Schmerzmittel (laut Fieberkurve hatte er da 39,5 ° Fieber).

Um 10:00 Uhr machte der ärztliche Direktor der Kinderklinik Dr. Lautner seine Visite. Da Maximilian ca. eine Stunde vorher das Schmerzmittel bekommen hatte, stellte Dr. Lautner (laut Protokoll), nur noch leichten Druckschmerz fest. (Laut Fieberkurve betrug die Temperatur um 10:00 Uhr 37,8 °. Sie stieg nach der Untersuchung wegen dem Nachlassen des Schmerz- und Fiebermittels wieder auf 38,9°C an.

Trotz aller Vorzeichen (Erstdiagnose, Fieber, Entzündungswerte, Allgemeinzustand) schloss Dr. Lautner eine Appendizitis (Blinddarmentzündung) aus und verordnete Schonkost.

 

Nachtrag 5.10.2015: Dr. Lautner schloss eine Blinddarmentzündung nicht aus. Laut Krankenhaus gab es immer eine Differentialdiagnose (Gastroenteritis, also Magen-Darm - und Blinddarmentzündung). 

 

Um 15:00 Uhr wurde eine Sonographie durchgeführt. In meinem Beisein wurde Maximilian untersucht und nicht speziell nach dem Blinddarm gesucht (im Protokoll steht dementsprechend: " Nur orientierende Untersuchung wegen...Durchfalls und ...Druckschmerz... . Beurteilung: Sonographisch und klinisch am ehesten Enteritisdarm (also Magen Darm)), was für Dr. Lautner auch plausibel war, da eine Blinddarmentzündung schon um 10:00 Uhr ausgeschlossen wurde.

 

 

Nachtrag 5.10.2015  Die Blinddarmentzündung wurde nicht ausgeschlossen, da die Ärzte ja eine Differentialdiagnose gestellt hatten. Sie erlaubten leichte Kost, schlossen also eine OP erstmal aus.

 

Laut Protokoll war der Blinddarm auch nicht zu erkennen.

Das Ergebnis der Sonographie: "am ehesten Gastroenteritis."  "Am ehesten", kann also auch was anderes sein.

 

Nach Sonographie und Untersuchung wurde er vom Einlieferungstag (Montag) bis Samstag mit Verdacht auf eine Magen-Darm Infektion behandelt. Behandelt wurde er, indem er ab Montag an den Tropf angeschlossen und sein Stuhl auf Bakterien untersucht wurde. Nach dem Anschluss der Infusion kam es zu wässrigen Durchfällen. Neben besseren Phasen bestand Maximilians Tag aus Durchfall, (ab und zu) Erbrechen und starken Schmerzen. (Durchgehend Bauchschmerzen!). Anfänglich bekam er orale, später intravenöse Schmerzmittel, die immer weniger halfen. Zum Freitag hin verschlechterte sich sein Zustand immer weiter, sodass er das Bett nur noch für Durchfall verließ. Zum Urinieren nahm er eine Flasche. Die ganze Woche hatte er keinen Appetit, sondern nur starken Durst. Die Fieberkurve zeigt ein kontinuierliches Auf und Ab (zwischen 37 °C und knapp 40 °C) an, je nach Schmerzmittelgabe.

Am Freitag bat der behandelnde Kinderarzt Dr. Damerow den Chefarzt der im Bergmannsheil beheimateten Chirurgie - nicht Kinderchirurgie!, die gibt es weder in der Kinderklinik Gelsenkirchen noch in der Kinderklinik Datteln - um Rat (chirurgisches Konsil). Dr. Kiroff kam in meiner Anwesenheit kurz ins Zimmer, untersuchte Maximilians Bauch und verließ das Zimmer mit der Bemerkung, das sei kein Blinddarm, das müsse nicht chirurgisch behandelt werden. Die Untersuchung wurde im Liegen gemacht. 

Vor und nach Dr. Kiroffs Untersuchung um ca. 13:45 Uhr steht in der Dokumentation der Krankenpfleger:

13:30 Uhr M. liegt blass und stöhnend im Bett, hat Bauchschmerzen ...

13:55 ACH-Visite (Allgem. Chirurgie) gelaufen, er soll nicht operiert werden ...

15:00 Temp. gestiegen, erhält Schmerzmittel, fühlt sich nicht so gut

18:00 Bauch sehr gespannt...Temperatur bleibt hoch (weiterhin laufend Gabe von Schmerzmitteln)

02:10 Maxi friert

07:00 M. hat einen Trommelbauch, hat Schmerzen, sobald er sich bewegen muss

09:00 gallig erbrochen

11:00 klagt über stärkere Schmerzen, erhält intravenös Novalgin (zur Erinnerung: Er bekam kontinuierlich Schmerzmittel seit seiner Einlieferung.)

13:45 verlegt in die Kinderchirurgie Herne

Gegen Mittag wurde Maximilian erneut vom Kinderarzt (Damerow) untersucht, der sinngemäß sagte: "Wenn das mein Kind wäre, würde ich ihn verlegen", und Maximilian damit vielleicht das Leben rettete.

Er hatte in den ersten vier Tagen seines Aufenthaltes in der Kinderklinik in Gelsenkirchen vier verschieden Ärzte, die ihn bei der Visite sahen.

 

Maximilian wurde dann in die Kinderchirurgie nach Herne verlegt.

Dort wurde bei der Aufnahme festgestellt, dass er ein akutes Abdomen mit massiven Anzeichen eines Darmverschlusses mit hohen Entzündungswerten aufweist. Im Unterbauch tasteten die Ärzte eine feste Resistenz in Faustgröße, die sich später als Abszess entpuppt. Bei der OP stellte sich heraus, dass der Abszess 10 cm groß war. Bei reduziertem klinischem Allgemeinzustand wurde er umgehend operiert.

(Zur Erinnerung: Er wurde gerade erst aus der Kinderklinik Gelsenkirchen überführt und vor 24 Stunden vom Chirurgen Dr. Kiroff untersucht!)

Zwischen den Darmschlingen findet sich eine serös faulig/übelriechende Flüssigkeit. Die Ärzte finden eine Abszesshöhle, die ca. 10 cm groß ist und mit massig-rahmigen, fäkulant riechendem Eiter von bräunlicher Farbe gefüllt ist. Der geplatzte Blinddarm wird entfernt, wobei dicke, fibrinös-fibröse Beläge auf der hochvulnerablen Dünndarmserosa verbleiben. (Zitate aus dem OP-Bericht).

Maximilian wurde nun auf die Intensivstation verlegt.

Nach vier Tagen auf der Intensivstation wurde er auf die normale Station verlegt. Leider ging es ihm auch nach der Operation nicht viel besser. Trotz Einläufen nahm der angegriffene Darm seine Tätigkeit nicht auf und es lagerte sich so viel Wasser in seinem Körper an, dass alles an ihm geschwollen war. Das Laufen fiel ihm sehr schwer.

An diesem Tag auf der Station aß er eine ganze Salzstange!

Am nächsten Tag übergab sich Maximilian erneut und so beschlossen die sehr kompetenten und fürsorglichen Ärzte um Professor Dr. Tröbs, dem Leiter der Kinderchirurgie Herne, Maximilian zu röntgen und einer weiteren Sonografie zu unterziehen. Danach wurde er erneut auf die Intensivstation verlegt, da man einen erneuten Darmverschluss durch den vorher entfernten Abszess und seinem Eiter befürchtete. Die Ärzte bereiteten uns darauf vor, dass Maxi erneut operiert werden müsste.

Das geschah dann am 13.12.2013. Die Ärzte strichen den Darm aus und beseitigten eine Abknickung des Darmes. Außerdem wurde eine stark angegriffene Stelle zwischen Dick- und Dünndarm festgestellt, diese aber nach einem Abwägen nicht weggeschnitten.

Die nächsten Tage verbrachte Maximilian wieder auf der Intensivstation. Nun besserte sich sein Zustand glücklicherweise wieder. Die Organe begannen wieder zu arbeiten und er schied das ganze eingelagerte Wasser wieder aus.

Bald wurde er wieder auf die normale Station gelegt. Da er die ganze Zeit über Infusionen ernährt wurde, sah er (wo er sowieso total dünn ist) halb verhungert aus.

Er wollte so gerne Weihnachten mit der ganzen Familie zu Hause feiern. Am 23.12. fanden sich bei einer Sonografieuntersuchung aber erneut verdächtige Spuren im Bauchraum. Er wurde zur Untersuchung in ein MRT geschoben, wo sich die Schatten aber als harmlos herausstellten. Die Entzündungswerte waren auch wieder angestiegen, sodass er erneut Antibiotika nehmen musste.

Unser größter Wunsch ist aber in Erfüllung gegangen: Maximilian konnte am 24.12.2013 die Kinderchirurgie in Herne verlassen. Meine Frau hatte ganze drei Wochen mit ihm im Krankenhaus verbracht.

Für die professionelle und freundliche Arbeit aller Mitarbeiter der Kinderchirurgie Herne möchten wir uns sehr herzlich bedanken.

Wahrscheinlich ist jeder, dem wir diese Erlebnisse schildern, fassungslos, dass so etwas in Deutschland passieren kann. Und vielleicht, um wieder den Bezug zu Litauen zu bekommen, denkt der eine oder andere, der sich über die Behandlung im litauischen Gesundheitssystem (zu Recht oder Unrecht) aufregt, daran, was auch bei uns möglich ist.

 

Im Februar erging es der kleinen Alisha aus Oer Erkenschwick ähnlich wie Maximilian. Auch bei ihr wurde die Blinddarmentzündung übersehen. Als sie von einem anderen Krankenhaus in die Kinderklinik Gelsenkirchen kommt, werden ihre Blutwerte kontrolliert und danach sofort operiert. Vielleicht hat Maximilians Fall die dortigen Ärzte ja etwas sensibilisiert.

 

Hier noch ein paar Symptome, die auf eine Blinddarmentzündung hinweisen (Wikipedia):

- Schmerzen in der Gegend des Bauchnabels

- Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Fieber

- es kann zu einer Darmlähmung (Ileus) kommen

- schneller Puls, schnelle Atmung

- erhöhte Entzündungswerte

Die Symptome einer akuten Appendizitis sind nicht immer typisch, so dass die Diagnosestellung schwierig sein kann.

Bei unserem Sohn trafen alle diese Merkmale zu, außer, dass er später  keinen Schmerz an der rechten Beckenseite hatte, also da, wo der Blinddarm normalerweise ist. Die hatte er nur bei der Aufnahme.

Ansonsten trafen alle diese Merkmale zu!

 

Die Diagnose der Kinderklinik in Gelsenkirchen bei seiner Verlegung in die Chirurgie nach Herne lautet übrigens: Verdacht auf Ileus (Darmverschluss)!

Vielleicht hilft diese Beschreibung anderen Eltern im Umgang mit der eigentlich gut behandelbaren Krankheit Blinddarmentzündung! Bilden Sie sich eine eigene Meinung. Fragen Sie ihren Arzt und lassen Sie sich die Behandlungsunterlagen zeigen. Sie haben ein Recht darauf.

  

Blinddarmdurchbruch

Maximilian nach der ersten Operation. Wasser ist eingelagert, sonst sieht man seine Rippen.

 

Am 10. Februar haben wir nach einem Jahr die Gutachten der Gutachterkommission aus Münster bekommen. Diese Kommission gehört zur Ärztekammer. Man hat auch die Möglichkeit, ein Gutachten über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen machen zu lassen. Natürlich gehen auch Privatgutachten, die sind aber sehr teuer, und ob sie bei Gericht helfen, ist fraglich.  (Achtung, dies ist meine Meinung und keine Rechtsberatung!)

Dazu muss ich Folgendes sagen:

Die Gutachterkommission schlägt den Parteien die Gutachter vor. Man kann sie ablehnen. Da wir natürlich die vorgeschlagenen Ärzte nicht kannten, haben wir den ersten Vorschlag angenommen. Würden wir heute nicht mehr machen!

Als nämlich das erste negative Gutachten eines Chefarztes aus Bocholt fertig war (ob es der Kommission vorlag, darüber kann ich nur spekulieren), bekamen wir aus Münster den zweiten Gutachter vorgeschlagen. Durch Zufall sahen wir, dass es erneut ein Arzt aus Bocholt war. Gleiche Klinik, Chefarzt unter Gutachter 1. Den hat unsere Anwältin abgelehnt. Warum dieser Lapsus passierte, darüber kann man nachdenken, wenn man das erste Gutachten gelesen hat. Es ist, nicht nur unserer Meinung nach, rein standesschützend. Meiner Meinung nach müsste der Gutachter sogar gegenüber seinen Arztkollegen ein schlechtes Gewissen haben.

Gutachten1   verneint einen Ärztefehler

Gutachter 2  bejaht einen Behandlungsfehler und begründet seine Meinung

 

Interessant dazu ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die finanzielle Lage der Kinderkrankenhäuser. Kinderkliniken in Not.

 

Für Interessierte noch ein Hinweis, wie in anderen Häusern verfahren wird:

Sehr geehrter Herr Kuck,
bei Kindern, die mit Bauchschmerzen aufgenommen werden – egal ob Enteritis oder V.a. Appendizitis - wird (bei uns im Hause) standardmäßig eine Sonographie des Abdomens (Bauches) durchgeführt. In dem Sonographie-Befund, den Sie mir mitgeschickt haben steht, dass der Blinddarm bzw. die Appendix nicht darstellbar war. Dies kommt immer wieder – auch bei uns im Haus -  vor. Gleichzeitig schließt dieser Befund natürlich nicht die akute Appendizitis aus. Für den Fall, dass weiter Bauchschmerzen bestehen, wird bei uns im Haus die Sonographie nach einigen Stunden oder einem Tag, nach abführenden Maßnahmen und Infusionstherapie mit Nahrungskarenz, wiederholt. Auch sollte der Bauchbefund reevaluiert werden, dass heißt der Patient wiederholt untersucht werden.


Mit freundlichen Grüßen
XX

Dr. med. XX
F.Oberarzt
Kinderchirurgie

 

Was ist ein grober Behandlungsfehler?

Nach Aussage des ärztlichen Gutachters Prof. Dr. W. (seit 23 Jahren als Gutachter tätig):

"Wenn der Arzt z.B. besoffen am OP-Tisch steht".

Prof. Dr. H. (gerichtlich bestellter Sachverständiger Augsburg):

"...wenn der Arzt den Fehler absichtlich macht".

Quelle medizinrechts-beratungsnetz.de

 

Ein Leitfaden für die Appendizitis Erkennung (von Prof. Dr. Boemer, Kinderklinik Köln, wohl für angehende Ärzte gedacht) kann auch für uns Eltern hilfreich sein. Man beachte die folgende Weisheiten:

"Man sieht nur was man will"

"... dass Missverständnisse und Trägheit vielleicht mehr Irrungen in der Welt machen als List und Bosheit ..."  Beides von Goethe.

 

"If you don't take a temperature, you can't find a fever".  Law 10, House of God

 

 

Nachdem die Haftpflichtversicherung des Bergmannsheil eine Schadensregulierung ablehnte (die Allianz brauchte weniger als eine Woche um die Unterlagen zu prüfen), haben wir jetzt Klage eingereicht.

 

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