Birzai Burg
Litauen Nida Kurenwimpel
Litauen Nida Haff Dünen
Litauen Vilnius Kathedrale
Litauen_Birzai_Schloss.webp
Nida.webp
Nida_Haff.webp
Vilnius_Kathedrale.webp

Juden in Birzai

 

Foto:privat/Historisches Museum Riga

Das "Deutsche Reich" weckte in Litauen, wie bei anderen von Russland besetzten Staaten auch, die Hoffnung auf Unabhängigkeit.

Leider brachten die Deutschen nicht die ersehnte Freiheit, sondern ermordeten mit litauischen Hilfstruppen die gesamte jüdische Bevölkerung.

 

 

 

Wenn man heute in Birzai ist, erinnert fast nichts mehr an die Zeiten, in denen der jüdische Bevölkerungsanteil fast 57 % betrug.

Durch Zufall stieß ich auf einer Karte von Birzai auf den Davidstern und, neugierig geworden, besuchte ich den  jüdischen Friedhof.

Er liegt westlich der  525 m langen Holzbrücke die zum Astravas-Anwesen führt, auf einer Landzunge.

Erstaunlich groß für das kleine Birzai und in schlechtem Zustand.

Daraufhin habe ich nach Informationen gesucht und versuche, diese hier Interessierten zur Verfügung zu stellen.

Über weitere Infos zu diesem Thema würde ich mich freuen.

Ein sehr interessanter Bericht über das jüdische Leben in Birzai stammt von Yosef Rosin Birzh, Birzai. Freundlicherweise durfte ich  seinen Bericht aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen.

 

 Bild anklicken für Übersetzung

 

Antisemitisches Poster der pro deutschen "Litauischen Aktivistischen Front"

Litauisches Staatsarchiv (gefunden beim United States Holocaust Memorial Museum, der Link (mit Übersetzung) ist auf dem Bild)

mehr zur LAF und der PG (Provisorischen Regierung, den Lietukis Garage Killings unter LAF

 

Birzh (Birzai), Litauen

 

Von Josef Rosin

Das Englische editiert von Sarah und Mordehai Kopfstein

Aus dem Englischen übersetzt: A.Kuck 12.12.2010

 

 

Birzh, wie es auf jüdisch hieß (Birzai auf Litauisch), liegt im nordöstlichen Teil Litauens, an den Ufern der Flüsse Apascia und Agluona

und am See Sirvena , umgeben von buschigen Wäldern, nicht fern der lettischen Grenze.

Vier Inseln existieren in diesen Flüssen, auf einer von ihnen wurde im 16. Jahrhundert ein Palast errichtet, in dem Napoleon auf

seinem Marsch durch Litauen Rast machte.

Die spektakuläre Landschaft der Stadt zog viele Urlauber an. Sie ist eine der ältesten Städte Litauens und wurde schon 1415 in einigen Dokumenten erwähnt.

 

Während der Jahre 1492-1806 gehörte Birzai der Familie eines Adligen mit dem Namen Radzivil (Radvila auf Litauisch). Von Zeit zu Zeit

diente die Stadt als offizielle Residenz der Familie, welche Einiges in ihre Entwicklung investierte.

Ihre Lage an einer der Hauptstraßen von Vilnius nach Riga war ein wichtiger Faktor in ihrer Entwicklung. Während der Herrschaft von Prinz Christoph Radzivil I. entwickelte

sich die Stadt rasant, besonders nachdem ihr 1589 die Magdeburger Stadtrechte verliehen wurden.

1609 verkündete Prinz Christoph die städtischen Gesetze, errichtete ein Gebäude für die Stadtverwaltung und gründete einige Wohlfahrtseinrichtungen.

Nahe der Stadt wurde eine große Burg gebaut mit einem innen liegenden Palast.

Durch den  großen Einfluss der Radzivil-Familie wurde Birzai zum Zentrum der Reformation in Litauen.

 

Jede Woche wurden zwei Markttage abgehalten (A.d.Ü.: ist heute noch so).

 

Im 17.Jahrhundert litt Birzai unter den Kriegen mit Schweden, und während der Nördlichen Kriege wurde es wieder beschädigt.

Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts, nach den Nordischen Kriegen und einigen regionalen religiösen Kriegen, verlor Birzai seine Bedeutung.

 

Bis 1795 war Birzai Teil des Polnisch-Litauischen Königreichs, als die dritte Teilung Polens durch die drei Großmächte jener Zeit - Russland, Preußen und Österreich -

Litauen teils russisch, teils preußisch werden ließ. Der Teil Litauens, in dem Birzai liegt, fiel unter zaristische Herrschaft, erst von 1802 an als Teil der Vilnaer Provinz (Gubernia) und ab 1843 Teil des Ponivezh-Bezirks in der Provinz Kaunas.

 

Mit Beginn der russischen Herrschaft wurden die Magdeburger Stadtrechte  entzogen, und Birzai wurde zu einer normalen kleinen Stadt.

1806 wurde die Stadt an die Familie des Grafen Tiszkiewicz übergeben, die sie bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts behielten.

 

1812 passierte Napoleons Armee die Stadt auf dem Weg nach Riga und Mikolas Tiszkiewicz organisierte ein spezielles Bataillon für seine Dienste.

 

Während der polnischen Rebellionen 1831 und 1863 nahm Birzai eine aktive Rolle in den Aufständen gegen die Russen ein und es

entstanden schwere Kämpfe in seiner Umgebung, welches die wirtschaftliche Entwicklung unterbrach.

 

1869 bestand die Stadt aus 536 Häusern (davon 2 aus Stein) und 20 Straßen.

In dieser Zeit besaß Birzai 3 Gerbereien und mehr als 40 Geschäfte, einige hundert Handwerker, 3 Mühlen, 3 Ärzte sowie gegen Ende

des Jahrhunderts auch eine Apotheke.

 

1883 zerstörte ein großes Feuer etwa 50 Häuser in der Stadt. 1912 gab es eine Druckpresse.

 

Nach der Volkszählung von 1897 hatte Birzai 4413 Einwohner - 1255 Katholiken, 581

Protestanten und 2510 (57%) Juden.

 

Während des 1. Weltkriegs war Birzai von den Deutschen von 1915 bis 1918 besetzt.

Während der Kämpfe um Birzai wurden einige Dutzend Häuser zerstört.

 

Die Deutschen bauten eine Schmalspurbahn, die Birzai mit Siauliai (Shavli) verband, was die Entwicklung der Stadt beeinflusste,

aber 1918 zerstörte ein großes Feuer weite Teile davon und ein großer Teil der Jüdischen Gemeinden waren ruiniert.

 

Von Dezember 1918 bis Mai 1919 kam die Stadt unter bolschewistische Herrschaft.

 

Während der litauischen Herrschaft gab es zweimal die Woche einen Marktag -  an Montagen  und Donnerstagen (A.d.Ü.: heute Donnerstag und Samstag), ebenso zweimal im Jahr eine Messe.

Eine Filiale der Regierungsbank sowie 4 private Banken tätigten ihre Geschäfte in der Stadt.

 

Birzai war bekannt für seine Drehorgelspieler („ Musik Box“, Katarinka), die im Sommer durch ganz Litauen reisten und zu den  „Grossen Feiertage“ zurückkehrten.

 

1934 gab es 1039 Häuser in der Stadt (davon 347 aus solidem Material gebaut) und die Einwohnerzahl stieg auf ca. 9000 an.

 

Jüdische Besiedlung bis zum 1. Weltkrieg

 

Juden begannen im 16. oder am Anfang des 17. Jahrhunderts in Birzai zu siedeln. Die Überlieferung sagt, dass sie auf Einladung von Prinz Christoph Radzivil (1547-1603) kamen, der die lokale wirtschaftliche Entwicklung fördern wollte.

Erst kam eine Gruppe von Karäern, und erst später, in der Mitte des Jahrhunderts, siedelten sich auch rabbinische Juden an.

Der Prinz versprach, ihnen sie vor den christlichen Nachbarn zu schützen, aber 1662 gab der protestantische und liberale Prinz  Boguslav

Radvila, eigentlich den Juden freundlich gesonnen, den Forderungen der katholischen Einwohner der Stadt nach, und die Juden wurden vertrieben.

 

Die Karäische Gemeinschaft in Birzai wurde erstmals 1625 in einem Brief von Rabbi Khaham Zerakh ben Nathan in Verbindung mit

einem Feuer, das die Stadt in Mitleidenschaft zog, erwähnt.

Die Gemeinde war sehr arm.

 

Eine Liste von 1669 zeigt, dass die gezahlten Steuern der Karäer um ein Drittel niedriger waren als die in vorausgegangenen Jahren,

welches ein Resultat der sich für sie verschlechternden ökonomischen Situation war.

Die Karäer wohnten in speziellen Straßen und hatten ihre eigene Synagoge und Friedhof.

Die Karäer, ebenso wie die Juden, litten unter der Verfolgung der Herrschenden und ihrer christlichen Nachbarn.

Im 18. Jahrhundert hörte die karäische Gemeinde auf zu existieren, ihre Synagoge wurde in rabbinisch jüdische Hände übergeben.

 

Während der Pogrome in Polen 1648-49 und in Litauen 1656 litt auch Birzai unter den Pogromen, es gibt Hinweise auf diesen Effekt in Rabbinischer Literatur jener Zeit.

In dieser Periode litten die Juden stark unter Misshandlungen durch polnische Landbesitzer.

 

In Dokumenten der Jahre 1663 und 1683 werden Juden erwähnt, die in der Stadt siedeln wollten und sich das Recht dazu erkauften.

1683 beschlossen die Bürger eine offizielle Resolution, die den Juden verbieten sollte in Birzai zu siedeln und Land zu erwerben.

Die Juden scheinen es geschafft zu haben, dass die Resolution aufgehoben wurde, denn sie siedelten wieder in der Stadt und den benachbarten Siedlungen.

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts existierte schon eine große und wichtige jüdische Gemeinschaft, die einen offiziell anerkannten Status hatte.

Trotzdem wurden sie auch dann nicht in Ruhe gelassen, sie litten unter Misshandlungen durch Regierungsbeamte und Kirchenobere,

die 1700 und 1711 die bürgerlichen Rechte der örtlichen Juden abschafften.

Am 21. April 1717 wurde der gesamten Gemeinde die zivilen Rechte aberkannt und gezwungen, eine Kopfsteuer von 1500 Rubeln zu

zahlen, zusätzlich zu einer speziellen Steuer von 350 Rubeln, die sie schon zuvor an den „Großhetman“ von Litauen entrichten mussten.

 

Auf der gegenüberliegenden Seite des Sirvena Sees, etwa 2 - 3 km vom Stadtzentrum, war ein großes Stück Land, genannt „Birzu Dvaras“ (Birzai Grund), das eine eigene Verwaltung, Gericht und Gefängnis besaß, wo Juden seit hundert und mehr Jahren wohnten.

In den Gerichtsprotokollen von 1620 bis 1745 finden sich die Namen vieler Juden die hier verurteilt wurden, vorwiegend wegen

ungetilgter Schulden.

 

Während der Jahre der autonomen Organisation der jüdischen Gemeinschaften in Litauen, (Va’ad Medinath Lita, 1623 bis 1764), war

Birzai ein Bezirkszentrum (Galil) verantwortlich für die Gemeinden Posvol (Pasvalys), Salat (Salociai), Pumpian (Pumpenai) und Pokroi (Pakruojis).

Die Birzaier Gemeinde wird erwähnt in Statuten der „Pinkas Medinath Lita“ (A.d.Ü.: Register der wichtigsten Gemeinschaften der Provinz Litauen) von 1726, betreffend einer Konferenz in Brisk (A.d.Ü.: Brest-Litovsk), und 1731 in Zusammenhang mit einer Konferenz in Telzh (A.d.Ü.: Telsiai) über Steuereinnahmen.

 

In dieser Zeit versuchten die Birzaier Juden sich in Riga anzusiedeln, damals eine wichtige Hafenstadt am Baltischen Meer. Der Stadtrat verhängte eine neue Steuer, zwei Reichstaler, für Juden die sich in der Stadt niederlassen wollten.

Prinz Radzivil versuchte diese Diskriminierung zu stoppen, aber der Stadtrat weigerte sich, fürchtend, dass die Abschaffung dieser speziellen Steuer noch mehr Juden aus Polen und Litauen ermuntern könnte, nach Riga zu kommen.

 

1766 gab es 1040 Juden in Birzai.

 

Ab 1775 wird eine Synagoge in Birzai erwähnt.

 

Ein Dokument, den Birzaier Distrikt (Galil) 1673 betreffend, erwähnt die Rettung einer jüdischen Frau und ihrer Kinder aus dem Arrest, durch Bezahlung einer Strafe.

Es scheint, dass sie gefangen genommen wurden, weil sie Steuern oder eine Schuld nicht an einen Landbesitzer zahlten.

Als ein Resultat dieses Vorfalls gab Va’ad Medinath Lita (Jüdische Gemeinschaft Litauens) eine Anweisung heraus, die das Leihen von Geld von Grundbesitzern und Priestern verbot,

außer mit Wissen und Genehmigung der Gemeinde. Frauen und Kinder sollten für Schuldzahlungen nicht verantwortlich gemacht werden können.

Jeder der sich nicht an diese Anweisungen hielt, würde boykottiert oder sogar aus der Gemeinschaft ausgestoßen sowie das Recht in der Stadt zu leben verlieren.

Die Gemeinde würde nicht die Verantwortung für die übernehmen, die solch einen Kredit annehmen (keinen Pfennig).

 

Während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte die Birzaier Gemeinde Schulden bei den Radvilas und der Kirche.

Der Rat der Galil autorisierte den Gemeindevorstand, einen strikten Bann oder sogar einen Boykott zu verhängen auf alle, die nicht ihre jährliche Steuer zahlten, die in andere Gemeinden fuhren oder weg aus dem Birzaier Galil (A.d.Ü.: Bezirk) fuhren, um die großen Feíertage zu verbringen.

Gewöhnlich fuhr man an den Feiertagen in die großen Städte, wodurch die kleinen ohne eine Minyan gelassen wurden.

Die strengen Anordnungen enthielten auch das Verbot, Parties, Hochzeiten oder eine

Brith-Milah (A.d.Ü.: Beschneidung) zu arrangieren ohne das Wissen des Gemeindevorstands, um Verschwendung und Neid zu verhindern.

In diesen Anordnungen gab es Bestimmungen für das Schächten, um Schwierigkeiten unter den Schächtern zu vermeiden.

Andere Regeln handelten von Trauer und sogar darüber, welches Kleid die Braut am Hochzeitstag tragen solle. Alle diese Vorschriften, bestimmt von der Birzaier Galil, galten über mehrere Generationen hinweg.

 

Die Birzaier Verwaltung entschloß sich, im Monat Adar jährlich eine gewisse Summe für den Eretz-Yisrael zu spenden- „bis Mashiach kommt“

(A.d.Ü.: bis der Messias kommt), gesammelt von zwei verschiedenen Fonds, eine für Eretz-Yisrael (Ma’oth Eretz-Yisrael). die andere für Jerusalem (Ma’oth Yerushalayim), wobei jeder Fond zwei Kontrolleure hatte (Gaba’im).

Zuerst wurde das Geld zu den Gaba’im nach Vilnius geschickt, fünf Monate später entschied die va’ad (A.d.Ü.: Autonome Organisation

der Jüdischen Gemeinden Litauens), die Spenden für Eretz-Yisrael zum Rabbi nach Brisk (Brest-Litowsk)zu schicken, das Geld für Jerusalem wurde einem „Meshulakh“ (Bote, der zwischen den jüdischen Gemeinden reiste und Geld für Institutionen in Jerusalem zusammentrug) übergeben.

 

Auf dem alten Jerusalemer Friedhof gibt es mindestens 3 Grabsteine von Birzaier Juden: Mosheh Tsevi ben Aharon Melamed, 1870 gestorben; die Frau des Rabbis Hayah Libe bath Paltiel, gestorben 1879; Tsevi ben Avraham, gestorben 1880.

 

Die Birzaier „Pinkas haKhevrah Kadisha“ von 1804 zeigt Regularien bezüglich der Unterstützung von Armen, wie man Konten führt und Bezahlung von Krankenhauskosten durch die Arbeitgeber, wenn deren Angestellte als Patienten aufgenommen wurden.

 

1847 gab es 1685 Juden in Birzai. Im Juli 1893 vernichtete ein großes Feuer 50 Häuser, der Schaden wurde auf 50.000 Rubel geschätzt.

 

Während dieser Zeit verdienten die Birzaier Juden ihr Einkommen hauptsächlich mit Handel, besonders mit Flachs und Holz. Andere lebten vom Handwerk, Landwirtschaft, Leichtindustrie und Straßenverkauf. Es gab Webereien und Strickereien, in denen Wolle aus England für den Export verarbeitet wurde, und das weiße Leinen aus Birzai war sehr berühmt (A.d.Ü.: es gibt heute noch eine Leinenfabrik).

 

In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg vertrieben Birzaier Juden Milchprodukte von Farmen aus der Nachbarschaft.

Andere verpachteten Gaststätten und Kneipen.

Die Juden hatten gute Beziehungen zu ihren Nachbarn, und während im benachbarten

Russland Pogrome rumorten, mussten die Birzaier Juden und ihre Umgebung nicht leiden.

 

1908 gründeten örtliche Priester eine polnische Kooperative, als starke Konkurrenz zu den jüdischen Geschäftsleuten.

Demzufolge schlossen sich die kleinen „Gemiluth Hesed“ (A.d.Ü.: der Dienst am und für den Menschen) Initiativen, die Kleinkredite ohne Zinsen an jüdische Ladenbesitzer ausgaben, zusammen, um den Geschäftsleuten besser zu helfen.

 

Die Geschichte des Rabbinats in Birzai teilt sich in zwei Perioden:

Während der ersten Periode gab es nur einen Rabbi für Birzai, Keidan und Vizhun

(A.d.Ü.: Kedainiai und Vyzuonos) - Rabbi Tsevi-Hirsh Hurvitz.

Die zweite Periode begann 1713, als Birzai seinen eigenen Rabbi ernannte – Shalom Zak. Seitdem dienten viele berühmte Rabbis in Birzai, hauptsächlich aus der Zak-Familie.

Als Anhang 1 (A.d.Ü.: des englischen Originals, s.o.) gibt es eine nicht vollständige Liste der in Birzai dienenden Rabbis.

Während des 1. Weltkriegs wurde die jüdische Gemeinschaft Birzais ruiniert.Viele Juden emigrierten oder wurden von der russischen Armee nach Russland ausgewiesen.

 

 

Während der Unabhängigkeit Litauens (1918-1940)

 

 

Gesellschaft und Wirtschaft

 

Nach dem I. Weltkrieg blieb Birzai das Verwaltungszentrum des Bezirks; seine Bedeutung ließ aber nach, da der Transport von Gütern über Birzai nach Riga eingeschränkt wurde.

Dennoch entwickelte sich die Stadt, und die (A.d.Ü.: jüdische) Gemeinschaft erholte sich etwas, als einige nach Russland verbannte Juden zurückkehrten und sich Juden aus den benachbarten Dörfern ansiedelten.

Aber die steigende Zahl von Juden tauchte statistisch in Bezug auf die Gesamtbevölkerung nicht auf.

Viele litauische Dorfbewohner und auch Regierungsangestellte siedelten in Birzai, so dass der Anteil an Juden bis zur Mitte der dreißiger Jahre auf nur noch 37% sank, während 75% der Häuser in der Stadt Juden gehörten.

 

 

Dem Autonomiegesetz für Minderheiten folgend, welches von der neuen litauischen Regierung erlassen wurde, ordnete der Minister für jüdische Angelegenheiten

Dr. Menachem (Max) Soloveitshik Wahlen zu Gemeindekomitees (Va'ad Kehilah) für den Sommer 1919 an.

In Birzai wurde ein „Va'ad Kehilah“ mit 15 Mitgliedern gewählt: 6 allgemeine Zionisten; 2 Tseirei Zion (A.d.Ü.: Jugend des Zion); 1 Mizrahi (A.d.Ü.: Juden aus islamischen Ländern);

1 Akhduth (Agudath Yisrael), 3 Arbeiter; 2 Unabhängige.

Der Va’ad war in den Jahren 1920-1924 sehr aktiv in Gemeindeangelegenheiten und bekam viel administrative, finanzielle und beratende Unterstützung vom Ministerium für jüdische Angelegenheiten in Kaunas.

 

 

Am 12. Oktober 1922 fanden die Wahlen für den ersten Seimas (Parlament) statt. In Birzai teilten sich die jüdischen Stimmen wie folgt auf: Die Zionistische Liste bekam 426 Stimmen, Akhduth 125 und die Demokraten 13.

 

Bei den Wahlen zum Stadtrat, die 1931 stattfanden, wurden 9 Litauer und 3 Juden - Mordehai Smilg, Eliyahu Fridman und Zalman Vainer- gewählt.

(A.d.Ü.: die Unterscheidung 9 Litauer und 3 Juden ist verwirrend, steht aber so im Orginal).

 

Während dieser Periode lebten viele Juden von Flachs und Bauholz, während andere Handwerk und Landwirtschaft betrieben oder Hausierer waren.

Einige Juden aus Birzai und Umgebung waren bei den zwei Getreidemühlen, die jüdische Besitzer hatten, angestellt. Andere arbeiteten in Betrieben mit Leichtindustrie.

Die Mühlen gaben auch vielen jüdischen Familien aus Birzai und Umgebung ein Auskommen, die herkamen, um ihr Korn zu mahlen oder Mehl zu kaufen.

Das Mehl aus diesen Mühlen wurde in Säcke verpackt und in ganz Litauen verkauft.

 

Es gab auch Webereien und Strickereien mit jüdischem Besitzer sowie Flachs verarbeitende Betriebe, in denen einige Juden arbeiteten.

 

 

Eine Regierungsuntersuchung von 1931 zeigte, dass es 99 Betriebe in Birzai gab, von denen 77 jüdische Besitzer hatten (78%). Eine detaillierte Aufteilung nach Betriebsart findet man auf der Tabelle

Hier (im Originaltext von J.Rosin) LINK

 

Nach der gleichen Untersuchung gab es 45 Fabriken in Birzai, davon 28 in jüdischer Hand, wie man auf der folgenden Tabelle sehen kann:

 

Hier im Originaltext von J.Rosin

 

 

1931 gab es 80 Handwerker, davon 63 Juden (79%): 8 Schneider,8 Fleischer, 6 Wollverarbeiter, 6 Schuhmacher, 4 Bäcker, 4 Perückenmacher, 2 Sattler, 1 Gerber,

1 Kupferschmied, und 20 andere. Sie waren in der “Vereinigung der jüdischen Handwerker“ organisiert.

 

Zu Beginn der Dreißiger Jahre arbeiteten 2 jüdische Ärzte (von insgesamt 3), 2 jüdische Anwälte (dazu 2 nicht jüdische) und 2 jüdische Ingenieure (sowie ein nicht jüdischer) in der Stadt.

 

In der Mitte der Dreißiger Jahre begann sich die wirtschaftliche Lage der Birzaier Juden durch Konkurrenz von litauischen Handwerkern und Großhändlern zu verschlechtern. Trotz der Tatsache, dass von den 118 Geschäften in der Stadt 80 in jüdischem Besitz waren, hatte die aggressive Propaganda der Vereinigung der litauischen Händler „Verslas“- gegen das Kaufen in jüdischen Geschäften - einen negativen Effekt auf den jüdischen Handel.

 

Die jüdische „Folksbank“ spielte eine wichtige Rolle im ökonomischen Leben der Birzaier Juden, obwohl ihr Anfang bescheiden war: 1922 hatte sie 100 Mitglieder (von denen 40 Darlehen bekamen, die sich auf 40.000 Mark beliefen); 1927 hatte sie schon 326 Mitglieder und 1929 eine ähnliche Anzahl : 321.

 

Laut offiziellem Telefonbuch von 1930 gab es in Birzai 121 Telefonteilnehmer, davon 41 Juden.

 

Ausbildung und Kultur

 

 

Jüdische Kinder hatten die Wahl unter verschiedenen vorhandenen Schulen: die hebräische “Tarbuth“ Schule mit ca. 180 Schülern (Ihr Direktor war 16 Jahre lang Elimelekh Erez); die Jiddische Schule (1924-1939), die religiöse “Yavneh“ Schule mit ungefähr 40 Schülern; mehrere “Khadarim“ oder die “Yeshivah“, die in den dreißiger Jahren von den örtlichen Rabbis Leib Bernshtein und Benyamin Movshah gegründet wurden.

Es gab auch einen jüdischen Kindergarten mit ca. 30 Kindern, der bis zum II. Weltkrieg aktiv war. Ein Zweig der “Jüdischen Kultur-Liga“ betrieb eine Bücherei mit ca. 300 Büchern aber nur 40 Abonnenten. Einmal verhaftete die Polizei alle Mitglieder der Liga mit der Anschuldigung kommunistischer Aktivität. Bei der Durchsuchung der Bücherei wurden 25 Bücher beschlagnahmt.

 

Gelegentlich kamen jüdische Theatergruppen nach Birzai, um eine Show zu präsentieren und manchmal gab es einen Kulturabend wie das “Literatur-Raten“.

Wegen Mangels an kulturellem Leben versammelten sich die Menschen am “Shabath“- Nachmittag in der “Beith Midrash“ (A.d.Ü.:Studierhalle) für ein Gespräch über wirtschaftliche oder politische Angelegenheiten.

 

Zionistische und andere öffentliche Aktivitäten

 

Fast alle zionistischen Parteien waren vertreten. Die Tabelle unten zeigt, für welche Parteien die Birzaier Zionisten während des VI. Zionistischen Kongresses abstimmten.

 

 

In Birzai waren die zionistischen Jugendorganisationen “HeKhalutz“, “HaShomer HaTsair“, “Beitar“, “Gordonia“ (mit ca. 60- 70 Mitgliedern) und “Benei-Aktiva“ aktiv. Die Leiter von Gordonia waren Peretz Shek und A. Perl. An Sportgruppen gab es “Macabi“ mit ca. 50 Mitgliedern und ein weniger aktiver Zweig von “HaPo’el“.

 

Viele Birzaier Juden waren Mitglieder der örtlichen freiwilligen Feuerwehr und dort auch im Vorstand gut vertreten. Da die Feuerwehr drei Löschfahrzeuge besaß, war sie die drittgrößte Litauens nach Kaunas und Siauliai.

 

Religion und Sozialfürsorge

 

 

Die meisten der Birzaier Juden waren “Mithnagdim“ (A.d.Ü.: Gegner des Chassidischen Glaubens) die zwei “Beth-Midrash“ unterhielten, (eine hieß die Große). Es gab eine Synagoge, zwei “Klois“ (Gebetshäuser), eins der Schuhmacher, das andere von den “Shamashim“ (Hausmeister der Gebetshäuser). Es gab sowohl “Khasidim“ (A.d.Ü.: Chassiden), die ihr eigenes Gebetshaus hatten, als auch verschiedene “Minyanim“, darunter einer von „“Habad“ und ein anderer von “Po’alei Tsedek“.

 

An jüdischen Fürsorgeeinrichtungen gab es “Gemiluth Khesed“, die Kleinkredite ohne Zinsen verliehen; “Linath HaTsedek“ (Hilfe für die Kranken), “Moshav Zekeinim“ (Altenheim), “Maskil el Dal“, “Lekhem Aniyim“ (Brot für die Armen).

 

Die “OZE“-Organisation, die sich hauptsächlich mit Vorsorgemedizin für jüdische Schulkinder befasste, hatte eine Klinik in Birzai und behandelte auch Kinder aus der Umgebung.

 

Durch die wirtschaftliche Verschlechterung für die Birzaier Juden vor dem II. Weltkrieg, musste die OZE-Klinik schließen und die Handwerker Vereinigung stellte ihre Arbeit ein. Nur das “Moshav-Zekeinim“ (Altenheim), das 1935 sechs alte Personen beherbergte (vier Frauen und 2 Männer), arbeitete weiter. Die Gebetshäuser und die Fürsorgeinstitutionen setzten ihre Arbeit unter ärmlichen Bedingungen fort.

 

 

Die Beziehungen zwischen Juden und Litauern während dieser Periode waren ziemlich normal, wenn auch kühl und distanziert.

Die Litauer lebten in ihren Alleen, die Juden im Stadtzentrum. Während dieser Jahre begann der Antisemitismus sein Haupt zu erheben.

 

 

Während des II. Weltkriegs

 

 

Während der sowjetischen Herrschaft (Juni 1940-Juni 1941) wurden einige jüdische Betriebe verstaatlicht. Alle zionistischen Parteien und Jugendorganisationen sowie einige Gemeinde-Organisationen wurden verboten. Die Hebräische Schule wurde eine staatliche Schule mit Jiddisch als Lehrsprache. Drei jüdische Familien (Gendler, Beker, Lifshitz, zusammen 16 - 17 Personen) wurden nach Sibirien deportiert.

 

Am 1. September 1939 marschierte die Wehrmacht in Polen ein und besetzte das Land innerhalb weniger Wochen.

Viele jüdische Jugendliche, meist von zionistischen Organisationen, schafften es über die Grenze nach Litauen einzusickern.

Die jüdische Gemeinschaft nahm sich der Flüchtlinge auf verschiedene Weise an, eine davon war die Gründung von “Kibbutsei Hakhsharah“ (Übungs - Kibbutz), bei der die jungen Leute unterkamen und für ihr Auskommen arbeiteten.

1939 wurde ein “Kibbutz Hakhsharah“ für die Flüchtlinge aus Polen in Birzai gegründet. Er war aktiv bis März 1940.

 

 

Die deutsche Armee erreichte Birzai von Norden, aus Lettland kommend, am Donnerstag den 26. Juni 1941. Sie fand die litauischen Nationalisten, von einem örtlichen Rechtsanwalt angeführt, bereits gut organisiert vor. Die Verfolgung der Juden begann mit dem ersten Tag des deutschen Einmarsches. Das erste Opfer war Doktor Avraham-Zalman Levin.

Unter dem Vorwand einen kranken Patienten zu besuchen, holten zwei Litauer ihn aus dem Haus und einer erschoss und tötete ihn.

 

Motl Beder wurde erschossen, als er Rabbi Bernshtein verteidigte. Der wurde ermordet, als er seine Gemeinde schützen wollte. Der junge Arzt Aptakin versuchte sich im Wald zu verstecken; litauische Nationalisten fanden und ermordeten ihn.

Anwalt Kirshon fand mit seiner Familie bei vermeintlich befreundeten Litauern Asyl, die die ganze Familie aber der Polizei übergab, die sie ermordeten.

Der örtliche “Shokhet“ (Schächter) wurde mit seinem Bart an den Schweif eines Pferdes gebunden und durch die Stadt zu Tode geschleift.

 

 

Einen Monat nach dem Einmarsch der Deutschen, am 26. Juli 1941, wurde allen Juden befohlen, ihre Häuser zu verlassen und in ein Ghetto in schäbigen Gassen rund um die Synagoge und die “Beith Midrash“ zu ziehen.

Fortwährend wurden jüdische Männer von der Polizei verhaftet, zum jüdischen Friedhof oder anderen Stellen der Stadt oder der Umgebung gebracht und erschossen.

 

Am 8. August 1941 begann für die Mörder der Birzaier Juden die Endphase. An diesem Tag wurden Männer, Frauen und Kinder in Gruppen von 100 - 200 Personen zum Astrava Wald,  3,5 km nördlich von Birzai geführt, ungefähr 1,5 km auf der Strasse nach Paroveja.

Dort waren am Rand des Waldes zwei Gruben (20 und 30 Meter lang und 2 Meter breit)  vorbereitet. 500 jüdische Männer hatten sie vorher unter Zwang ausgegraben.

Den Opfern wurde befohlen, ihre Oberbekleidung abzulegen und sich an die Grube zu knien, sie wurden hineingestoßen und erschossen.

Wo es immer noch Lebenszeichen gab, wurde erneut mit der Pistole erschossen.

 

 

Das Massaker fand von 11:00 Uhr bis 19:00 Uhr am Abend statt. Ein örtlicher Litauer “mit einem gelben Bart“ (Jonas Kairys) zeichnete sich durch Brutalität während des Massakers aus. Die Mörder teilten die geraubten jüdischen Wertsachen unter sich auf. Nur die teuren Dinge wurden den Deutschen gegeben. Danach gingen sie singend zurück in die Stadt. Eine Sonderkommission der Regierung stellte in einem Bericht am 25. Mai 1945 fest, dass die Anzahl der jüdischen Opfer in den zwei je 2.5 m tiefen Gruben 2400 beträgt, davon 900 Kinder.

 

In einer dritten, etwas kleineren Grube, fand man die Leichen von 90 von den Deutschen ermordeten Litauern.

 

Dreißig weitere Juden wurden auf dem jüdischen Friedhof in offenen Gruben gefunden. Allen wurde in den Kopf geschossen. Nach dem Krieg wurde das Gelände umzäunt und ein Denkmal aufgestellt. Eine Inschrift auf litauisch und russisch lautet: "Hier liegen 3000 Sowjetbürger, die 1941 von Hitlers Faschisten erschossen wurden."

Anfang der 90'er Jahre (A.d.Ü.: also mit Abzug der Roten Armee) wurde die Gedenktafel ausgetauscht und der neue Text auf litauisch und jiddisch lautet : "An diesem Ort ermordeten am 8. Juli 1941 Hitlers Mörder und ihre Helfer 2400 Juden- Männer, Frauen, Kinder und etwa 90 Litauer."

 

Wenige junge Juden schafften es in die UdSSR zu flüchten.       Zwischen David und Sowjetstern.           Sie kämpften in der Roten Armee. Ein paar überlebten.

 

Christoph Dieckmann beschreibt die Abläufe der Massaker in Birzai so  (S. 813):

 

"Kreis Biržai

Die jüdische Gemeinde von Biržai wurde noch früher ausgelöscht. Am 8. August 1941 ermordeten unter der Leitung des Rechtsanwalts und späteren Gebietsrats Požėla litauische Polizisten aus Šiauliai, 30 Aufständische aus Linkuva, 50 Polizisten und Aufständische aus Biržai 900 jüdische Kinder, 780 Jüdinnen und 720 Juden im Wald Astravas, 3,5 km nördlich des Städtchens. 

Die 2.500 Opfer waren am 26. Juli 1941 in ein Ghetto in der Stadt gesperrt worden.
In den Amtsbezirken des Kreises konzentrierte man die Juden an bestimmten Orten. So mussten sich zum Beispiel im Amtsbezirk Pasvalys 2.200 jüdische Opfer aus den Dörfern der Umgebung versammeln: aus Joniškėlis, Saločiai, Vaškai, Vabalninkas und Pumpėnai. Zuerst wurden Juden in eine Scheune gesperrt und dann in einem nahen Wäldchen an zwei Tagen durch die dritte [litauische] Kompanie des 1. Schutzmannschaftsbataillons ermordet. Die überlebende Sheina Gertner aus Vabalninkas erzählte, dass sie am 20. August 1941 in Pasvalys zusammengepfercht wurden. Sie hätten ihr Haus mit einem Koffer und Essen für drei Tage verlassen müssen. Es hieß, sie kämen in ein Arbeitslager. 

Als sie sich am 26. August 1941 in der örtlichen Schule für die vermeintliche Busfahrt ins Lager fertigmachen sollten, warnte sie ein alter Priester, dass sie erschossen werden sollten. In wilder Flucht durch das Städtchen überlebten Sheina und ihr Mann. Das Kriegsende erlebten nur drei Juden aus dem Amtsbezirk Pasvalys.
Insgesamt starben im Kreis Biržai über 5.600 Juden, über 200 Litauer und 27 Russen. Nach der Vernichtung der jüdischen Gemeinde in Biržai am 8. August und derjenigen in Rokiškės am 15./16. August ermordeten Deutsche und Litauer eine Woche später im regionalen Zentrum, in Panevėžys, die bis dahin größte Zahl an Juden.
Die sowjetische außerordentliche Kommission fand dort drei Massengräber mit 2.490 Opfern; außer den genannten noch 90 Litauer. Am jüdischen Friedhof fand man Gruben mit 20 jüdischen und zehn litauischen Opfern."

Unvollständige Liste der Mörder in Birzai und Umgebung :

Taeter Birzai Holocaust

 

Zurück

 

Wir benutzen Cookies
"Alles über Litauen" verwendet Cookies und Google Analytics. Außerdem bieten wir Litauen Karten von Google Maps und Videos von Youtube an. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie dem zu.