Osteuropa

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Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde DGO

Erinnerungen in Litauen 6/2018

 

Die von der DGO (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde) herausgegebene Monatszeitschrift überrascht immer wieder mit sehr interessanten Beiträgen über Litauen. Den Text von Tomas Venclova „Ich ersticke“ (osteuropa 1/2011) haben wir im Menü 'Überblick' veröffentlichen dürfen.

 

In dieser Ausgabe 6-2018 der Zeitschrift möchten wir über vier Aufsätze berichten, die von Litauens Umgang mit der Deutschen Besatzungsmacht, den Partisanen und der Erinnerungskultur an die Kriegszeit handeln. Sie bieten einen guten Überblick auf die in Litauen geführten Diskussionen über Kollaboration, Partisanen und den Holocaust.

 

Die Aufsätze von

Alvydas Nikženaite und Joachim Tauber „Aufruhr um einen Partisanen Eine litauische Erinnerungsdebatte“

 

Violeta Davoliūtė „Pluralisierung unter Schmerzen – Litauens Umgang mit der Vergangenheit“

 

Saulius Sužiedėlis „Schwierige Erinnerungen – Litauen“

 

Arūnas Bubnys „Der Partisan – Adolfas Ramanauskas-Vanagas“

behandeln alle die „Fakten“ über Litauen in den 1940er Jahren, könnten aber kaum unterschiedlicher in der Akzentualisierung sein.

 

Nikženaite und Tauber

beschreiben in ihrem Beitrag den Streit um den Partisanenführer Ramanauskas und Ruta Vanagaite. Vanagaite, eine bekannte litauische Autorin, schrieb in ihrem Buch „Die Unsrigen“ über die litauische Beteiligung am Holocaust. Denn nicht wenige Litauer und ganz bestimmt nicht nur „ein paar Asoziale“ haben den Deutschen beim Holocaust in Litauen geholfen und sind 1944 als Partisanen in die Wälder gegangen.

 

Vanagaites Bücher wurden danach von ihrem Verlag komplett aus dem Verkauf genommen. Seitdem sind ihre Bücher nur noch von ihr selbst zu bekommen.

Die beiden Autoren schreiben: „.., dass diese Verlagsentscheidung in Westeuropa mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten verglichen werden würde.“

 

Da der Partisanenkampf neben dem „mittelalterlichen Großfürstentum Litauen mit den Höhepunkten der Königskrönung von Mindaugas und der Regierungszeit Vytautas des Großen“ zu den litauischen heiligen Mythen gehört, könne ein in Frage stellen einer dieser Mythen zu emotionalen Reaktionen der Litauer führen.

„Die Partisanen erfüllen … die Funktion eines nationalen Mythos: Nationen und Staaten brauchen, um eine politische Identität zu entwickeln, historische Mythen, bei denen der Sinngehalt oft wichtiger ist als das rein faktische.“

 

Zumal, zumindest laut den beiden Autoren, an Vanagaites Anschuldigungen nichts dran ist.

 

Wie die Autoren aber zu dem Schluss kommen, dass „Ramanauskas sich einer Mitwirkung am Holocaust nicht schuldig gemacht [hatte] “ ist mir ein Rätsel.

 

Denn tatsächlich war er beim Aufstand im Juni 1941 der Anführer einer Gruppe von Aufständischen in Druskininkai gewesen. Und diese Gruppe war auch bewaffnet. Und wie überall in Litauen ist es zu Übergriffen auf Juden gekommen. LAF 1941.

Man muss dabei einfach wissen, wie die LAF und andere Aufständische gewütet haben.

Die beiden Autoren haben natürlich insofern recht, dass es keine Beweise für eine Beteiligung Ramanauskas gibt. Unser Wissen über die Aktionen der LAF lassen aber vermuten, dass er sich kaum brav als Schutz vor eine Lagerhalle gestellt hat und die Übergriffe nur von seinen Untergebenen ausgingen. Er war ja der Chef der Gruppe.

 

Weiter schreiben die Beiden, wieder alles Fakten: „Für viele Menschen in Litauen begann der Krieg in ihrem Lande mit der Rückeroberung der Sowjetrepublik im Sommer und Herbst 1944 und nach der Deutschen Niederlage…“

Die 200.000 jüdischen Litauer haben da schon nicht mehr gelebt. Für sie, aber auch für die Litauer, die Gegner der Nazis waren, begann der Krieg tatsächlich am 22. Juni 1941.

So schaffen es Nikženaite und Tauber die Wahrheit zu schreiben, sie aber in gewisser Weise so zu verdrehen, dass sie beim kundigen Leser einen üblen Beigeschmack erzeugt.

Ihre Behauptung: „Das Thema (Judenmord in Litauen) ist seit Jahren breit erforscht und auch in der Gesellschaft kein Tabu mehr – selbst wenn der eine oder andere westliche Autor gerne noch das Gegenteil behauptet“ wird von Violeta Davoliute genau 12 Seiten weiter in Frage gestellt. Der litauische Historiker Mindaugas Pocius hatte nämlich in einer Studie davon berichtet, dass bei Vergeltungsmaßnahmen litauischer Aufständischer (Partisanen) gegen Zivilisten 9.000 Menschen, davon 300 Kinder, getötet wurden. Nach hitzigen Kontroversen und Debatten wurde der Staatsanwalt eingeschaltet, wegen Verfälschung der litauischen Geschichte. Der Staatsanwalt fand zwar keinerlei Anhaltspunkte für ein Ermittlungsverfahren. Violeta Davoliute mutmaßt aber, das „...doch auf andere Wissenschaftler könnten diese Angriffe durchaus eine abschreckende Wirkung gehabt haben. “

Christoph Dieckmann, ein deutscher Historiker und Fachmann für die deutsche Besatzungszeit in Litauen, hat zu Vanagaites Aussagen folgendes gesagt:

“Sie [Vanagaitė] verleitete nicht zu Gewalt oder Hass, genauso wenig wie sie vorhatte, irgendwen zu töten. Was sie tat, war lediglich, einige Informationen der litauischen Archive der sowjetischen Geheimpolizei über einen berühmten Nachkriegs-Anti-Sowjet-Waldbruder zu veröffentlichen. Es gibt aber auch Personen, die sich ihrer Interpretation entgegenstellen und behaupten, dass ihre Quellen unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig seien. Insgesamt ist das ganze aber immer noch eine ganz normale öffentliche und historiografische Diskussion, ein Teil des öffentlichen Lebens in einer Demokratie. Anstatt Vanagaitė zu verteufeln und zu verbannen, sollten wir besser klären, ob sie ihre Quellen in historiografisch angemessener Form verwendet hat.“

 

Viele Leute, erst kürzlich eine Bibliothekarin in Vilnius, haben mir gesagt, dass Vanagaites Buch ein populärwissenschaftliches Buch über das schwierige Thema Kollaboration in Litauen ist. Man muss es nicht mögen. Aber das Publikum sollte selber entscheiden können.

 

 

 

Violeta Davoliūtė

Professorin an der Vilnius Universität, geht das Thema ganz anders an, als die Herren Tauber und Nikženaite.

In „Litauens Umgang mit der Vergangenheit“ beschreibt sie, wie die Kollaboration einzelner Partisanen mit dem nationalsozialistischen Regime verdrängt wird und „die Erinnerung an die Widerstandskämpfer der Nachkriegszeit … zu einem Grundpfeiler der Eigenstaatlichkeit (wird)“.

Besonders das aggressive Vorgehen Russlands in der Ukraine und „der Informationskrieg, den Russland gegen den Westen führt, haben die erinnerungspolitischen Fronten weiter verhärtet.“

Die Fokussierung auf die russische Bedrohung führt in Litauen zu einer Polarisierung und politischer Aufladung der Erinnerungsdebatte. Wir erinnern uns an die Unterschiede zwischen Tauber/ Nikženaite und Davoliute weiter oben, über die Wahrnehmung von Tabus in der historischen Forschung. Während die ersteren keine Tabus sehen, zählt Davoliute einige Personen auf, die aufgrund ihrer Forschungen/Veröffentlichungen den Volkszorn über sich ergehen lassen mussten. Sei es Mindaugas Pocius mit seiner Studie, dass der Kampf der Waldbrüder über 9.000 zivile Opfer (darunter 300 Kinder) forderte (der geneigte Leser kann für weiter Informationen Juozas Luksas Biographie lesen. Er beschreibt darin ziemlich unverblümt wie die Partisanen vorgegangen sind).

Des weiteren wurde der Leiter der städtischen Planungsgesellschaft von Vilnius, Darius Udrys, nach Protesten von „wachsamen Erinnerungskriegern“ entlassen. Udrys hatte in einem Facebook Kommentar die Frage gestellt, ob das gewaltsame Vorgehen der Waldbrüder gegen Litauer, die bei der Kollektivierung der Bauernhöfe mitgewirkt hatten, moralisch in Ordnung war. [Und das bekannteste Opfer der litauischen Erinnerungskultur war Ruta Vanagaite. Ihre Bücher wurden über Nacht vom Verlag komplett aus dem Verkauf genommen.]

Violeta Davoliute Text beinhaltet noch einige zuspitzende Details, die ich im Text der Herren Tauber/ Nikženaite vermisse:

Die Kollaboration einzelner Partisanen mit dem nationalsozialistischem Regime wird [in Litauen] verdrängt

„Das historische Gedenken wird zunehmend mit außen- und sicherheitspolitischen Implikationen aufgeladen, die Erinnerung an die Widerstandskämpfer wird zu einem Grundpfeiler der Eigenstaatlichkeit“.

„Besonders betroffen von den Gewaltexzessen des Zweiten Weltkriegs war die Stadtbevölkerung: Die alteingesessenen polnischen, jüdischen und deutschen Gemeinden wurden nahezu vollständig ausgelöscht. Die litauisch-stämmige Landbevölkerung dagegen wurde um lediglich zehn Prozent dezimiert.“

„In der öffentlichen Erinnerung des heutigen Litauen nimmt das Narrativ des Leidens und Kämpfens, dessen wichtigste Protagonisten Deportierte und Partisanen sind, einen herausgehobenen Platz ein“.

Über das staatliche 'Museum der Opfer von Genozid und Widerstand':

„Dass ein Museum, das dem antisowjetischen Widerstand und den Massenvertreibungen gewidmet war, das Wort 'Genozid' im Namen trug, sorgte bei ausländischen Besuchern von Vilnius für Verwirrung und Verstörung: Aufgrund des Namens erwarteten sie eher Informationen über den Holocaust in Litauen“. „...doch kann das den Eindruck kaum zerstreuen, dass der Holocaust im nationalen Gedenken an die traumatischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts eine untergeordnete Rolle spielt“.

 

„Diese Schuldgefühle und die Scham über die Preisgabe der Souveränität 1940 möge die Verklärung von Persönlichkeiten erklären, die während des Krieges und danach für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit kämpften – darunter auch Personen, die möglicherweise mit den deutschen Besatzern kollaboriert haben oder sogar am Holocaust beteiligt waren“.

 

Russlands aggressive Politik gegen seine Nachbarn führe zu einer sprunghaften Zunahme von Aktionen um das Gedenken an die Waldbrüder wiederzubeleben und zu popularisieren. Ziel sei es die „...kollektive Identität und das Pflichtgefühl speziell junger Menschen gegenüber dem Staat zu stärken“.

 

Violeta Davoliūtė folgert, dass die Spannungen in Litauen erst nachlassen, wenn die Erforschung der Archive und die öffentliche Debatte ein facettenreiches Bild der litauischen Geschichte geliefert haben. „Allmählich [!] scheint sich ...auch ein liberaleres Verständnis der nationalen Identität zu entwickeln“.

 

Saulius Sužiedėlis

„Schwierige Erinnerung“

Saulius Sužiedėlis, ein exillitauischer Professor aus den USA, schreibt wie immer klug über die Zusammenhänge der litauischen Geschichtsauffassungen. Tatsächlich gäbe konkurrierende Erinnerungen an den Krieg und den Völkermord. Es gäbe zwar kaum Litauer, die den Holocaust leugneten, wohl aber die eigene Beteiligung daran. Vielmehr betonten die ethnischen Litauer ihre eigene Opferrolle und sehen den Holocaust nicht als die zentrale Katastrophe. Das käme vor allem daher, dass die „unterschiedlichen nationalen Gemeinschaften des Landes, insbesondere die Litauer und die Juden, diese Zeit der Besatzungen, des Krieges und des Massenmords vollkommen verschieden erlebt haben“.

 

Sužiedėlis schildert drei verschieden Fronten der Erinnerungskultur (Drei Geschichten des Bösen):

  1. Die Sowjetische. Nach der lange vorherrschenden sowjetischen Geschichtsauffassung hätte sich der litauische Nationalismus den Nationalsozialisten angedient. Der Holocaust an den Juden wurde aber als Massenmord an sowjetischen Zivilisten verschleiert.

  2. Die Litauische. Für die meisten Litauer waren „Antifaschisten nichts anderes als russischsprachige Stalinisten … also jene Litauer, die in den Jahren nach der „Befreiung“ von den Deutschen bis zum Tode Stalins mit den sowjetischen Kräften kollaborierten... „ .

    Die litauische Diaspora im Westen hatte ihre Informationen von Autoren, die an den Ereignissen der Kriegszeit selber beteiligt waren. Diese Informationen waren unausgewogen, antisowjetisch und aus ihnen sprach auch“ein mehr oder weniger notdürftig verhüllter Antisemitismus“.

    Liberale litauische Historiker in den USA (ich denke er meint Tomas Venclova und sich selber)

    wurden argwöhnisch beäugt. Man unterstellte [AK.: eigentlich wie heute noch in Litauen] ihnen „eine prosowjetische Haltung oder beschuldigte sie gar des Verrats an der Sache der litauischen Freiheit“.

  3. Westliche Veröffentlichungen über das Kriegsgeschehen in Litauen konzentrierten sich auf „... das Schicksal der Juden und rückten damit unweigerlich die Beteiligung der Litauer an der 'Endlösung' in den Vordergrund“. Sie hätten aber praktisch keinen Einfluss auf litauische Forscher in der Sowjetunion gehabt. Und auch litauische Emigranten wiesen Anschuldigungen, Litauer wären Nazi Kollaborateure, zurück.

 

Mit der wiedererlangten Unabhängigkeit begann man mit der Aufarbeitung der Stalinzeit. „Man sah sich weiter als ein Volk der Helden und Märtyrer“.

Durch internationalen Druck sah sich Litauen genötigt, die Bedeutung des Holocaust anzuerkennen. Litauische Staatsoberhäupter bedauerten öffentlich die Beteiligung von Litauern am Holocaust und der damalige Präsident Brazauskas bat in Israels Parlament um Vergebung.

„Leider reagierten Teile der litauischen Intelligencija mit Empörung und beschämenden Protesten auf diese Entschuldigung; einzelne Stimmen forderten, die Juden sollten sich im Gegenzug für ihre Verbrechen am litauischen Volk während der sowjetischen Besatzung entschuldigen“. [Der litauische Schriftsteller Jonas Avyzius schrieb, während Brazauskas sich für seine Landsleute entschuldigte, gäbe es kein Anzeichen einer ähnlichen Geste des israelischen Präsidenten für die Beteiligung von Juden an sowjetischen Oppressionen in Litauen.]

Eine unsägliche Diskussion kam in Litauen auf. „Die Theorie der zwei Genozide“. „Die Beteiligung des litauischen Pöbels an der Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten, so die Kernaussage, sei eine bedauerliche, aber verständliche Reaktion auf den „Genozid“ an Nichtjuden gewesen, den jüdische Kollaborateure während der ersten sowjetischen Besatzung (1940-1941) verübt hätten“.

 

Sužiedėlis lobt das schnelle Entstehen einer litauischsprachigen Forschung über den Holocaust, vergisst aber auch nicht zu erwähnen: “Viele Litauer wehrten sich gegen das, was sie als die 'Beschmutzung der Geschichte unserer Nation' sahen“

 

Die litauische Geschichte ist sehr kompliziert. Statt sie ohne Hass aufzuarbeiten, kommt es immer wieder zu „beschämenden Episoden“. So erinnert Sužiedėlis an ein Verfahren der litauischen Staatsanwaltschaft , die ein Massaker im Dorf Konjuchy untersuchte, in dem sowjetische Partisanen 38 Bewohner umgebracht haben. Dafür wurden ehemalige jüdische Partisanen vorgeladen, unter Anderen der ehemalige Leiter von Yad Vashem, Yitzak Arad. Arad flüchtete als Fünfzehnjähriger aus einem Ghetto in Vilnius und schloss sich den sowjetischen Partisanen an.

 

[Die einzige Chance für Juden in Litauen die deutsche Besatzung zu überleben]

 

Sužiedėlis schließt seinen Kommentar mit der Hoffnung, dass es „Trotz des aktuellen Klimas von Populismus und Fremdenfeindlichkeit und ungeachtet des zählebigen Antisemitismus...“ Anzeichen gibt, dass sich die Gesellschaft offener mit dem Holocaust auseinandersetzt.

 

Was eben nicht bedeutet die Gräuel der Sowjets zu verdrängen oder den Einmarsch der Roten Armee als Befreiung verstehen zu müssen.

 

 

Arūnas Bubnys

schreibt als letzter dieses Quintetts über den Partisanenführer Adolfas Ramanauskas, Kampfname 'Vanagas'. Wie schon 30 Seiten vorher Nikženaite und Tauber, betont Bubnys im Wesentlichen die Unschuld Ramanauskas am Holocaust. Neben seinem interessanten Werdegang, er wurde in den USA geboren und kam mit seiner Familie als Kind zurück nach Litauen, schildert Bubnys die Aktivitäten Ramanauskas in Druskininkai. Während der ehemalige Offizier des sowjetischen Geheimdienstes [des in Litauen extrem verhassten Nachman DušhanskiRamanauskas als Gründer einer illegalen militärischen Organisation schildert, die nach dem deutschen Einmarsch brutal viele Polen getötet hätten, weist Bubnys jeden Verdacht zurück:

Bis heute gibt es jedoch keinen Beleg, der diese Behauptungen von Danskij bestätigt.“

Ramanauskas sei Chef einer achtzehnköpfigen Wachschutztruppe in Druskininkai gewesen, wäre aber unbewaffnet gewesen, sein Trupp hätte auch keine Armbinden getragen (Zeichen der Aufständigen, besonders der LAF).

 

Stimmt alles und ist in Litauen schon oft diskutiert worden. Es existieren tatsächlich keine Beweise, dass Ramanauskas an Aktionen gegen Juden beteiligt war.

Bubnys hätte aber seinen Text auch mit der genau gegenteiligen Tendenz schreiben können, ohne die Wahrheit zu verdrehen. Und nach einem solchen tendenziösen Text gegen Ramanauskas wäre seine Ehrung 2018 in einem anderen Licht erschienen (Litauen hat das Jahr 2018 zum Ehrenjahr des Adolfas Ramanauskas gemacht).

 

Natürlich ist es Quatsch zu glauben, die schlimmen Verletzungen während der sowjetischen Haft hätte sich Ramanauskas selber zugefügt. Und vielleicht war er wirklich ein guter litauischer Patriot, der tatsächlich litauische Lagerhäuser vor Plünderungen geschützt hat.

Seine Gruppe war aber bewaffnet, er war der Chef. Ich weiß nicht, was die ewige Behauptung soll, er wäre nicht bewaffnet gewesen. Die Aufständigen vom Juni 1941 waren nicht zimperlich den abziehenden Soldaten der Roten Armee in den Rücken zu schießen, wie mal ein Historiker geschrieben hat. Da die Rote Armee sich zurückziehen musste, blieben einheimische Sympathisanten ohne Schutz zurück. Und die litauischen Juden!

„Bis zum 18. Juli 1941 wurden 26 Kommunisten , ein Räuber und ein Mann erschossen, der in den Quellen als Provokateur/Querulant bezeichnet wird. Dem Polizeichef war auch eine sogenannte Partisanentruppe bestehend aus 38 Mann unterstellt. Die Partisanen, die später Teil eines Hilfspolizeitrupps wurden, patrouillierten nachts durch die Straßen, bewachten Lager und Stützpunkte und halfen der Polizei, Juden zu schikanieren“.

Nach dem Abzug der Roten Armee haben die „Partisanen“ dann den Deutschen geholfen die litauischen Juden (die bei Weitem nicht alle Kommunisten waren) zu Ghettoisieren.

 

Das haben die Aufständischen in ganz Litauen gemacht. Es gibt aber eben keinen Beweis, ob sich Ramanauskas daran beteiligt hat.

Warum sollte aber ausgerechnet er, der Chef einer Wachschutzgruppe (oder Partisanengruppe) bei den Übergriffen beiseite gestanden haben?

 

Wie gesagt, es gibt keine Beweise. Wenn man aber das Vorgehen der Aufständigen vom Juni 1941 verallgemeinert, fällt es schwer Ramanauskas als Vorbild zu sehen.

 

Bubnys zitiert aus Ramanauskas Biografie:

„Nun, da ich unmittelbar erlebte, was der Okkupant in den Städten und Dörfern anrichtete, ich das vergessene Blut unschuldiger Litauer und das Leid sah, das ihnen der Okkupant und der Abschaum unseres Volkes antaten, wurde ich zum Todfeind des Kommunismus und all jener, die, obgleich sie eine wunderbare Lektion in der Zeit der ersten bolschewistischen Okkupation erhalten hatten, wieder in den Reihen des Abschaums unseres Volkes hinübertraten.“

 

Ähnliche Sätze über die Gräuel an jüdischen Litauern (200.000), an denen auch viele ethnische Litauer beteiligt waren oder an den deutschen Besatzern sind mir von Ramanauskas nicht bekannt.

 

 

Fazit

Alle vier Texte berichten über Diskussionen in Litauen, die von den Besatzungen im 2. Weltkrieg handeln, über Kollaboration und nationale Mythen. Alles entspricht den historischen Tatsachen.

Während Violeta Davoliūtė und Saulius Sužiedėlis den litauischen Umgang mit Holocaust und Besatzung durchaus kritisch sehen und Verbesserungen und Defizite aufzählen, argumentieren Nikženaite/Tauber und Bubnys meiner Meinung nach ziemlich einseitig zugunsten Ramanauskas.

Da helfen auch keine kritischen Worte mehr über Kazys Skyrpa und seine LAF.

Nicht nur im Hinblick zu Litauen ist es interessant, geschichtliche Begebenheiten und die Diskussion darüber so unterschiedlich interpretiert zu bekommen. Und wenn der Leser wenig Ahnung hätte, würde er der vermeintlichen Logik leicht zustimmen.

 

Es wird wohl noch lange dauern und viel Forschung und Diskussionen erfordern, bis Litauens Geschichte der Jahre 1940 bis 54 aufgearbeitet ist.

 

Der Zeitschrift „osteuropa“ der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde ist für seine hervorragenden Artikel zu danken.

Manche Artikel von 'osteuropa' kann man online lesen oder ganze Ausgaben bei der DGO bestellen.

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