4. Tag Mittwoch Vilnius
Mein Ziel heute ist das Zentrum Europas (Europos Centras) bei Purnuskes, einem Dorf nördlich von Vilnius, sowie der Europos Parkas, nicht weit vom Zentrum Europas entfernt. Danach möchte ich mir noch Paneriai anschauen.
Die Strecke nach Vilnius kenne ich, also bleibt das Navi zum Stromsparen aus. Da es bis Vilnius 208 Kilometer sind, nehme ich die Via Baltica mit Autobahn statt der landschaftlich reizvolleren Nebenstrecke über Vabalninkas.
Ab Panevezys kommt die gut ausgebaute und wenig befahrene A2 nach Vilnius. Die Via führt hinter Panevezys als Landstrasse weiter nach Kaunas. Tempolimit ist 130 km/h für PKW und 110 für Motorräder. Das wusste ich aber nicht, also entweder jemandem hinterhergefahren oder den "Tempomaten" auf 130 eingestellt. Im Bereich von Zufahrten oder Abbiegungen nach links (ja, das gibt's!) wird eine Tempobeschränkung angezeigt und gerne gelasert.
Weite Teile der Strecke haben Wildzäune (natürlich sind oft die Zugangstore für die Land und Forstwirtschaft offen). Es gibt sogar Erdrampen, auf denen das Wild zurück in den Wald können. Habe ich bei uns noch nie gesehen.
Unterwegs sehe ich zwei Rehe, einen Specht und einen Fuchs. Nach 190 Kilometern gehts von der A2 ab Richtung Nemenciene. Dann die A14 nach Norden und man kann das Zentrum Europas nicht verfehlen.
Abbiegen zum "Zentrum Europas"
Die Litauer sind stolz auf die geografische Mitte und zeigen das auch mit einer geschmackvollen Gestaltung dieses Ortes. Nebenan gibt es einen Golfplatz, ist halt nicht weit bis Vilnius, und ein See mit Bibern.
Nett haben die Litauer ihr geografisches Zentrum gestaltet
Weiter gehts zum Europa Park. Der Park ist ausgeschildert und der Weg führt sehr reizvoll an der Neris entlang, ist aber in einem wirklich katastrophalen Zustand.
Also besser den Weg von Süden nehmen und Bratoniskes meiden.
Eingang zum Europos Parkas
Auf dem Parkplatz vor dem Eingang das Moped abgestellt und abgeschlossen. Tickets gekauft. Den Helm durfte ich freundlicherweise beim freundlichen Mann im Tickethäuschen lassen.
35 Litas fürs Parken (50 % Discount fürs Motorrad) und Eintritt sind in Litauen nicht wenig und Freunde in Vilnius, die nicht arm sind, haben sich darüber ordentlich aufgeregt. Mit Familie wird's teuer!
Ein erschlagener Lenin und die berühmte TV Installation (na ja)
Fernseher Steinensemble
Kunst im Wald: "Der Ort" von Gintaras Karosas
Fundamente (Karosas) Doppelt negative Pyramide (Sol LeWitt)
zu ihrem Vorteil (Karosas) Trinkende Struktur mit einem exponierten nierenförmigen Becken
Dennis Oppenheim, Super Name für diese schräg stehende Kutsche ;-)
Der sitzende Polizist (Evaldas Pauza)
From a dream to the Present (Karosas) Das berühmteste Werk: Sessel Schwimmbecken von Dennis Oppenheim
"Wiederspiegelungen" (Elena Urbaitis) Continuous Changing (Arbeiter des Parkes)
Frau in Betrachtung des Mondes (Javier Cruz) "Wolkenhände" Jon Barlow Hudson
"Gintare" Evaldas Pauza
Durch einen Parkweg gehts auf das Gelände und ich beginne zu grübeln, ob so eine Wanderung mit Motorradschuhen das Richtige ist. Bald wird man aber durch die Kunstwerke, die reizvoll im Wald verteilt sind, abgelenkt. Die Fernsehinstallation erinnert mich an das Skulpturenmuseum in meiner Heimatstadt Marl.
Das Areal ist ziemlich riesig und die Exponate gleichmäßig im Wald verteilt. Dementsprechend kam ein netter Spaziergang zusammen als ich das Zentrum des Europos Parkas erreichte. Hier war Brennholz auf typisch "litauische" Weise kunstvoll aufgestapelt und ich dachte, eigentlich ist so ein Stapel ja auch Kunst, zumindest kunstvoll aufgestapelt.
Und tatsächlich war hinter den Stapeln ein Hinweisschild "Continuous Changing" ! Das Changing, weil das Holz ja im Winter im Parkzentrum verheizt wird und die Stapel sich immer verändern.
Am Parkzentrum mache ich Rast und trinke bei herrlichen Sonnenschein einen sehr guten Kaffee. Dazu Pfannekuchen mit Quark und Marmelade. Es gibt ein Cafe und einen Kiosk mit Souvenirs und Ansichtskarten.
"Gut besiegt Böse" Zurab Cereteli (Russland)
Neben mir eine bemerkenswerte Skulptur aus dem `Kalten Krieg´:
Ein Drachentöter kämpft gegen eine Horde von Drachen die aus Pershing-Raketen (Amerikanische Atomraketen aus dem `Kalten Krieg´) emporsteigen. Die Skulptur ist klassisch, das Thema recht modern. Obwohl, die jungen Litauer, die sich heute hier auf Schulexkursionen tummeln, werden damit nichts mehr anfangen können. Wie wohl der Künstler heute über seine Arbeit denkt?
Armlos (Vytautas Kasuba) Der Wächter (Miguel Sanoja)
Die Sonne brennt und ich denke wieder an die Tour von Rittmeister die leider nicht so viel Glück mit dem Wetter hatten.
Gerne wäre ich noch zu den Sowjetischen Bunkern bei Nemencine gefahren, aber die Zeit drängt und wichtiger ist mein nächstes Ziel: Paneriai.
Um die Navibatterie zu schonen, versuche ich die Strecke aus dem Gedächtnis und nach Verkehrszeichen zu finden. Laut Karte liegt der Stadtteil Paneriai südwestlich von Vilnius, wohin wir uns auch durch den Hauptstadtstau quälen (komisch in Litauen, die Landstraßen und Autobahnen sind frei, in den Städten ist Stau!) leider komme ich von der Hauptstrasse dort aber nur über Umwege zur Holocaust Gedenkstätte Paneriai. Also Navi an und zurück durch den Stau.
Hier lerne ich wieder eine Lektion: beim Einfädeln vor einer Baustelle fährt mich ein Hyundai Santa Fe fast um. Meine Vorurteile über die litauischen Fahrkünste sind da nicht weniger geworden.
Holocaust Gedenkstätte Paneriai
Ohne Navi hätte ich die Gedenkstätte nie gefunden.
Sie liegt am Ende einer Sackgasse, mitten im Wald an einer Bahnlinie, also ideal für die Pläne der Nazis. Die BMW geparkt, abgeschlossen, den Pulli zum trocknen aufgehängt.
In Paneriai wurden zwischen 1941 und 1944 an die 100.000 Juden, Polen und russische Kriegsgefangene von den Deutschen und ihren litauischen Helfern ermordet und verscharrt. Die Russen hatten vor den deutschen Einmarsch hier Gruben ausgehoben, um Öltanks zu installieren. Trotz der Lage mitten im Wald, gab es Zeugen, die ziemlich gut mitbekamen , was hier im Wald geschah (siehe Christine Eckert: Die Mordstätten von Paneriai (Ponary) bei Vilnius).
Paneriai
Weg zur Gedenkstätte Museum
Orte der Massaker sind markiert Mahnmal für die ermordeten Juden
Erinnerung an die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen
Denkmal für die ermordeten Polen
Für jede Opfergruppe gibt es ein eigenes Denkmal. Für die größte Gruppe, ca. 70.000 Juden wurden gerötet, gibt es mehrere. Laut Wikipedia ist das polnische Denkmal nicht ausgeschildert, eine etwas seltsame Behauptung, da es klar den polnischen Opfern gedenkt. Das sowjetische Denkmal spricht (statt von Juden) noch von sowjetischen Bürgern.
Denkmal für die ermordeten Litauer
Außerdem gibt es eine Erinnerung an die getöteten Litauer, wobei es interessant wäre zu wissen, ob bei den 2600 Toten auch die von den Deutschen erschossene litauische Wachmannschaft dabei ist, die die jüdischen Leichenbrenner bewachten. (Details zu den Leichenbrennern bei Alex Faitelson).
Wäre makaber..
Neben den Denkmälern gibt es ein kleines Museum (hatte zu) und mehrere im Wald verteilte Gruben, in denen die Massaker verübt wurden. Am Museum ist eine Übersichtskarte angebracht.
Liegt sehr einsam: Paneriai
Als nächstes möchte ich meine Schwiegercousine besuchen, die nördlich von Vilnius wohnt, . Also Navi ein und durch Vilnius durch. Mitten in Vilnius geht gar nichts mehr, Berufsverkehr. Stop and go, Stau total und es wird immer wärmer. Irgendwann wird die BMW so heiß, dass der Motor anfängt immer lauter zu klackern. Die Balken der Temperaturanzeige steigen in bisher nie gekannte Regionen. Aber es ist kein Entkommen. Glücklicherweise löst sich der Stau nach der nächsten Einfahrt auf und der Fahrtwind kann den vollverkleideten Boxer wieder kühlen.
Also neben Schotter, Sand und scharfen Kurven mag die RT keinen Hitzestau. Was machen denn die Italiener und Spanier in solchen Fällen?
Als die Öltemperatur etwas gesunken ist, lässt das Klackern glücklicherweise nach und ich erreiche mein Ziel. Gintarie wohnt mit Mann und Kindern in einem Neubaugebiet im Einzugsgebiet von Vilnius. Ich leihe mir von ihrem Mann ein T-Shirt (und nehme mir vor, demnächst Wechselsachen einzupacken), meins kann man auswringen.
Da ich nicht weiß wann die nächste Tankstelle kommt, fahre ich wieder etwas Richtung Vilnius. Und tatsächlich hätte es nicht bis zur nächsten Tanke gereicht. Das Tankstellennetz ist zwar gut ausgebaut, aber abends machen viele zu.
Bald habe ist die A2 Richtung Riga erreicht und ich hänge mich hinter einen Mercedes ML. Das Tempolimit für Mopdeds kannte ich ja nicht. Diesmal nehme ich den Weg durch Panevezys und nicht die Umgebungsstrasse. Zwischen Pasvalys und der Abfahrt Birzai kommen wieder Spurrillen.
Nach 1:45 h ist die Strecke geschafft. Moped geparkt und die Sachen zum trocknen aufgehängt. Heute gibt es ein Rinkuskiai Miezinis, honigfarben, kein Schaum, litauisch-lecker.